zumindest wir damals nicht gut fur die Summe waren, die daraufstand. Aber die Odenwalder Werke waren gut, und das genugte. Wir waren naturlich dankbar. Wir versuchten ihn zu unterhalten wie einen indischen Radscha, wenn er nach Werdenbruck kam – das hei?t, soweit ein indischer Radscha eben in Werdenbruck unterhalten werden kann. Kurt Bach, unser Bildhauer, machte ein farbiges Portrat von ihm, das wir ihm feierlich in einem stilgema?en echten Goldrahmen uberreichten. Leider freute es ihn nicht. Er sieht darauf aus wie ein Pfarramtskandidat, und gerade das will er nicht. Er will aussehen wie ein dunkler Verfuhrer und nimmt auch an, da? er so wirke – ein bemerkenswertes Beispiel von Selbsttauschung, wenn man einen Spitzbauch und kurze, krumme Beine hat. Aber wer lebt nicht von Selbsttauschung? Hege ich mit meinen harmlosen Durchschnittsfahigkeiten nicht auch noch, besonders abends, den Traum, ein besserer Mensch zu werden, mit Talent genug, einen Verleger zu ?nden? Wer wirft da den ersten Stein nach Riesenfelds O-Beinen, besonders wenn sie, in diesen Zeiten, in echt englischem Kammgarnstoff stecken?

»Was machen wir nur mit ihm, Georg?«sage ich.»Wir haben keine einzige Attraktion! Mit einfachem Saufen ist Riesenfeld nicht zufrieden. Er hat zuviel Phantasie dafur und einen zu ruhelosen Charakter. Er will etwas sehen und horen und, wenn moglich, anfassen. Unsere Auswahl an Damen aber ist trostlos. Die paar hubschen, die wir kennen, haben keine Lust, sich einen ganzen Abend Riesenfeld in seiner Rolle als Don Juan von 1923 anzuhoren. Hilfsbereitschaft und Verstandnis ?ndet man leider nur bei ha?lichen und altlichen Vogeln.«

Georg grinst.»Ich wei? nicht einmal, ob unser Bargeld fur heute abend reicht. Als ich gestern den Zaster holte, habe ich mich im Dollarkurs geirrt; ich dachte, es ware noch der von vormittags. Als der von zwolf Uhr rauskam, war es zu spat. Die Bank schlie?t sonnabends mittags.«

»Dafur hat sich heute nichts geandert.«

»In der Roten Muhle schon, mein Sohn. Dort ist man sonntags dem Dollarkurs schon um zwei Tage voraus. Wei? Gott, was eine Flasche Wein da heute abend kosten wird!«

»Gott wei? das auch nicht«, sage ich.»Der Besitzer wei? es ja selbst noch nicht. Er setzt die Preise erst fest, wenn das elektrische Licht angeht. Warum liebt Riesenfeld nicht Kunst, Malerei, Musik oder Literatur? Das kame viel billiger. Im Museum kostet der Eintritt immer noch 250 Mark. Wir konnten ihm dafur stundenlang Bilder und Gipskopfe zeigen. Oder Musik. Heute ist ein volkstumliches Orgelkonzert in der Katharinenkirche -«

Georg verschluckt sich vor Lachen.»Na, schon«, erklare ich.»Es ist absurd, sich Riesenfeld dabei vorzustellen; aber warum liebt er nicht wenigstens Operetten und leichte Musik? Wir konnten ihn ins Theater mitnehmen – immer noch billiger als der verdammte Nachtklub!«

»Da kommt er«, sagt Georg.»Frag ihn.«

Wir offnen die Tur. Durch den fruhen Abend segelt Riesenfeld die Treppenstufen herauf. Der Zauber der Fruhlingsdammerung hat keinen Ein?u? auf ihn gehabt, das sehen wir sofort. Wir begru?en ihn mit falscher Kameraderie. Riesenfeld merkt es, schielt uns an und plumpst in einen Sessel.»Sparen Sie sich die Flausen«, brummt er in meine Richtung.

»Das wollte ich sowieso«, erwidere ich.»Es fallt mir nur schwer. Das, was Sie Flausen nennen, hei?t anderswo gute Manieren.«

Riesenfeld grinst kurz und bose.»Mit guten Manieren kommt man heutzutage nicht weit -«

»Womit denn?«fragte ich, um ihn zum Reden zu bringen.

»Mit gu?eisernen Ellenbogen und einem Gummigewissen.«

»Aber Herr Riesenfeld«, sagt Georg begutigend.»Sie haben doch selbst die besten Manieren der Welt! Nicht die besten im burgerlichen Sinne vielleicht – aber sicher sehr elegante -«

»So? Wenn Sie sich da nur nicht irren!«Riesenfeld ist trotz seiner Zuruckweisung sichtlich geschmeichelt.

»Er hat die Manieren eines Raubers«, werfe ich ein, genau wie Georg es erwartet. Wir spielen dieses Spiel ohne vorherige Proben, als konnten wir es auswendig.»Oder eher die eines Piraten. Leider hat er Erfolg damit.«

Riesenfeld ist bei den Raubern etwas zusammengezuckt; der Schu? war zu nahe. Die Piraten versohnen ihn wieder. Genau das war beabsichtigt. Georg holt eine Flasche Rothschen Korn aus dem Fach, in dem die Porzellanengel stehen, und schenkt ein.»Worauf wollen wir trinken?«fragt er.

Gewohnlich trinkt man auf Gesundheit und gute Geschafte. Das ist bei uns etwas schwierig. Riesenfeld ist dafur zu fein besaitet; er behauptet, so etwas sei bei einem Grabsteingeschaft nicht nur ein Paradoxon, sondern auch der Wunsch, da? moglichst viele Menschen sturben. Ebenso konne man auf Cholera und Krieg trinken. Wir uberlassen seitdem ihm die Formulierungen.

Er starrt uns schief an, das Glas in der Hand, redet aber nicht. Nach einer Weile sagt er plotzlich in das Halbdunkel hinein:»Was ist eigentlich Zeit?«

Georg setzt erstaunt sein Glas nieder.»Der Pfeffer des Lebens«, erwidere ich ungeruhrt. Mich kriegt der alte Halunke nicht so leicht mit seinen Tricks. Ich bin nicht umsonst Mitglied des Dichterklubs Werdenbruck; wir sind gro?e Fragen gewohnt.

Riesenfeld beachtet mich nicht.»Was meinen Sie, Herr Kroll?«fragt er.

»Ich bin ein einfacher Mensch«, sagt Georg.»Prost!«

»Zeit«, beharrt Riesenfeld,»Zeit, dieses Flie?en ohne Halt – nicht unsere lausige Zeit! Zeit, dieser langsame Tod.«

Dieses Mal setze auch ich mein Glas nieder.»Ich glaube, wir machen besser Licht«, sage ich.»Was haben Sie zu Abend gegessen, Herr Riesenfeld?«

»Halten Sie die Klappe, wenn erwachsene Leute reden«, erwidert Riesenfeld, und ich merke, da? ich einen Augenblick nicht aufgepa?t habe. Er wollte uns nicht verbluffen – er meint, was er sagt. Gott wei?, was ihm nachmittags passiert ist! Ich mochte ihm gerne antworten, da? Zeit ein wichtiger Faktor sei auf dem Wechsel, den er unterschreiben soll – aber ich ziehe vor, meinen Schnaps zu trinken.

»Ich bin jetzt sechsundfunfzig«, sagt Riesenfeld.»Aber ich erinnere mich noch der Zeit, als ich zwanzig war, als ware das erst ein paar Jahre her. Wo ist all das dazwischen geblieben? Was ist los? Man wacht plotzlich auf und ist alt. Wie ist das bei Ihnen, Herr Kroll?«

»Ahnlich«, erwidert Georg friedlich.»Ich bin vierzig, aber ich fuhle mich wie sechzig. Bei mir war es der Krieg.«

Er lugt, um Riesenfeld beizustehen.»Bei mir ist es anders«, erklare ich, um ebenfalls mein Scher?ein beizutragen.»Auch durch den Krieg. Ich war siebzehn, als ich hineinging – jetzt bin ich funfundzwanzig, aber ich fuhle mich noch wie siebzehn. Wie

siebzehn und siebzig. Mir ist meine Jugend beim Kommi? gestoh

len worden.«

»Bei Ihnen ist das nicht der Krieg«, erwidert Riesenfeld, der es anscheinend heute auf mich abgesehen hat, weil Zeit, der langsame Tod, mich noch nicht so erwischt hat wie ihn.»Sie sind nur einfach geistig zuruckgeblieben. Im Gegenteil, der Krieg hat Sie sogar fruhreif gemacht; ohne ihn standen Sie heute noch auf der Stufe eines Zwolfjahrigen.«

»Danke«, sage ich.»Welch ein Kompliment! Mit zwolf Jahren ist jeder Mensch ein Genie. Er verliert seine Originalitat erst mit dem Eintreten der Geschlechtsreife, von der Sie Granit-Casanova ja so ubertrieben viel halten. Ein ziemlich einformiger Ersatz fur den Verlust der Freiheit des Geistes!«

Georg schenkt neu ein. Wir sehen, da? es ein schwerer Abend wird. Wir mussen Riesenfeld aus den Schluchten der Weltschwermut hervorholen, und keiner von uns hat Lust, sich heute abend auf philosophische Plattheiten einzulassen. Wir mochten am liebsten unter einem Kastanienbaum ruhig, ohne zu reden, eine Flasche Moselwein trinken, anstatt in der Roten Muhle mit Riesenfeld uber sein verlorenes Mannesalter zu trauern.»Wenn Sie sich fur die Realitat der Zeit interessieren«, sage ich mit leichter Hoffnung,»dann kann ich Sie in einen Verein einfuhren, in dem Sie lauter Spezialisten dafur treffen werden – den Dichterklub unserer geliebten Heimatstadt. Der Schriftsteller Hans Hungermann hat das Problem in einem noch ungedruckten Werke auf etwa sechzig Gedichte ausgewalzt. Wir konnen gleich hingehen; jeden Sonntagabend ist eine Sitzung mit anschlie?endem gemutlichem Teil.«

»Sind Damen dabei?«

»Naturlich nicht. Dichtende Frauen sind dasselbe wie rechnende Pferde. Ausgenommen naturlich die Schulerinnen Sapphos.«

»Woraus besteht dann der gemutliche Teil?«fragt Riesenfeld logisch.

»Daraus, da? uber andere Schriftsteller geschimpft wird. Besonders uber erfolgreiche.«

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