Riesenfeld grunzt verachtlich. Ich will schon aufgeben, da ?ammt gegenuber das Fenster im Hause Watzek auf wie ein beleuchtetes Bild in einem ?nsteren Museum. Wir sehen Lisa hinter den Vorhangen. Sie zieht sich gerade an und tragt nichts au?er einem Bustenhalter und einem Paar sehr kurzer wei?er Seidenhosen.
Riesenfeld sto?t einen P?ff durch die Nase aus wie ein Murmeltier. Seine kosmische Melancholie ist mit einem Schlage verschwunden. Ich erhebe mich, um Licht zu machen.»Kein Licht!«faucht er.»Haben Sie denn keinen Sinn fur Poesie?«
Er schleicht ans Fenster. Lisa beginnt, sich ein enges Kleid uber den Kopf zu ziehen. Sie windet sich wie eine Schlange. Riesenfeld schnauft laut.»Eine verfuhrerische Kreatur! Donnerwetter, der Hintern! Ein Traum! Wer ist das?«
»Susanna im Bade«, erklare ich. Ich will ihm damit zart klarmachen, da? wir im Augenblick die Rolle der alten Bocke spielen, die sie beobachten.
»Unsinn!«Der Voyeur mit dem Einsteinkomplex la?t kein Auge von dem goldenen Fenster.»Wie sie hei?t, meine ich.«
»Keine Ahnung. Wir sehen sie zum erstenmal. Heute mittag wohnte sie noch nicht druben.«
»Tatsachlich?«Lisa hat das Kleid ubergezogen und streift es mit den Handen glatt. Georg schenkt hinter dem Rucken Riesenfelds sich und mir ein. Wir kippen die Glaser weg.»Eine Frau von Rasse«, sagt Riesenfeld, der weiter am Fenster klebt.»Eine Dame, das sieht man. Wahrscheinlich Franzosin.«
Lisa ist, soviel wir wissen, Bohmin.»Es konnte Mademoiselle de la Tour sein«, erwidere ich, um Riesenfeld noch mehr zu reizen.»Ich habe gestern irgendwo hier den Namen gehort.«
»Sehen Sie!«Riesenfeld dreht sich einen Augenblick zu uns herum.»Ich sagte ja, Franzosin! Man sieht das gleich – dieses
»Sie sind hier der Kenner, Herr Riesenfeld.«
Das Licht in Lisas Zimmer erlischt. Riesenfeld sturzt seinen Schnaps in die zugeschnurte Kehle und pre?t sein Gesicht wieder gegen das Fenster. Nach einer Weile erscheint Lisa in der Hausture und geht die Stra?e hinunter. Riesenfeld sieht ihr nach.»Bezaubernder Gang! Sie trippelt nicht; sie macht lange Schritte. Ein vollschlanker Panther! Frauen, die trippeln, sind Enttauschungen. Aber diese – fur die garantiere ich!«
Ich habe beim vollschlanken Panther rasch noch ein Glas getrunken. Georg ist lautlos grinsend in seinen Stuhl gesunken. Wir haben es geschafft! Jetzt dreht Riesenfeld sich um. Sein Gesicht schimmert wie ein bleicher Mond.
»Licht, meine Herren! Worauf warten wir noch? Rein ins Leben!«
Wir folgen ihm in die milde Nacht. Ich starre auf seinen Froschrucken. Wenn ich doch auch so einfach aus meinen grauen Stunden auftauchen konnte wie dieser Verwandlungskunstler, denke ich mit Neid.
Die Rote Muhle ist bombenvoll. Wir bekommen nur noch einen Tisch, der sehr nahe beim Orchester steht. Die Musik ist ohnehin schon laut, aber an unserm Tisch ist sie geradezu betaubend. Wir schreien uns anfangs unsere Bemerkungen in die Ohren; danach begnugen wir uns mit Zeichen wie ein Trio Taubstummer. Die Tanz?ache ist so voll, da? die Leute sich kaum bewegen konnen. Aber Riesenfeld ?cht das nicht an. Er erspaht an der Bar eine Frau in wei?er Seide und sturzt auf sie zu. Stolz sto?t er sie mit seinem Spitzbauch uber die Tanz?ache. Sie ist einen Kopf gro?er als er und starrt gelangweilt uber ihn in den Raum, der mit Ballons dekoriert ist. Unterhalb aber kocht Riesenfeld wie ein Vesuv. Sein Damon hat ihn gepackt.»Wie war’ es, wenn wir ihm Schnaps in seinen Wein gossen, damit er rascher voll wird?«sage ich zu Georg.»Der Knabe sauft ja wie ein ge?eckter Waldesel! Dies ist unsere funfte Flasche! In zwei Stunden sind wir bankrott, wenn das so weitergeht. Wir haben schon ein paar Hugelsteine versoffen, schatze ich. Hoffentlich bringt er das wei?e Gespenst nicht an den Tisch, so da? wir es auch noch tranken mussen.«
Georg schuttelt den Kopf.»Das ist eine Bardame. Sie mu? an die Bar zuruck.«
Riesenfeld taucht wieder auf. Er ist rot und schwitzt.
»Was ist das alles gegen den Zauber der Phantasie!«brullt er uns durch den Larm zu.»Handfeste Wirklichkeit, gut! Aber wo bleibt die Poesie? Heute abend, das Fenster vor dem dunklen Himmel – das war etwas zum Traumen! Eine solche Frau – verstehen Sie, wie ich das meine?«
»Klar«, schreit Georg zuruck.»Das, was man nicht kriegt, scheint immer besser als das, was man hat. Darin liegt die Romantik und die Idiotie des menschlichen Lebens. Prost Riesenfeld!«
»Ich meine es nicht so roh«, heult Riesenfeld gegen den Foxtrott»Ach, wenn das der Petrus wu?te«an.»Ich meine es zarter.«
»Ich auch«, brullte Georg zuruck.
»Ich meine es noch zarter!«
»Gut, so zart wie Sie wollen!«
Die Musik holt zu einem kraftigen Crescendo aus. Die Tanz?ache ist eine bunte Sardinenbuchse. Ich erstarre plotzlich. In die Pratzen eines angekleideten Affen gepre?t, schiebt sich rechts in dem Tanzhaufen meine Freundin Erna heran. Sie sieht mich nicht; aber ich erkenne ihre roten Haare schon von weitem. Ohne Scham hangt sie an der Schulter eines typischen Schieberjunglings. Ich sitze unbeweglich da – aber ich habe das Gefuhl, eine Handgranate verschluckt zu haben. Da tanzt sie, die Bestie, der zehn Gedichte meiner unveroffentlichten Sammlung»Staub und Sterne«gewidmet sind, und mir hat sie seit einer Woche vorgelogen, es sei ihr wegen einer kleinen Gehirnerschutterung verboten, auszugehen. Sie sei im Dunkeln gefallen. Gefallen, ja, aber an die Brust dieses Junglings, der einen zweireihigen Smoking tragt und einen Siegelring an der Pfote, mit der er Ernas Kreuz stutzt. Und ich Kamel habe ihr heute nachmittag noch rosa Tulpen aus unserm Garten mit einem Gedicht von drei Strophen, betitelt»Pans Maiandacht«, geschickt. Wenn sie das nun dem Schieber vorgelesen hat! Ich sehe direkt, wie beide sich vor Lachen krummen.
»Was ist los?«brullt Riesenfeld.»Ist Ihnen schlecht?«
»Hei?!«heule ich zuruck und fuhle, wie mir der Schwei? den Rucken ’runterlauft. Ich bin wutend; wenn Erna sich umdreht, wird sie mich schwitzend mit rotem Kopf sehen – aber ich mochte jetzt um alles in der Welt uberlegen, kalt und gelassen wie ein Weltmann wirken. Rasch fahre ich mir mit dem Taschentuch ubers Gesicht. Riesenfeld grinst mitleidlos. Georg sieht es.»Sie schwitzen selbst ganz nett, Riesenfeld«, sagt er.
»Bei mir ist das was anderes! Es ist der Schwei? der Lebenslust!«brullt Riesenfeld.
»Es ist der Schwei? der dahin?iegenden Zeit«, krachze ich giftig und spure, wie mir das Wasser salzig in die Mundwinkel lauft.
Erna ist nahe heran. Sie stiert selig zur Musik hinuber. Ich gebe meinem Gesicht einen leicht erstaunten, uberlegen lachelnden Ausdruck, wahrend mir der Schwei? jetzt den Kragen aufweicht.
»Was haben Sie denn?«schreit Riesenfeld.»Sie sehen ja aus wie ein mondsuchtiges Kanguruh!«
Ich ignoriere ihn. Erna hat sich umgedreht. Ich blicke kuhl auf die Tanzenden und mustere sie, bis ich, mit einem Aufdammern, so tue, als erkenne ich Erna zufallig. Lassig erhebe ich zwei Finger zum Gru?.»Er ist meschugge«, heult Riesenfeld durch die Synkopen des Foxtrotts»Himmelsvater«.
Ich antworte nicht. Ich bin tatsachlich sprachlos. Erna hat mich uberhaupt nicht gesehen.
Die Musik hort endlich auf. Die Tanz?ache wird langsam leer. Erna entschwindet in eine Nische.»Waren Sie eben siebzehn oder siebzig?«heult Riesenfeld.
Da die Musik in diesem Augenblick schweigt, schallt seine Frage machtig durch den Raum. Ein paar Dutzend Leute sehen zu uns her, und selbst Riesenfeld erschrickt. Ich mochte rasch unter den Tisch kriechen; aber dann fallt mir ein, da? die Leute, die hier sind, die Frage einfach fur ein Verkaufsangebot halten konnen, und ich erwidere kalt und laut:»Einundsiebzig Dollar das Stuck, und keinen Cent drunter.«
Meine Antwort erweckt augenblicklich Interesse.»Um was handelt es sich?«fragt ein Mann mit einem Kindergesicht vom Nebentisch her.»Habe immer Interesse fur gute Objekte. Cash naturlich. Aufstein ist mein Name.«
»Felix Koks«, erwidere ich die Vorstellung, froh, mich sammeln zu konnen.»Das Objekt waren zwanzig Flaschen Parfum. Der Herr druben hat leider schon gekauft.«
»Schschsch -«macht eine kunstliche Blondine.
Die Darbietungen beginnen. Ein Ansager redet Blodsinn und ist wutend, weil seine Witze nicht zunden. Ich ziehe meinen Stuhl zuruck und verschwinde hinter Aufstein; fur Ansager bin ich ein beliebtes Ziel, und das ware Ernas wegen heute eine Blamage.
Alles geht gut. Der Ansager zieht mi?mutig ab, und wer steht auf einmal in einem wei?en Brautkleid mit