Schleier da? Renee de la Tour. Erleichtert setze ich mich wieder zurecht.

Renee beginnt ihr Duett. Zuchtig und verschamt, in hohem Sopran, tiriliert sie als Jungfrau ein paar Verse – dann kommt der Ba? und ist sofort eine Sensation.

»Wie ?nden Sie die Dame?«frage ich Riesenfeld.

»Dame ist gut -«

»Mochten Sie sie kennenlernen? Mademoiselle de la Tour.«

Riesenfeld stutzt.»La Tour? Sie wollen doch nicht behaupten, da? dieses absurde Naturspiel die Zauberin vom Fenster Ihnen gegenuber ist?«

Ich will es gerade behaupten, um zu sehen, wie er reagiert, da sehe ich etwas wie einen engelhaften Schein um seine Elefantennase wehen. Ohne zu sprechen deutet er mit dem Daumen zum Eingang.»Da – dort druben – da ist sie ja! Dieser Gang! Man kennt ihn sofort wieder!«

Er hat recht. Lisa ist hereingekommen. Sie ist in Gesellschaft von zwei alteren Knackern und benimmt sich wie eine Dame feinster Gesellschaft, wenigstens nach Riesenfelds Begriffen. Sie scheint kaum zu atmen und hort ihren Kavalieren zerstreut und hochmutig zu.»Habe ich recht?«fragt Riesenfeld.»Kennt man Frauen nicht gleich am Gang?«

»Frauen und Polizisten«, sagt Georg und grinst; aber er blickt ebenfalls wohlgefallig auf Lisa.

Die zweite Nummer des Programms beginnt. Eine Akrobatin steht auf der Tanz?ache. Sie ist jung, hat ein keckes Gesicht, eine kurze Nase und schone Beine. Sie tanzt einen akrobatischen Tanz, mit Saltos, Handstanden und hohen Sprungen. Wir beobachten Lisa weiter. Sie scheint am liebsten das Lokal wieder verlassen zu wollen. Das ist naturlich Schwindel; es gibt nur diesen einen Nachtklub in der Stadt; das andere sind Cafes, Restaurants oder Kneipen. Deshalb trifft man hier auch jeden, der genug Zaster hat, herzukommen.

»Champagner!«schmettert Riesenfeld mit Diktatorstimme.

Ich schrecke auf, und auch Georg ist besorgt.»Herr Riesenfeld«, sage ich.»Der Champagner ist hier sehr schlecht.«

In diesem Augenblick schaut mich ein Gesicht vom Boden an. Ich blicke erstaunt zuruck und sehe, da? es die Tanzerin ist, die sich so weit nach hinten heruntergebeugt hat, da? ihr Kopf zwischen den Beinen wieder hervorkommt. Sie sieht eine Sekunde aus wie ein au?erst verwachsener Zwerg.»Den Champagner bestelle ich!«erklart Riesenfeld und winkt dem Kellner.

»Bravo!«sagt das Gesicht von unten.

Georg zwinkert mir zu. Er spielt die Rolle des Kavaliers, wahrend ich da bin fur die unbequemen Sachen; das ist so ausgemacht zwischen uns.»Wenn Sie Champagner wollen, Riesenfeld, bekommen Sie Champagner«, sagt er deshalb jetzt.»Aber Sie sind naturlich unser Gast.«

»Ausgeschlossen! Ich ubernehme das! Kein Wort mehr daruber!«Riesenfeld ist ganz Don Juan hoher Klasse. Er sieht befriedigt auf die goldene Kapsel im Eiskuhler. Verschiedene Damen zeigen sofort starkes Interesse. Ich bin ebenfalls einverstanden. Der Champagner wird Erna lehren, da? sie mich zu fruh uber Bord geschmissen hat. Mit Genugtuung trinke ich Riesenfeld zu, der feierlich erwidert.

Willy taucht auf. Es war zu erwarten; er ist hier Stammgast. Aufstein bricht mit seiner Gesellschaft auf, und Willy wird unser Nachbar. Er erhebt sich gleich darauf und hei?t Renee de la Tour willkommen. Sie hat ein hubsches Madchen bei sich, das ein schwarzes Abendkleid tragt. Nach einer Weile erkenne ich die Akrobatin. Willy macht uns bekannt. Sie hei?t Gerda Schneider und wirft einen abschatzenden Blick auf den Champagner und auf uns drei. Wir passen auf, ob Riesenfeld Interesse fa?t; dann waren wir ihn fur den Abend los. Aber Riesenfeld ist verkauft an Lisa.»Meinen Sie, da? man sie zum Tanzen auffordern kann?«fragt er Georg.

»Ich wurde es Ihnen nicht raten«, erwidert Georg diplomatisch.»Aber wir werden sie vielleicht spater noch irgendwie kennenlernen.«

Er sieht mich vorwurfsvoll an. Hatte ich im Buro nicht gesagt, da? wir nicht wu?ten, wer Lisa sei, ware die Sache in Ordnung. Aber wer konnte ahnen, da? Riesenfeld auf die romantische Tour gehen wurde? Jetzt ist es zu spat, ihn aufzuklaren. Romantiker haben keinen Humor.

»Tanzen Sie nicht?«fragt die Akrobatin mich.

»Schlecht. Ich habe keinen Sinn fur Rhythmus.«

»Ich auch nicht. Lassen Sie es uns zusammen probieren.«Wir klemmen uns in die Masse auf der Tanz?ache und werden langsam vorwarts geschoben.»Drei Manner ohne Frauen im Nachtklub«, sagt Gerda.»Warum?«

»Warum nicht? Mein Freund Georg behauptet, wer Frauen in einen Nachtklub mitbringe, lade sie ein, ihm Horner aufzusetzen.«

»Wer ist Ihr Freund Georg? Der mit der dicken Nase?«

»Der mit dem kahlen Kopf. Er ist Anhanger des Harem-Systems. Frauen soll man nicht vorzeigen, sagt er.«

»Naturlich… Und Sie?«

»Ich habe kein System. Ich bin wie Spreu im Winde.«

»Treten Sie mir nicht auf die Fu?e«, sagt Gerda.»Sie sind keine Spreu. Sie wiegen mindestens siebzig Kilo.«

Ich nehme mich zusammen. Wir sind gerade an Ernas Tisch vorbeigeschoben worden, und diesmal hat sie mich Gott sei Dank erkannt, obschon ihr Kopf an der Schulter des Schiebers mit dem Siegelring liegt und er ihre Taille umklammert. Der Teufel soll da auf Synkopen aufpassen! Ich lachle zu Gerda hinunter und ziehe sie enger an mich. Dabei beobachte ich Erna.

Gerda riecht nach Maiglockchenparfum.»Lassen Sie mich nur wieder los«, sagt sie.»Damit erreichen Sie nichts bei der Dame mit dem roten Haar. Und das wollen Sie doch, nicht wahr?«

»Nein«, luge ich.

»Sie hatten sie gar nicht beachten sollen. Statt dessen haben Sie wie hypnotisiert zu ihr rubergestarrt und dann plotzlich dieses Theater mit mir arrangiert. Gott, sind Sie ein Anfanger!«

Ich versuche immer noch, das falsche Lacheln zu halten; ich mochte um alles nicht, da? Erna merkt, da? ich hier ebenfalls reingefallen bin.»Ich habe das nicht arrangiert«, sage ich lahm.»Ich habe nicht tanzen wollen.«

Gerda schiebt mich von sich weg.»Ein Kavalier sind Sie anscheinend auch noch! Horen wir auf. Meine Fu?e tun mir weh.«

Ich uberlege, ob ich ihr erklaren soll, da? ich das anders gemeint habe; aber wer wei?, wohin mich das dann wieder bringt! Lieber halte ich den Schnabel und gehe hocherhobenen Kopfes, aber beschamt hinter ihr her zum Tisch.

Dort hat der Alkohol inzwischen gewirkt. Georg und Riesenfeld duzen sich. Riesenfeld hat den Vornamen Alex. In spatestens einer Stunde wird er auch mich auffordern, ihn zu duzen. Morgen fruh ist naturlich alles wieder vergessen.

Ich sitze ziemlich trube da und warte darauf, da? Riesenfeld mude wird. Die Tanzenden gleiten dahin, von der Musik getragen, in einem tragen Flu? von Larm, Korpernahe und Herdengefuhl. Auch Erna kommt herausfordernd vorbei und ignoriert mich. Gerda sto?t mich an.

»Das Haar ist gefarbt«, sagt sie, und ich habe das ekelhafte Gefuhl, da? sie mich trosten will.

Ich nicke und merke, da? ich genug getrunken habe. Riesenfeld ruft endlich nach dem Kellner. Lisa ist gegangen; jetzt will auch er raus.

Es dauert eine Zeitlang, bis wir fertig sind. Riesenfeld bezahlt tatsachlich den Champagner; ich hatte erwartet, er wurde uns mit den vier Flaschen, die er bestellt hat, sitzenlassen. Wir verabschieden uns von Willy, Renee de la Tour und Gerda Schneider. Es ist ohnehin Schlu?; auch die Musik packt ein. Alles staut sich an den Ausgangen und der Garderobe.

Ich stehe auf einmal neben Erna. Ihr Kavalier rudert mit langen Armen an der Garderobe herum, um ihren Mantel zu holen. Erna mi?t mich eisig.»Hier mu? ich dich erwischen! Das hattest du wohl nicht erwartet!«

»Du mich erwischen?«sage ich verblufft.»Ich dich!«

»Und mit was fur Subjekten!«fahrt sie fort, als hatte ich nicht geantwortet.»Mit Tingeltangelweibern! Ruhr mich nicht an! Wer wei?, was du dir schon geholt hast!«

Ich habe keinen Versuch gemacht, sie anzuruhren.»Ich bin hier geschaftlich«, sage ich.»Und du? Wie kommst du hierher?«

»Geschaftlich!«Sie lacht schneidend auf.»Geschaftlich! Wer ist denn gestorben?«

»Das Ruckgrat des Staates, der kleine Sparer«, erwidere ich und denke, ich sei witzig gewesen.»Er wird taglich hier beerdigt, aber sein Grabdenkmal ist kein Kreuz – es ist ein Mausoleum, genannt die Borse.«

Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ОБРАНЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату