»Und so einem verbummelten Subjekt hat man vertraut!«erklart Erna, als hatte ich wieder nichts gesagt.»Wir sind fertig miteinander, Herr Bodmer!«
Georg und Riesenfeld kampfen an der Garderobe um ihre Hute. Ich merke, da? ich zu Unrecht in der Verteidigung bin.»Hor zu«, fauche ich.»Wer hat mir heute nachmittag noch gesagt, er konne nicht ausgehen, er habe rasende Kopfschmerzen? Und wer schwoft hier herum mit einem dicken Schieber?«
Erna wird wei? um die Nase.»Du pobelhafter Verseschmierer!«?ustert sie, als spritze sie Vitriol.»Du meinst wohl, weil du Gedichte von toten Leuten abschreiben kannst, warest du was Besseres, wie? Lerne erst einmal genug Geld zu verdienen, damit du eine Dame standesgema? ausfuhren kannst! Du mit deinen Aus?ugen ins Grune! Zu den seidenen Fahnen des Mai! Da? ich nicht schluchze vor Mitleid!«
Die seidenen Fahnen sind ein Zitat aus dem Gedicht, das ich ihr nachmittags geschickt habe. Ich taumele innerlich; au?erlich grinse ich.»Wir wollen einmal bei der Sache bleiben«, sage ich.»Wer geht hier mit zwei ehrbaren Geschaftsmannern nach Hause? Und wer mit einem Kavalier?«
Erna sieht mich gro? an.»Soll ich etwa allein nachts auf die Stra?e gehen wie eine Barhure? Wofur haltst du mich? Glaubst du, ich habe Lust, mich von jedem Flegel anquatschen zu lassen? Was denkst du eigentlich?«
»Du hattest uberhaupt nicht zu kommen brauchen!«
»So? Sieh mal an! Auch schon Befehle mochtest du geben, was? Ausgehverbot, aber du treibst dich herum! Sonst noch was? Soll ich dir Strumpfe stricken?«Sie lacht giftig.
»Der Herr trinkt Champagner, fur mich aber war Selterswasser und Bier gut genug, oder ein billiger Wein ohne Jahrgang!«
»Ich habe den Champagner nicht bestellt! Das war Riesenfeld!«
»Naturlich! Immer unschuldig, du verkrachter Schulmeister! Was stehst du hier noch herum? Ich habe nichts mehr mit dir zu schaffen! Belastige mich nicht weiter!«
Ich kann vor Wut kaum sprechen. Georg kommt heran und gibt mir meinen Hut. Ernas Schieber erscheint ebenfalls. Beide ziehen ab.»Hast du das gehort?«frage ich Georg.
»Zum Teil. Wozu streitest du mit einer Frau?«
»Ich wollte nicht streiten.«
Georg lacht. Er wird nie ganz betrunken, selbst wenn er Kubel voll herunterschuttet.»La? dich nie dazu bringen. Du bist immer verloren. Wozu willst du recht haben?«
»Ja«, sage ich.»Wozu? Weil ich ein Sohn deutscher Erde bin, wahrscheinlich. Hast du nie Argumente mit einer Frau?«
»Naturlich. Das halt mich aber nicht davon ab, anderen gute Ratschlage zu geben.«
Die kuhle Luft wirkt wie ein weicher Hammer auf Riesenfeld.»Duzen wir uns«, sagt er zu mir.»Wir sind ja Bruder. Nutznie?er des Todes.«Er lacht keckernd wie ein Fuchs.»Ich hei?e Alex.«
»Rolf«, erwidere ich. Ich denke nicht daran, meinen ehrlichen Vornamen Ludwig fur diese Saufbruderschaften einer Nacht herzugeben. Rolf ist fur Alex gut genug.
»Rolf?«sagt Riesenfeld.»Was fur ein bloder Name! Hast du den immer?«
»Ich habe das Recht, ihn in Schaltjahren und nach dem Dienst zu tragen. Alex ist auch nichts Besonderes.«
Riesenfeld wankt etwas.»Macht nichts«, sagt er gro?zugig.»Kinder, ich habe mich lange nicht so wohlgefuhlt! Gibt es bei euch noch einen Kaffee?«
»Naturlich«, sagt Georg.»Rolf ist ein erstklassiger Kaffee koch.«
Wir schwanken durch die Schatten der Marienkirche zur Hakenstra?e. Vor uns geht storchenhaft ein einsamer Wanderer und biegt in unser Tor ein. Es ist der Feldwebel Knopf, der von seiner Inspektionsreise durch die Kneipen zuruckkehrt. Wir erreichen ihn, wahrend er gerade an dem schwarzen Obelisken neben der Tur sein Wasser la?t.»Herr Knopf«, sage ich,»das schickt sich nicht!«
»Sie konnen ruhren«, murmelt Knopf, ohne sich umzudrehen.
»Herr Feldwebel«, wiederhole ich.»Das schickt sich nicht! Es ist eine Schweinerei! Warum tun Sie das nicht in Ihrer Wohnung?«
Er wendet ?uchtig den Kopf.»Ich soll in meine gute Stube pissen? Sind Sie verruckt?«
»Nicht in Ihre gute Stube! Sie haben eine tadellose Toilette zu Hause. Benutzen Sie die doch! Sie ist nur ungefahr zehn Meter von hier entfernt.«
»Quatsch!«
»Sie beschmutzen das Wahrzeichen unseres Hauses! Au?erdem begehen Sie ein Sakrileg. Das hier ist ein Grabstein. Eine heilige Sache.«
»Das wird erst ein Grabstein auf dem Friedhof«, sagt Knopf und stelzt auf seine Haustur zu.»Guten Abend die Herren allerseits.«
Er macht eine halbe Verbeugung und sto?t sich dabei den Schadel am Turpfosten. Brummend verschwindet er.
»Wer war das?«fragt Riesenfeld mich, wahrend ich nach Kaffee suche.
»Das Gegenteil von Ihnen. Ein abstrakter Trinker. Trinkt ohne jede Phantasie. Braucht keine Hilfe von au?en. Keine Wunschbilder.«
»Auch was!«Riesenfeld nimmt am Fenster Platz.»Ein Alkoholfa? also. Der Mensch lebt von Traumen. Wissen Sie das noch nicht?«
»Nein. Dafur bin ich noch zu jung.«
»Sie sind nicht zu jung. Sie sind nur ein Kriegsprodukt – emotionell unreif und bereits zu erfahren im Morden.«
Die Schwaden klaren sich anscheinend. Wir sind schon wieder beim Sie angelangt.»Meinen Sie, da? die Dame druben schon zu Hause ist?«fragt Riesenfeld Georg.
»Vermutlich. Es ist ja alles dunkel.«
»Das kann auch so sein, weil sie noch nicht da ist. Wollen wir nicht ein paar Minuten warten?«
»Naturlich.«
»Vielleicht konnen wir in der Zwischenzeit unsere Geschafte erledigen«, sage ich.»Der Vertrag braucht ja nur noch unterschrieben zu werden. Ich hole inzwischen frischen Kaffee aus der Kuche.«
Ich gehe hinaus und gebe Georg damit Zeit, Riesenfeld zu bearbeiten. So etwas geht besser ohne Zeugen. Ich setze mich auf die Treppenstufen. Aus der Werkstatt des Tischlers Wilke dringt ruhiges Schnarchen. Es mu? immer noch Heinrich Kroll sein, denn Wilke wohnt auswarts. Der nationale Geschaftsmann wird einen netten Schreck kriegen, wenn er im Sarg aufwacht! Ich uberlege, ob ich ihn wecken soll, aber ich bin zu mude, und es wird ja auch schon hell – da sollte der Schreck fur einen so furchtlosen Krieger eher ein Stahlbad sein, das ihn kraftigt und ihm vorfuhrt, was das Endergebnis eines frischfrohlichen Krieges ist. Ich sehe auf die Uhr und warte auf Georgs Signal und starre in den Garten. Lautlos hebt sich der Morgen aus den bluhenden Baumen wie aus einem bleichen Bett. Im erleuchteten Fenster des ersten Stocks gegenuber steht der Feldwebel Knopf im Nachthemd und nimmt einen letzten Schluck aus der Flasche. Die Katze streicht um meine Beine. Gott sei Dank, denke ich, der Sonntag ist zu Ende.
V
Eine Frau in Trauerkleidung druckt sich durch das Tor und bleibt unschlussig im Hofe stehen. Ich gehe hinaus. Eine Hugelsteinkundin, denke ich, und frage:»Mochten Sie unsere Ausstellung sehen?«
Sie nickt, sagt aber gleich darauf:»Nein, nein, das ist noch nicht notig.«
»Sie konnen sich ruhig umsehen. Sie brauchen nichts zu kaufen. Wenn Sie wollen, lasse ich Sie auch allein.«
»Nein, nein! Es ist – ich wollte nur -«
Ich warte. Drangen hat in unserem Geschaft keinen Zweck. Nach einiger Zeit sagt die Frau:»Es ist fur meinen Mann -«
Ich nicke und warte weiter. Dabei drehe ich mich gegen die Reihe der kleinen belgischen Hugelsteine.»Das