aussieht, nachts, wenn man nicht hinsieht.«
»Wie kann das schon aussehen? Grau wahrscheinlich oder schwarz. Und silbern, wenn der Mond scheint.«
Isabelle lacht.»Das dachte ich mir! Du wei?t es auch nicht. Genau wie der Doktor!«
»Wie sieht es denn aus?«
Sie bleibt stehen. Ein Windsto? treibt voruber mit Bienen und dem Geruch von Bluten. Der gelbe Rock weht wie ein Segel.»Es ist gar nicht da«, sagt sie.
Wir gehen weiter. Eine alte Frau in Anstaltskleidern kommt in der Allee an uns voruber. Ihr Gesicht ist rot und glanzt von Tranen. Zwei ratlose Angehorige gehen neben ihr her.»Was ist denn da, wenn das Gras nicht da ist?«frage ich.
»Nichts. Nur wenn man hinsieht, ist es da. Manchmal, wenn man sich sehr schnell umdreht, kann man es noch erwischen.«
»Was? Da? es nicht da ist?«
»Nein – aber wie es zurucksaust an seinen Platz – das Gras und alles, was hinter dir ist. Wie Dienstboten, die zum Tanz gegangen sind. Du mu?t nur sehr rasch sein beim Umdrehen, dann erwischt du sie noch – sonst sind sie schon da und tun unschuldig, als waren sie nie fortgewesen.«
»Wer, Isabelle?«frage ich sehr behutsam.
»Die Dinge. Alles hinter dir. Es wartet doch nur darauf, da? du dich umdrehst, damit es verschwinden kann!«
Ich uberlege mir das einen Augenblick. Das ware ja, als hatte man dauernd einen Abgrund hinter sich, denke ich.
»Bin ich auch nicht mehr da, wenn du dich umdrehst?«frage ich.
»Du auch nicht. Nichts.«
»Ach so«, sage ich etwas bitter.»Fur mich bin ich aber immerfort da. Auch wenn ich mich noch so rasch umdrehe.«
»Du drehst dich nach der falschen Seite um.«
»Gibt es da auch Seiten?«
»Fur dich schon, Rolf.«
Ich zucke aufs neue zusammen unter dem verha?ten Namen.»Und fur dich? Was ist mit dir?«
Sie sieht mich an und lachelt abwesend, als kenne sie mich nicht.»Ich? Ich bin doch gar nicht da!«
»So? Fur mich bist du genug da.«
Ihr Ausdruck verandert sich. Sie erkennt mich wieder.
»Ist das wahr? Warum sagst du mir das nicht ofter?«
»Ich sage es dir doch immerfort.«
»Nicht genug.«Sie lehnt sich an mich. Ich fuhle ihren Atem und ihre Bruste unter der dunnen Seide.»Nie genug«, sagt sie mit einem Seufzer.»Warum wei? das niemand? Ach, ihr Statuen!«
Statuen, denke ich. Was bleibt mir denn anders ubrig? Ich sehe sie an, sie ist schon und aufregend, ich spure sie, und jedesmal, wenn ich mit ihr zusammen bin, ist es, als telefonierten tausend Stimmen durch meine Adern, aber dann plotzlich bricht es ab, als hatten alle eine falsche Verbindung, ich ?nde mich nicht mehr zurecht, und es entsteht nichts als Verwirrung. Man kann eine Irre nicht begehren. Vielleicht kann man es; ich kann es nicht. Es ist, als wollte man eine automatische Puppe begehren. Oder jemand, der hypnotisiert ist. Das aber andert nichts daran, da? man ihre Nahe nicht doch spurt.
Die grunen Schatten der Allee offnen sich, und vor uns liegen die Beete der Tulpen und Narzissen in der vollen Sonne.»Du mu?t deinen Hut aufsetzen, Isabelle«, sage ich.»Der Doktor will es so.«
Sie wirft den Hut in die Bluten.»Der Doktor! Was der alles will! Er will mich heiraten, aber sein Herz ist verhungert. Er ist eine Eule, die schwitzt.«
Ich glaube nicht, da? Eulen schwitzen konnen. Aber das Bild uberzeugt trotzdem. Isabelle tritt wie eine Tanzerin zwischen die Tulpen und kauert sich nieder.»Horst du die hier?«
»Naturlich«, sage ich erleichtert.»Jeder kann sie horen. Es sind Glocken. In Fis-Dur.«
»Was ist Fis-Dur?«
»Eine Tonart. Die su?este von allen.«
Sie wirft ihren weiten Rock uber die Bluten.»Lauten sie jetzt in mir?«
Ich nicke und sehe auf ihren schmalen Nacken. Alles lautet in dir, denke ich. Sie bricht eine Tulpe ab und betrachtet die offene Blute und den ?eischigen Stengel, aus dem der Saft quillt.
»Das hier ist nicht su?.«
»Gut – dann sind es Glocken in C-Dur.«
»Mu? es Dur sein?«
»Es kann auch Moll sein.«
»Kann es nicht beides zugleich sein?«
»In der Musik nicht«, sage ich, in die Enge getrieben.»Es gibt da Prinzipien. Es kann nur eins oder das andere sein. Oder eins nach dem anderen.«
»Eins nach dem andern!«Isabelle sieht mich mit leichter Verachtung an.»Immer kommst du mit diesen Ausreden, Rolf. Warum?«
»Ich wei? es auch nicht. Ich wollte, es ware anders.«
Sie richtet sich plotzlich auf und schleudert die Tulpe, die sie abgebrochen hat, von sich. Mit einem Sprung ist sie aus dem Beet heraus und schuttelt heftig ihr Kleid aus. Dann zieht sie es hoch und betrachtet ihre Beine. Ihr Gesicht ist von Ekel verzerrt.
»Was ist passiert?«frage ich erschreckt.
Sie zeigt auf das Beet.»Schlangen -«
Ich blicke auf die Blumen.»Da sind keine Schlangen, Isabelle.«
»Doch! Die da!«Sie deutet auf die Tulpen.»Siehst du nicht, was sie wollen? Ich habe es gespurt.«
»Sie wollen nichts. Es sind Blumen«, sage ich verstandnislos.
»Sie haben mich angeruhrt!«Sie zittert vor Ekel und starrt immer noch auf die Tulpen.
Ich nehme sie bei den Armen und drehe sie so, da? sie das Beet nicht mehr sieht.»Jetzt hast du dich umgedreht«, sage ich.»Jetzt sind sie nicht mehr da.«
Sie atmet heftig.»La? es nicht zu! Zertritt sie, Rudolf.«
»Sie sind nicht mehr da. Du hast dich umgedreht, und nun sind sie fort. Wie das Gras nachts und die Dinge.«
Sie lehnte sich an mich. Ich bin plotzlich nicht mehr Rolf fur sie. Sie legt ihr Gesicht an meine Schulter. Sie braucht mir nichts zu erklaren. Ich bin Rudolf und mu? es wissen.»Bist du sicher?«fragt sie, und ich fuhle ihr Herz neben meiner Hand schlagen.
»Ganz sicher. Sie sind weg. Wie Dienstboten am Sonntag.«
»La? es nicht zu, Rudolf -«
»Ich lasse es nicht zu«, sage ich und wei? nicht recht, was sie meint. Doch das ist auch nicht notwendig. Sie beruhigt sich bereits.
Wir gehen langsam zuruck. Sie wird fast ohne Ubergang mude. Eine Schwester marschiert auf ?achen Absatzen heran.»Sie mussen essen kommen, Mademoiselle.«
»Essen«, sagt Isabelle.»Wozu mu? man immer essen, Rudolf?«
»Damit man nicht stirbt.«
»Du lugst schon wieder«, sagt sie mude, wie zu einem hoffnungslosen Kinde.
»Diesmal nicht. Diesmal ist es wahr.«
»So? Essen Steine auch?«
»Leben Steine denn?«
»Aber naturlich. Am starksten von allem. So stark, da? sie ewig sind. Wei?t du nicht, was ein Kristall ist?«
»Nur aus der Physikstunde. Das ist sicher falsch.«
»Reine Ekstase«, ?ustert Isabelle.»Nicht, wie das da -«Sie macht eine Bewegung nach ruckwarts zu den Beeten.
Die Warterin nimmt ihren Arm.»Wo haben Sie Ihren Hut, Mademoiselle?«fragt sie nach ein paar Schritten