»Gut.« Lewinsky schnaufte. »Sie haben rasch gearbeitet. Sofort nachdem die Bombe die Wand des Depots eindruckte. Die SS war nicht da. Als sie kam, waren unsere Leute langst weg. Wir haben noch mehr erwischt. Das wird in der Typhusabteilung versteckt. Verteiltes Risiko, verstehst du? Werners Grundsatz.«

»Wird die SS nicht merken, da? was fehlt?«

»Vielleicht. Deshalb lassen wir nichts im Arbeitslager. Wir haben nicht zuviel genommen, und alles ist machtig durcheinander. Vielleicht merken sie nichts. Wir haben versucht, das Depot anzuzunden.«

»Ihr habt verdammt gut gearbeitet«, sagte Berger.

Lewinsky nickte. »Ein glucklicher Tag. Komm, la? es unauffallig verstecken. Hier vermutet keiner was. Es wird heller. Wir konnten nicht noch mehr fassen, weil die SS rasch wiederkam. Sie glaubte, die Zaune sind kaputt. Scho? auf alles, was ihr in den Weg kam. Erwartete Flucht. Jetzt sind sie ruhiger. Haben festgestellt, da? der Stacheldraht in Ordnung ist. Was fur ein Gluck, da? die Arbeitskommandos heute morgen zuruckgehalten worden sind; Fluchtgefahr wegen Nebel.

Konnten so unsere besten Leute 'rangehen lassen. Wahrscheinlich gibt's jetzt bald Appell. Komm, zeig mir, wo wir die Sachen lassen konnen.«

Eine Stunde spater war die Sonne da. Der Himmel wurde weich und blau, und die letzten Nebel verschwanden. Feucht und jung und mit einem Schimmer von Grun lagen die Felder mit den Baumreihen da wie nach einem Bade.

Nachmittags horte Block 22, da? siebenundzwanzig Haftlinge wahrend und nach dem Bombardement erschossen worden seien; zwolf waren in Baracke I getotet, achtundzwanzig durch Splitter verletzt. Zehn SS-Leute waren tot; darunter Birkhauser von der Gestapo. Handke war tot; ebenso zwei Mann von der Baracke Lewinskys.

509 kam heruber. »Was ist mit der Quittung, die du Handke uber die Schweizer Franken gegeben hast?« fragte Berger. »Wenn man sie nun unter seinen Sachen findet? Was, wenn die Gestapo sie in die Hande kriegt? Wir haben nicht daran gedacht!«

»Doch«, sagte 509. Er zog den Briefbogen aus der Tasche. »Lewinsky wu?te es. Und er hat daran gedacht. Er hat Handkes Sachen an sich gebracht. Ein zuverlassiger Kapo hat sie fur ihn gestohlen, sofort nachdem Handke erledigt wurde.«

»Gut. Zerrei? sie! Lewinsky war verdammt tuchtig heute.« Berger atmete auf. »Ich hoffe, jetzt haben wir endlich etwas Ruhe.«

»Vielleicht. Es kommt darauf an, wer der neue Blockalteste wird.«

Ein Zug Schwalben erschien plotzlich uber dem Lager. Sie kreisten lange, hoch, in gro?en Spiralen und kamen dann tiefer und schossen kreischend uber die polnischen Baracken. Ihre blauen, glanzenden Flugel beruhrten fast das Dach.

»Das ist das erstemal, da? ich Vogel im Lager sehe«, sagte Ahasver.

»Sie suchen Platze zum Nisten«, erklarte Bucher.

»Hier?« Lebenthal meckerte.

»Sie haben die Kirchturme nicht mehr.«

Der Rauch uber der Stadt hatte sich etwas geklart. »Tatsachlich«, sagte Sulzbacher.

»Der letzte Turm ist eingesturzt.«

»Hier!« Lebenthal blickte kopfschuttelnd auf die Schwalben, die jetzt mit schrillen Rufen die Baracke umkreisten. »Und dazu kommen sie von Afrika zuruck! Hierher!«

»Sie haben nirgendwo Platz in der Stadt, solange es brennt.«

Sie blickten hinunter. »Wie das aussieht!« flusterte Rosen.

»Es mu? noch eine Menge anderer Stadte so brennen«, sagte Ahasver.

»Gro?ere und wichtigere. Wie mussen die erst aussehen?«

»Armes Deutschland«, sagte jemand, der in der Nahe hockte.

»Was?«

»Armes Deutschland.«

»Menschenskinder!« sagte Lebenthal. »Habt ihr das gehort?«

Es wurde warm. Abends erfuhr die Baracke, da? auch das Krematorium beschadigt worden war.

Eine der Umfassungsmauern war eingesturzt, und der Galgen stand schief; aber der Schornstein rauchte mit Volldampf weiter.

Der Himmel bezog sich. Es wurde immer schwuler. Das Kleine Lager bekam kein Abendessen.

Die Baracken waren still. Wer konnte, lag drau?en. Es schien, als musse die schwere Luft Nahrung geben. Die Wolken, die dichter und fahler wurden, sahen aus wie Sacke, aus denen Essen fallen konne. Lebenthal kam mude von einem Patrouillengang zuruck. Er meldete, da? nur vier Baracken im Arbeitslager Abendessen bekommen hatten. Die anderen nicht; angeblich sei die Proviantabteilung beschadigt. Es seien keine Kontrollen in den Baracken vorgenommen worden.

Offenbar habe die SS den Verlust der Waffen noch nicht bemerkt.

Es wurde immer warmer. Die Stadt lag in einem sonderbaren, schwefligen Licht. Die Sonne war langst untergegangen, aber die Wolken hingen noch voll von dem gelben, fahlen Licht, das nicht weichen wollte. »Es gibt ein Gewitter«, sagte Berger. Er lag bla? neben 509. »Hoffentlich.«

Berger sah ihn an. Das Wasser lief ihm in die Augen. Sehr langsam drehte er den Kopf, und plotzlich flo? ein Schwall Blut aus seinem Munde. Es war muhelos und so naturlich, da? 509 es in der ersten Sekunde einfach nicht fa?te. Dann richtete er sich auf. »Was ist los? Berger! Berger!«

Berger krummte sich und lag still. »Nichts«, sagte er. »Ist das ein Blutsturz?« »Nein.«

»Was denn?« »Magen.« »Magen?«

Berger nickte. Er spuckte das Blut aus, das noch in seinem Munde war. »Nichts Schlimmes«, flusterte er.

»Schlimm genug. Was mussen wir machen? Sag, was wir tun mussen?« »Nichts.

Liegen. Ruhig liegenlassen.«

»Sollen wir dich hineinbringen? Du kannst ein Bett fur dich haben. Wir werfen ein paar andere hinaus.« »La? mich nur liegen.« 509 war plotzlich vollig verzweifelt. Er hatte so viele Menschen sterben sehen und war so oft beinahe selbst gestorben, da? er geglaubt hatte, ein einzelner Tod konne nicht mehr viel fur ihn bedeuten. Jetzt aber traf es ihn wie das erstemal. Ihm schien, als verliere er den letzten und einzigen Freund seines Lebens. Er war sofort hoffnungslos.

Berger lachelte ihm mit schwei?nassem Gesicht zu – aber 509 sah ihn bereits regungslos am Rande des Zementweges liegen.

»Irgend jemand mu? noch was zu essen haben! Oder Medizin besorgen! Lebenthal!«

»Nichts zu essen«, flusterte Berger. Er hob eine Hand und offnete die Augen.

»Glaub mir. Ich werde sagen, was ich brauche. Und wann. Jetzt nichts. Glaub mir. Es ist nur der Magen.« Er schlo? die Augen wieder.

Nach dem Abpfeifen kam Lewinsky aus der Baracke. Er hockte sich zu 509. »Warum bist du eigentlich nicht in der Partei?« fragte er.

509 blickte auf Berger. Berger atmete regelma?ig. »Wozu willst du das gerade jetzt wissen?« fragte er zuruck.

»Es ist schade. Ich wollte, du warest einer von uns.« 509 wu?te, was Lewinsky meinte. Die Kommunisten bildeten in der unterirdischen Lagerleitung eine besonders zahe, verschlossene und energische Gruppe. Sie arbeitete zwar mit den anderen zusammen, traute ihnen aber nie ganz und verfolgte ihre besonderen Ziele. Sie schutzte und forderte zuerst ihre eigenen Leute.

»Wir konnten dich gebrauchen«, sagte Lewinsky. »Was warst du fruher?

Beruf meine ich?«

»Redakteur«, erwiderte 509 und wunderte sich selbst, wie sonderbar das klang.

»Redakteure konnten wir besonders gut gebrauchen.« 509 erwiderte nichts. Er wu?te, da? eine Diskussion mit einem Kommunisten ebenso zwecklos war wie mit einem Nazi. »Hast du eine Ahnung, was fur einen Blockaltesten wir kriegen?« fragte er nach einer Weile.

»Ja. Wahrscheinlich einen von unseren eigenen Leuten. Sicher aber einen Politischen.

Bei uns ist auch ein neuer eingesetzt worden. Er gehort zu uns.«

»Dann gehst du wieder zuruck?«

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