vergessen? Eine Billion war eine Mark wert. Sachwerte, das war auch damals das einzige!« »Sachwerte, ja! Aber Sachwerte, die man in die Tasche stecken kann.« Selma Neubauer erhob sich und ging zu einem Schrank. Sie offnete ihn und raumte einige Packen Wasche weg. Dann holte sie einen Kasten hervor und schlo? ihn auf. Er enthielt goldene Zigarettendosen, Puderdosen, ein paar Clips mit Diamanten, zwei Rubinbroschen und einige Ringe. »Hier«, sagte sie. »Das habe ich in den letzten Jahren gekauft, ohne da? du es wu?test. Von meinem Geld und von dem, was ich gespart habe. Dafur habe ich die Aktien verkauft, die ich hatte. Sie sind heute nichts mehr wert. Die Fabriken liegen in Trummern. Aber dieses hier behalt seinen Wert. Das kann man mitnehmen. Ich wollte, wir hatten nur so etwas!« »Mitnehmen! Mitnehmen! Du redest, als ob wir Verbrecher seien und fluchten mu?ten.«

Selma legte die Sachen zuruck. Sie putzte eine Zigarettendose mit dem Armel ihres Kleides blank.

»Uns kann passieren, was anderen passiert ist, als ihr an die Macht kamt, oder nicht?«

Neubauer sprang auf. »Wenn man dich hort – «, sagte er wutend und hilflos. »Man konnte sich aufhangen. Andere Manner haben Frauen, die sie verstehen, die ein Trost sind, wenn sie vom Dienst kommen, die sie aufheitern – aber du! Nichts als unken und: hattest du und Unglucksgeschrei! Den ganzen Tag! Und nachts auch noch! Nicht einmal da hat man Ruhe!

Immerfort: Verkaufen und Miesmachen!«

Selma horte nicht auf ihn. Sie packte den Kasten weg und legte die Wasche wieder davor.

»Diamanten«, sagte sie. »Gute, klare Diamanten. Ungefa?t. Nur die besten Steine. Ein Karat, zwei Karat, drei Karat, bis sechs oder sieben, wenn man sie kriegen kann. Das ist das richtige. Besser als alle deine Blanks und Garten und Grundstucke und Hauser. Dein Anwalt hat dich 'reingelegt.

Ich bin sicher, da? er doppelte Prozente gekriegt hat. Diamanten kann man verstecken. Man kann sie in Kleider einnahen.

Sogar 'runterschlucken. Grundstucke nicht.« Neubauer starrte sie an. »Wie du redest!

Einen Tag bist du hysterisch vor Angst vor ein paar Bomben – und am nachsten Tag redest du wie ein Jude, der einem den Hals abschneiden konnte fur Geld.«

Sie ma? ihn mit einem verachtlichen Blick. Sie sah die Stiefel, die Uniform, den Revolver, den Schnurrbart. »Juden schneiden keine Halse ab. Juden sorgen fur ihre Familien. Besser als viele germanische Ubermenschen. Juden wissen, was man in gefahrlichen Zeiten tut.«

»So? Was haben sie denn gewu?t? Wenn sie was gewu?t hatten, waren sie nicht hiergeblieben, und wir hatten nicht die meisten erwischt.«

»Sie haben nicht geglaubt, da? ihr mit ihnen machen wurdet, was ihr getan habt.«

Selma Neubauer betupfte sich die Schlafen mit Eau de Cologne. »Und vergi? nicht, da? das Geld in Deutschland seit 1931 gesperrt war. Seit die Darmstadter und Nationalbank in Schwierigkeiten geriet. Deshalb konnten viele nicht weg. Ihr habt sie dann erwischt. Gut. Und genauso willst du jetzt hierbleiben. Und genauso werden sie euch erwischen.«

Neubauer blickte sich rasch um. »Vorsicht! Verdammt! Wo ist das Madchen? Wenn man dich hort, sind wir verloren. Der Volksgerichtshof kennt keine Gnade! Eine Denunziation genugt.«

»Das Madchen hat Ausgang. Und warum kann man mit euch nicht dasselbe machen, was ihr mit den anderen gemacht habt?«

»Wer? Die Juden?« Neubauer lachte. Blank fiel ihm ein. Er stellte sich vor, wie Blank Weber folterte. »Die sind froh, wenn sie Ruhe haben.« »Nicht die Juden. Die Amerikaner und Englander.«

Neubauer lachte wieder. »Die? Die noch weniger! Das geht sie doch gar nichts an! Um innenpolitische Angelegenheiten wie unsere Lager kummern die sich uberhaupt nicht! Das mit denen ist eine rein au?enpolitische, militarische Angelegenheit. Verstehst du das nicht?«

»Nein.«

»Das sind Demokraten. Sie wurden uns korrekt behandeln, wenn sie gewinnen sollten – was noch die Frage ist. Militarisch. Korrekt. Wir sind dann eben in Ehren unterlegen. Sie konnen sonst gar nichts tun. Das ist deren Weltanschauung! Bei den Russen ware das was anderes. Aber die sind ja im Osten.«

»Du wirst es sehen. Bleib nur hier.«

»Jawohl, ich werde das sehen. Und ich bleibe hier. Mochtest du mir sagen, wohin wir denn uberhaupt gehen konnten, wenn wir weg wollten?«

»Wir hatten schon vor Jahren mit Diamanten in die Schweiz -«

»Hatten!« Neubauer schlug auf den Tisch. Die Bierflasche vor ihm wackelte. »Hatten! Hatten!

Wieder mal! Wie denn? Hatten wir uber die Grenze fliegen »ollen in einem gestohlenen Flugzeug?

Du redest Unsinn.«

»Nicht in einem gestohlenen Flugzeug. Aber wir hatten ein paar Ferienreisen machen konnen. Geld und Schmuck mitnehmen. Zwei, drei, vier Ferienreisen. Jedesmal alles dalassen. Ich kenne Leute, die es gemacht haben -«

Neubauer ging zur Tur. Er offnete und schlo? sie wieder. Dann kam er zuruck. »Wei?t du, was das ist, was du da sagst? Reiner Hochverrat! Du wurdest sofort erschossen werden, wenn ein Wort davon weitergehen wurde.«

Selma sah ihn an. Ihre Augen glitzerten. »Nun, und? Kannst ja rasch noch zeigen, was fur ein Held du bist. Wirst dabei eine gefahrliche Frau los. Ist dir vielleicht ganz lieb -«

Neubauer hielt ihren Blick nicht aus. Er wandte sich ab und ging im Zimmer auf und ab. Er wu?te nicht, ob sie etwas gehort hatte von der Witwe, die ihn «b und zu besuchte. »Selma«, sagte er schlie?lich mit veranderter Stimme. »Was soll das? Wir mussen zusammenstehen! La? uns vernunftig sein. Wir konnen doch jetzt nichts anderes tun als durchhalten. Ich kann nicht weglaufen.

Ich stehe unter Befehl. Wohin soll ich denn fliehen? Zu den Russen? Nein. Mich im unbesetzten Deutschland verstecken? Da wird die Gestapo mich rasch haben, und du wei?t, was das hei?t! Zur anderen Seite, zu den Amerikanern und Englandern? Auch nicht. Da ist es schon besser, hier auf sie zu warten, sonst sieht es aus, als hatte ich ein schlechtes Gewissen.

Ich habe das alles uberlegt, glaube es mir. Wir mussen durchhalten, es gibt nichts anderes.« »Ja.«

Neubauer blickte uberrascht auf. »Wirklich? Verstehst du es endlich? Habe ich es dir bewiesen?«

»Ja.«

Er sah Selma vorsichtig an; er glaubte nicht an einen so leichten Sieg. Aber sie hatte plotzlich aufgegeben. Ihre Backen schienen zu fallen. Bewiesen, dachte sie. Beweise!

Was sie bewiesen haben, das glauben sie – als ob das Leben aus Beweisen bestande. Es ist nichts mit ihnen zu machen. Tonerne Gotter. Glauben nur sich selbst. Sie betrachtete ihren Mann lange. Es war eine sonderbare Mischung von Mitleid, Verachtung und einer fernen Zartlichkeit, mit der sie Ihn ansah. Neubauer wurde unbehaglich zumute. »Selma -«, begann er.

Sie unterbrach ihn. »Bruno, nur noch eines – ich bitte dich darum -«

»Was?« fragte er mi?trauisch.

»La? das Haus und die Grundstucke auf Freya uberschreiben. Geh gleich zum Anwalt. Nur das, weiter nichts.«

»Warum?«

»Nicht fur immer. Vorlaufig. Wenn alles gut geht, konnen sie zuruckuberschrieben werden. Du kannst deiner Tochter trauen.«

»Ja – ja – aber der Eindruck! Der Anwalt -«

»Pfeif auf den Eindruck! Freya war ein Kind bei der Machtubernahme. Man kann ihr nichts vorwerfen!«

»Was hei?t das? Meinst du, man kann mir was vorwerfen?«

Selma schwieg. Sie sah Neubauer wieder mit dem eigentumlichen Blick an. »Wir sind Soldaten«, sagte er. »Wir handeln auf Befehl. Und Befehl ist Befehl, das wei? jeder.«

Er reckte sich. »Der Fuhrer befiehlt; wir gehorchen. Der Fuhrer ubernimmt die volle Verantwortung fur das, was er befiehlt. Er hat das oft genug erklart. Das genugt fur jeden Patrioten. Oder nicht?«

»Ja«, sagte Selma resigniert. »Aber geh zum Anwalt. La? unseren Besitz auf Freya uberschreiben.«

»Meinetwegen. Ich kann mal mit ihm sprechen.« Neubauer dachte nicht daran, es zu tun. Seine Frau war hysterisch vor Angst. Er klopfte ihr auf den Rucken. »La? mich nur machen. Ich habe es doch immer noch geschafft.«

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