Zu Lorsch bei ihrem Kloster, reich, groß und weit,Dahin von ihren Kindern sie zog und sich verbarg,Wo noch die hehre Königin begraben liegt in einem Sarg. (1181)* Da sprach die Königswitwe: “Liebe Tochter mein,Hier magst du nicht verbleiben: Bei mir denn sollst du seinZu Lorsch in meinem Hause und lässt dein Weinen dann.”Kriemhilde gab ihr Antwort: “Wo ließ ich aber meinen Mann?” (1182)* “Den lass nur dort verbleiben,” sprach Frau Ute.“Nicht woll es Gott vom Himmel,” sprach die Gute.“Meine liebe Mutter, davor will ich mich wahren,Nein, er muss von hinnen in Wahrheit auch mit mir fahren.” (1183)* Da schuf die Jammersreiche, dass man ihn erhubUnd sein Gebein, das edle, wiederum begrubZu Lorsch bei dem Münster, mit Ehren mannigfalt:Da liegt im langen Sarge noch der Degen wohlgestalt. (1184)* Zu denselben Zeiten, da Kriemhild gesolltZu ihrer Mutter ziehen, wohin sie auch gewollt,Da musste sie verbleiben, weil es nicht sollte sein:Das schufen neue Mären, die da kamen über Rhein. (1185)
20. Abenteuer
Wie König Etzel um Kriemhilden sandte
Das war in jenen Zeiten, als Frau Helke starbUnd der König Etzel um andre Frauen warb,Da rieten seine Freunde in BurgondenlandZu einer stolzen Witwe, die war Frau Kriemhild genannt. (1186)Seit dahingestorben der schönen Helke LeibSie sprachen: “So gewinnen ihr wollt ein edel Weib,Die Höchste und die Beste, die ein König je gewann,So nehmet Kriemhilden; der starke Siegfried war ihr Mann.” (1187)Da sprach der reiche König: “Wie ginge das wohl an,Bin ich doch ein Heide, der die Taufe nicht gewann;Und sie ist eine Christin: Sie nimmt mich nimmermehr.Ein Wunder müsst es heißen, käm sie jemals hieher.” (1188) Da sprachen die Schnellen: “Vielleicht, dass sie es tutUm euern hohen Namen und euer großes Gut.Man soll es doch versuchen bei dem edeln Weib:Euch ziemte wohl zu minnen ihren waidlichen Leib.” (1189)Da sprach der edle König: “Wem ist nun bekanntUnter euch am Rheine das Volk und auch das Land?”Da sprach von Bechlaren der gute Rüdiger:“Mir sind die edeln Könige kund von Kindesjahren her, (1190)Gunther und Gernot, die edeln Ritter gut;Der dritte heißet Geiselher: Ein Jeglicher tutWas er nach bester Sitte und Tugend mag begehn;Auch ist von ihren Ahnen noch stets dasselbe geschehn.” (1191)Da sprach wieder Etzel: “Freund, du sollst mir sagen,Ob sie in meinem Lande wohl soll die Krone tragenUnd ob ihr Leib so schön ist als mir ward gesagt,Von meinen besten Freunden wird es nimmer beklagt.” (1192)“Sie vergleicht sich an der Schöne wohl der Frauen mein,Helke, der reichen: Nicht schöner könnte seinAuf der weiten Erde eine Königin:Wen sie erwählt zum Freunde, der mag wohl trösten seinen Sinn. (1193) “Und wisse, edler König, stehst du darob nicht an,Sie war dem besten Manne, Siegfrieden untertan,Dem Sohne Siegmundens; du hast ihn hier gesehn:Man mocht ihm große Ehre wohl in Wahrheit zugestehn.” (1194)Da sprach König Etzel: “War sie des Recken Weib,So war wohl also teuer des edeln Fürsten Leib,Dass ich nicht verschmähen darf die Königin:Ob ihrer großen Schönheit gefällt sie wohl meinem Sinn.” (1195)