bestehen, auch wenn der Diener mit seinem lahmen linken Arm focht, um die Kampfe ausgeglichener zu gestalten. Der Jungling machte eindeutige Fortschritte. Trotzdem war es schwer vorherzusagen, wann er bereit sein wurde, einem echten Feind gegenuberzutreten.

Es waren ruhige Tage und Nachte. Azzie bedauerte nur, da? Ylith nicht da war. Es hatte sich jedoch als notwendig erwiesen, sie im verzauberten Schlo? zuruckzulassen, um auf Prinzessin Rosenrot aufzupassen, deren rebellische Art noch immer ein gewisses Problem darstellte.

Eines Abends, als Azzie im Wohnzimmer sa?, seine Pfeife rauchte und einen kleinen Imbi? aus Vielfra?herzen in Jakhaarso?e verzehrte, klang ein gewaltiger Larm uber ihm auf. Babriel, der in einem seiner endlosen Ratgeber zum Thema »Wie man Gutes tut« las, hob verblufft den Kopf, als er das Gerausch von Hufen auf dem Dach vernahm. Dann folgte ein schleifender Laut, in den sich Fluche mischten. Der Larm setzte sich durch den Schornstein fort. Jetzt konnte Azzie ein lautes Stohnen und Achzen horen, und schlie?lich arbeitete sich irgend etwas Gro?es zum Kamin vor.

Zum Gluck herrschte mildes Septemberwetter, so da? kein Feuer im Kamin brannte. Der Weihnachtsmann quetschte sich ins Freie. Seine rote Kleidung wies einige schwarze Flecken auf, die Quastenmutze sa? ihm schief auf dem Kopf, und auf seinem ru?verschmierten Gesicht lag ein murrischer Ausdruck.

»Warum haben Sie die Beluftungsklappen geschlossen?« wollte er wissen. »Das erschwert den Weg ganz erheblich. Au?erdem ist der Schornstein schon seit Jahren nicht mehr gereinigt worden.«

»Tut mir leid, Nikolaus«, erwiderte Azzie. »Ich habe Sie zu dieser Jahreszeit nicht erwartet. Nicht, da? Sie uns Damonen uberhaupt ofters besuchen wurden.«

»Das liegt daran, da? unsere Satzung uns vorschreibt, in erster Linie den Menschen Geschenke zu bringen. Und es werden taglich mehr.«

»Das kann ich verstehen«, versicherte Azzie. »Wir Damonen haben sowieso unsere eigenen Sitten, was Geben und Nehmen angeht. Aber warum sind Sie gekommen? Wenn dies ein Hoflichkeitsbesuch ist, hatten Sie auch die Vordertur benutzen konnen.«

»Dies ist kein privater, sondern ein geschaftlicher Besuch«, stellte der Weihnachtsmann klar. »Ich habe eine Eilzustellung fur eine junge Dame, die diese Adresse angegeben hat. Sie hei?t Ylith. Ist sie da?«

»Sie befindet sich in meinem Schlo?«, sagte Azzie. »Konnte ich Ihnen vielleicht behilflich sein?«

»Sie konnen diese Lieferung fur sie entgegennehmen.« Der Nikolaus zog ein gro?es, in farbenfrohes Papier eingeschlagenes Paket aus seinem Sack hervor.

»Sicher, ist mir ein Vergnugen.«

»Sorgen Sie auch bestimmt dafur, da? sie es bekommt?« vergewisserte sich der Nikolaus. »Es ist fur ein kleines Madchen namens Brigitte. Ylith hat es ihm versprochen.«

»Ich kummere mich darum.«

»Vielen Dank«, sagte der Weihnachtsmann. »Ich habe Ylith gegenuber erwahnt, wie einsam es am Nordpol ist. Sie hatte zugesagt, mir ein paar Hexen vorbeizuschicken, denen ich Geschenke geben und ein paar vergnugliche Stunden bereiten wollte.«

»Hexen werden immer uberschatzt. Sie wurden Ihnen nicht gefallen.«

»So, meinen Sie? Bevor Sie eine Hexe zuruckweisen, sollten Sie sich mal uber einen langeren Zeitraum hinweg ausschlie?lich auf Elfen beschranken. Also dann, ich mu? weiter.«

Azzie begleitete den Weihnachtsmann zur Vordertur. Er sah zu, wie der Nikolaus am Blumenspalier zum Dach hinaufkletterte, wobei er sich ziemlich gewandt fur einen Mann mit seiner Korperfulle bewegte. Kurz darauf klang das Klappern von Hufen auf. Dann herrschte wieder Stille.

Der Damon kehrte ins Haus zuruck und offnete das Paket.

Es enthielt ein winziges Gutshaus mit einem Bauernhof. Alles war hubsch mit kleinen Menschen- und Tierpuppen bevolkert und mit winzigen Fenstern, Spiegeln, Tischen und Stuhlen versehen.

»Irgendwie scheint mir nur noch eine kleine Guillotine zu fehlen«, uberlegte Azzie laut. »Mal sehen, ich hatte doch noch irgendwo eine rumliegen…«

PSYCHOLOGIE

KAPITEL 1

Wahrend der nachsten Tage machte der Marchenprinz weitere Fortschritte in der Kunst des Fechtens, allerdings nur, solange alles nach Plan verlief. Schon die kleinste Abweichung uberraschte ihn und storte seine Koordination. Er war wirklich sehr leicht abzulenken. Bei jedem Vogelruf oder dem Gerausch einer zuschlagenden Tur ruckte sein Kopf herum. Unebenheiten des Bodens bedrohten sein Gleichgewicht. Jeder Schritt nach vorn, den er machte, erweckte den Eindruck, als wiche er in Wirklichkeit zuruck. Jeder plotzliche Windsto? lie? ihn die Augen zusammenkneifen.

Doch es war in erster Linie seine Feigheit, die Azzie Sorgen machte, denn er wu?te, da? sie der eigentliche Grund fur alle anderen Zeichen von Unfahigkeit war.

Babriel sah sich die Sache lange Zeit kommentarlos an, auch wenn er jedes Mal uber die Ungeschicklichkeit des jungen Mannes oder die Art, wie der Prinz erschrak, sobald Frike sein Schwert hob, zusammenzuckte.

»Wo genau liegt sein Problem?« erkundigte er sich schlie?lich.

»Es ist das Herz eines Feiglings, das ich ihm gegeben habe. Anstatt ihm die notige Vorsicht zu verleihen, wie es meine Absicht war, erfullt es seinen gesamten Korper mit Angst.«

»Aber wenn er so angstlich ist, wie soll er dann in sein Abenteuer ziehen?«

»Mittlerweile bezweifle ich, da? er uberhaupt losziehen wird«, sagte Azzie. »Ich versuche, ihn zu motivieren, aber nichts funktioniert. Es scheint, als ware ich gescheitert, noch bevor ich uberhaupt begonnen habe.«

»Du liebe Gute«, seufzte Babriel.

»Ja, das kann man wohl sagen, und noch einiges mehr.«

»Aber Ihr Wettbewerbsbeitrag, das Marchen, das Sie auffuhren wollen…«

»Aus und vorbei, Schlu?, in den Sand gesetzt, connsumatus est und so weiter.«

»Das scheint mir ziemlich ungerecht«, stellte Babriel fest, »Aber warum die Flinte so schnell ins Korn werfen? Ich meine, Mist, zum Teufel damit, konnen Sie denn gar nichts dagegen tun?«

»Ich brauchte etwas Mutia fur ihn, aber meine Leute aus der Abteilung fur Ausrustung und Zubehor scheinen es nicht finden zu konnen.«

»Das konnen sie nicht? Mu? ein ziemlich lahmer Haufen sein, wenn ich mich nicht irre. Mal sehen, was meine Leute tun konnen.«

Azzie starrte ihn an. »Sie wurden mir Mutia besorgen?«

»Das habe ich Ihnen gerade vorgeschlagen«, bestatigte Babriel.

»Aber das ware nicht gut fur Sie!«

»Lassen Sie das meine Sorge sein«, erwiderte Babriel. »Sie sind so ein netter Gastgeber, und ich denke, ich bin Ihnen etwas schuldig. Und au?erdem, das Spiel mu? weitergehen, was?«

Er stand auf, wobei er den Kopf einziehen mu?te, weil sie unter einem niedrigen, mit Weinranken bewachsenen Bogengang gesessen hatten. Babriel griff in eine Tasche und kramte eine Kreditkarte aus Plastik hervor. Sie sah Azzies Karte sehr ahnlich, nur war sie wei? statt pechschwarz. Auf einer Seite war die Sternenkonstellation abgebildet, die zum Ende des Jahrtausends eintreten wurde. Babriel blickte sich nach einer geeigneten Stelle um, um seine Karte einzufuhren, konnte aber keine entdecken.

»Machen wir einen kleinen Spaziergang«, schlug er vor. »Vielleicht gibt es dort drau?en… Ah, da ist ja schon ein Lorbeerbaum. Die sind immer gut.« Er fand einen Ri? in der Rinde und schob seine Karte hinein.

»Und was soll jetzt passieren?« fragte Azzie.

»Geben Sie ihnen einen Moment Zeit.«, sagte Babriel, »Dies ist ein ungewohnlicher Ort fur einen Engel des Lichtes, um Kontakt aufzunehmen.«

»Wie geht es mit der gotischen Kathedrale voran?« erkundigte sich Azzie.

»Die Mauern sind schon sehr viel hoher«, erwiderte Babriel.

Plotzlich ertonte ein leiser Knall, gefolgt von einem Glockenspiel und Trompetenfanfaren, und vor ihnen erschien eine Angestellte der Abteilung fur Ausrustung und Zubehor von der Fraktion der Machte des Lichtes, eine junge blonde Frau. Sie trug ein schlichtes wei?es Gewand, aber Azzie entging trotzdem nicht, da? sie ziemlich hubsch war. Es wurde bestimmt Spa? machen, sich mit ihr zu vergnugen. Er schob sich an sie heran und begann, eine uralte Melodie mit dem Titel »Die Nacht, als ein Sunder einen Engel traf« zu summen.

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