Der weibliche Engel versetzte ihm einen kraftigen Schlag mit einem kleinen Auftragsbuch. »Benehmen Sie sich gefalligst«, wies sie ihn mit einer wohlklingenden Stimme zurecht, die Azzie verriet, da? sie es zwar ernst meinte, ihm sein Verhalten aber nicht ubelnahm. Dann wandte sie sich Babriel zu und fragte: »Wie kann ich Ihnen helfen?«
Azzie wollte ihr gerade erklaren, wie sie
»Ich wu?te, da? Sie es fur einen Sterblichen brauchen«, stellte die Abteilungsangestellte fest. »Mir hat schon der erste Blick genugt, um zu sehen, da? es
»Es ist sehr freundlich von Ihnen, das zu sagen«, erwiderte Babriel. »Gelobt sei der Herr!«
»Gelobt sei Sie!« gab die Angestellte zuruck.
»Was?« fragte Azzie. »Man hat mich bisher immer in dem Glauben gelassen…«
»Wir benutzen abwechselnd die Bezeichnungen ›Er‹ und ›Sie‹, wenn wir von dem Allmachtigen Prinzip des Guten sprechen«, erklarte Babriel.
»Manchmal sagen wir auch ›Es‹«, fugte die Angestellte hinzu. »Nicht, da? wir glauben, Sie ware ein Es, aber wir bemuhen uns, keine Vorurteile zu zeigen.«
»Konnen Sie sich nicht fur eine Version entscheiden?« wollte Azzie wissen.
»Es macht keinen Unterschied«, sagte die junge Frau. »Das Allmachtige Gute steht jenseits jeder Sexualitat.«
»Das entspricht nicht dem, was wir gelehrt werden«, entgegnete Azzie. »Nach Ansicht unserer Experten ist die Sexualitat die hochste Ausdrucksform des Bosen, besonders wenn sie gut ist. Genau so, wie es zwischen uns beiden sein konnte, Baby.« Bei den letzten Worten wurde seine Stimme heiser, und er verstromte einen intensiven Mochusgeruch.
Die Angestellte verzog das Gesicht, strich sich uber das Haar und wandte sich an Babriel. »Konnten Sie diesen absto?enden Geist des Bosen, der mich mit unverhullter Lusternheit anstarrt, nicht in seine Schranken verweisen?«
»Oh, ahm, so ist Azzie nun einmal«, erwiderte Babriel. »Er ist ein Damon, Sie verstehen. Von Damonen wird erwartet, da? sie sich so verhalten: unverschamt und lustern. Arme Seele, er kennt es nicht anders. Aber selbst fur Damonen ist die Erlosung nicht vollig unmoglich.«
»Gelobt sei der Herr!« rief die Angestellte.
»Gelobt sei Er!« schlo? sich Babriel ihr an.
»Hort mal, ihr zwei, konnten wir vielleicht auf das ganze Hosianna verzichten und uns jetzt um das Zeug kummern, das ich brauche?« warf Azzie ein. »Sie konnen ja spater in Ihrer freien Zeit rumturteln.«
»Was fur schreckliche Dinge Sie da sagen!« stie? die Angestellte errotend hervor und wandte den Blick ab. »Ich werde nach dem Mutia sehen. Warten Sie hier.« Sie verschwand auf bezaubernde Weise.
»Sie haben nettere Angestellte als wir«, stellte Azzie fest.
»Das liegt daran, da? unter der Herrschaft des Guten alle Geschopfe gleich sind. Da wir sowieso warten mussen, gonnte ich Ihnen vielleicht einige der grundlegenden Punkte unserer Doktrin erlautern.«
»Sparen Sie sich die Muhe«, wehrte Azzie ab. »Ich werde ein kleines Nickerchen machen.«
»Fallt Ihnen das so leicht?«
»Das Bose ist dafur bekannt, stets wachsam zu sein«, antwortete Azzie. »Es sei denn, es langweilt sich.«
Er schlo? die Augen. Kurz darauf verrieten seine gleichma?igen Atemzuge, da? er entweder eingeschlafen war oder es zumindest uberzeugend vortauschte.
Babriel, der sich selbst uberlassen blieb, sprach ein ellenlanges Gebet, in dem er um die Bekehrung und Erlosung samtlicher Geschopfe bat, einschlie?lich der Damonen. Als er es beendete hatte, kehrte die Angestellte zuruck.
»Ich habe ein Extrakt von Mutia«, verkundete sie und uberreichte Babriel ein kleines Flaschchen, in dem verschiedene Farben schwach funkelten – rot, violett, gelb und blau.
»Gro?artig«, sagte Babriel. »Wir danken Ihnen. Sie waren au?erst hoflich, hilfreich, freundlich…«
»Lassen Sie uns loslegen«, unterbrach Azzie. »Herzlichen Dank, Baby. Sollten Sie es sich jemals anders uberlegen…«
Die Abteilungsangestellte verschwand in einer Wolke der Emporung.
Azzie begab sich in die Kuche, um Frike zu erklaren, wie er das Mutia unter die Lauchcremesuppe des Marchenprinzen mischen sollte. Auch wenn er Babriel dafur dankbar war, ihm die Substanz besorgt zu haben, blieb er doch zutiefst mi?trauisch. Warum war der Engel so hilfsbereit gewesen? Reine Gro?zugigkeit schien ihm kein ausreichender Grund zu sein. Waren Engel fahig, ein doppeltes Spiel zu spielen? Was hatte Babriel vor?
KAPITEL 2
An diesem Abend verabreichte Azzie dem Marchenprinzen eine Dosis Mutia, und sein Schutzling zeigte bemerkenswerte Fortschritte. Im Lauf der nachsten Tage nahmen seine Geschicklichkeit im Umgang mit dem Schwert und seine Angriffslust standig zu, wahrend sein Interesse an den Puppen erlosch.
Azzie schien der richtige Zeitpunkt gekommen zu sein, die Sprache wieder auf die bevorstehende Mission des Prinzen zu bringen.
»Ich mochte mich noch einmal mit dir uber deine Zukunft unterhalten«, sagte er eines ruhigen Nachmittags, als er zusammen mit dem Marchenprinzen im gro?en Wohnzimmer seines Anwesens sa?.
»Ja, Onkel?«
»Erinnerst du dich noch daran, was ich dir von der Schlummernden Prinzessin erzahlt habe?« fragte Azzie. »Es wird allmahlich Zeit, da? du dich auf den Weg zu ihr machst.«
»Ich hatte nichts dagegen, mich an einem koniglichen Hof herumzutreiben«, sagte der Marchenprinz.
»Schlag dir das aus dem Kopf. Was vor dir liegt, ist ein gro?es Abenteuer.«
»Das ist schon, Onkel. Aber wei?t du, ich habe mich gefragt, warum ich sie uberhaupt finden, kussen und all das tun soll.«
Azzie schlug einen au?erst bedeutsamen Tonfall an. »Mein Junge, vor langer Zeit wurde niedergeschrieben, da? nur ein Ku? auf den Mund von ihrem wahren Geliebten die Prinzessin aus ihrem Schlaf befreien kann.«
»Hoffentlich klappt das auch«, murmelte der Prinz.
»Naturlich wird es das! Du, mein Marchenprinz, bist der vom Schicksal auserkorene Geliebte und spatere Ehemann dieser holden Maid.«
»Bist du dir wirklich sicher, da? ich damit gemeint bin, Onkel? Ich meine, woher wei?t du, da? das nicht das Abenteuer irgendeines anderen Burschen ist?«
»Weil es so geschrieben steht.«
»Wo?«
»Das braucht dich nicht zu interessieren«, sagte Azzie. »Nimm einfach mein Wort darauf. Wenn ich sage, da? es so geschrieben steht, dann steht es auch so geschrieben. Mein Junge, du bist ein sehr glucklicher Jungling. Prinzessin Rosenrot ist das schonste aller Madchen, und sie bringt eine stattliche Mitgift mit. Es wird sich schwierig und gefahrlich gestalten, zu ihr zu gelangen, aber ich wei?, da? du es schaffen wir st.«
»Wie schwierig? Wie gefahrlich?«
»Es gibt da einen verzauberten Wald, den du durchqueren mu?t«, erklarte Azzie. »Du mu?t gegen verschiedene Wesen kampfen, die in diesem Wald hausen. Dann ist da ein glaserner Berg, den du irgendwie besteigen mu?t.«
»Das hort sich au?erordentlich schwierig an«, meinte der Marchenprinz. »Ein glaserner Berg, was? Vielleicht konnte ich es schaffen, aber ich wei? es nicht.«
»Ich werde dafur sorgen, da? dir nichts zusto?t«, versprach Azzie. »Vertrau deinem alten Onkel Azzie. Habe ich dich jemals in Schwierigkeiten gebracht?«
»Und dazu wirst du auch diesmal keine Gelegenheit bekommen«, erwiderte der Prinz. »Ich werde die Reise namlich nicht antreten.«
»Sieh dir wenigstens mal ihr Bild an«, bat Azzie und zeigte dem Marchenprinzen das Miniaturgemalde. »Na, was meinst du?«
»Sie sieht ganz passabel aus«, sagte der Prinz in einem vollig gleichgultigen Tonfall.
»Hubsch, was?« hakte Azzie nach.