zur rechten Zeit mit einer Kutsche zu Euch schicken, die aus einem Kurbis gemacht wurde.«

»Oh… aber werde ich dann nicht mein Kleid mit Kurbissaft beschmutzen?«

»Auf keinen Fall. Das Innere ist mit kostbarster gewasserter Seide ausgekleidet.«

»Gewassert?«

»Sie ist trocken, macht Euch deswegen keine Sorgen.«

»Vielen Dank! Vielen Dank!« Rosenrot hastete davon, um Ylith von der wunderbaren Einladung zu erzahlen.

»Gemach, Kind, Azzie hat das gesamte Schlo? mit einem Zauberbann belegt«, gab Ylith zu bedenken. »Es ware eine Generalvollmacht erforderlich, um dich hier rauszubringen. Und die kann nur von den Machten der Finsternis ausgestellt werden.«

»Was kann ich denn tun?«

»Nichts, mein armer Liebling«, erwiderte Ylith. »Wenn du allerdings Azzies unbegrenzte Kreditkarte hattest«, uberlegte sie laut, »ware einiges moglich. Und er tragt sie ganz sorglos in seiner Westentasche. Du mu?t nur hoffen, da? er sie bei seinem nachsten Besuch ablegt. Dann kannst du sie dir nehmen, bevor er sie vermi?t.«

»Aber was, wenn er sie nicht ablegt?«

»Deine eigenen Hande konnten dir helfen«, sagte Ylith. »Besonders deine linke.«

Rosenrot betrachtete ihre Hande. Die linke, diejenige der Taschendiebin, war ein wenig kleiner als die rechte und sah irgendwie – Prinzessin Rosenrot wu?te nicht, wie sie es bezeichnen sollte – gerissener als die andere aus.

»Was ist mit meiner linken Hand? Ich kann sehen, da? sie klein und wahrscheinlich auch feinfuhlig ist. Aber was hat es mit ihr auf sich?«

»Diese Hand hat eine besondere Begabung, dir zu besorgen, was du brauchst.«

»Und wenn ich die Karte hatte?«

»Nun, dann konntest du dir ein Ballkleid bestellen und dich mit dem Zauberballdienst in Verbindung setzen. Dann konntest du auf den Ball gehen, vorausgesetzt, du kommst gleich danach zuruck.«

»Warum erzahlst du mir das alles?«

Ylith wandte den Blick ab. »Aus Zorn und Mitleid, Liebes«, erwiderte sie schlie?lich. »Das erste ist eine Starke, das zweite eine Schwache. Nimm also an, da? es sich hauptsachlich um ersteres handelt. Au?erdem wird es Zeit, da? du etwas uber Balle lernst. Und uber den freien Willen.«

Sie tatschelte Prinzessin Rosenrots linke Hand, der es dabei fast gelang, ihr einen Diamantring vom Finger zu streifen. »Ja«, fuhr sie fort, »zur Holle mit Azzie.« Und dann lachelte Ylith. »Das ist ein Akt der Gnade fur dich.«

KAPITEL 6

Als Azzie das nachste Mal zu Besuch kam, lachelte Prinzessin Rosenrot uber das ganze Gesicht. Sie plauderte uber ihre Traume, die das einzige Interessante in ihrem taglichen Leben waren. Dann zeigte sie Azzie einige Tanzschritte, an die sie sich aus der Zeit vor ihrem Tod erinnern konnte. Sie tanzte wie entfesselt einen Seguidilla, ihre kleinen Fu?e trommelten uber den Boden, drehten Pirouetten und lie?en sie durch den Raum wirbeln und in Azzies Armen landen.

»La? mich dich umarmen, Onkel!« rief sie. »Du hast so viel fur mich getan!«

Azzie spurte den Druck ihrer kleinen spitzen Bruste, und die Beruhrung lenkte ihn von dem ab, was ihre geschickten schlanken Finger taten.

»Hast du sie?« erkundigte sich Ylith, nachdem sie mit Rosenrot allein war.

Die Prinzessin lachelte, wobei sie ihre ebenma?igen kleinen Zahne und die Grubchen in ihren Wangen zeigte. Triumphierend hielt sie die Schwarze Kreditkarte hoch. »Hier ist sie!«

»Gut gemacht«, lobte Ylith. »Jetzt mu?t du sie nur noch benutzen.«

»Ja«, sagte Rosenrot und versuchte, ein Gahnen zu unterdrucken. »Aber was soll ich gegen diesen verdammten Schlummerzauber tun?«

»Trink einen guten kraftigen Schluck Jauche«, erwiderte Ylith. »Ich werde noch einen Zauber hinzufugen. Dann wirst du drei oder vier Stunden langer als sonst schlafen und dafur hinterher drei oder vier Stunden langer wach bleiben.«

Rosenrot strahlte. »Mach schnell«, sagte sie.

KAPITEL 7

Die Kurbiskutsche rollte lautlos auf ihren aus Rettichen geschnitzten Radern zu dem uberdachten Empfangsbereich. Der Froschlakai hupfte vom Kutschbock und offnete die Tur fur Rosenrot. Sie trat hinaus, sorgsam darauf bedacht, ihr Festgewand nicht in Unordnung zu bringen. Es war ein wunderschones Kleid aus rosarotem Tull mit einem Hyazinthenmuster, von Michael von Perugia exklusiv fur sie entworfen und mit Azzies Kreditkarte bezahlt. Uniformierte Pagen hie?en sie willkommen und fuhrten sie ins Schlo?. Der Ballsaal erstrahlte in Licht und leuchten, den Farben. Das Orchester befand sich am anderen Ende. Prinzessin Rosenrot war wie geblendet. Niemals zuvor hatte sie etwas derart Aufregendes gesehen. Es war wie eine Szene aus einem Marchen, und der Umstand, da? sie selbst einem Marchen entsprungen war, machte es nicht weniger wunderbar.

»Ihr mu?t Prinzessin Rosenrot sein!« wurde sie von einer strahlend schonen jungen Frau angesprochen, die ungefahr in ihrem Alter war.

»Seid Ihr Prinzessin Aschenbrodel?« fragte Rosenrot.

»Woran habt Ihr mich erkannt? Habe ich Ru? an der Nase?«

»Oh, nein… ich habe nur angenommen… da ich Eure Einladung bekommen habe…« Rosenrot war vollig verwirrt, aber Aschenbrodel nahm ihr mit einem Lachen die Unsicherheit. »Das war nur ein kleiner Scherz! Ich bin so froh, da? Ihr kommen konntet. Wie ich gehort habe, steht Ihr unter einem Schlafzauber.«

»Genaugenommen ist es ein Schlummerzauber. Aber wie habt Ihr davon erfahren?«

»Nachrichten verbreiten sich schnell im Reich der Marchen«, erklarte Aschenbrodel. »In den oberen Stockwerken gibt es viele Ruheraume, solltet Ihr einen brauchen, und wir haben eine Menge stimulierender Mittel, falls der Bann, unter dem Ihr steht, auf chemische Substanzen reagiert.«

»Nicht notig«, wehrte Rosenrot ab. »Ich konnte eine vorubergehende Aufhebung des Banns erreichen.«

»Wie auch immer Ihr das geschafft habt, ich bin sehr froh, da? Ihr kommen konntet. Das ist der diesjahrige Debutantinnenball, mu?t Ihr wissen. Wir haben viele ansprechende Junggesellen unter unseren Gasten, hauptsachlich Angehorige des Adels, aber auch ein paar Unternehmer und beruhmte Burger wie Hans von der Bohnenstange und Peer Gynt. Kommt mit, ich werde Euch ein Glas Champagner besorgen und Euch einigen Leuten vorstellen.«

Aschenbrodel gab Rosenrot ein Glas mit perlendem Champagner, nahm sie an der Hand und fuhrte sie von einer Gruppe prachtig gekleideter Gaste zur nachsten. Rosenrot schwirrte bald der Kopf, und die Musik – laut und rhythmisch – lie? ihre Tanzerinnenbeine zucken. Sie war sehr erfreut, als ein hochgewachsener, dunkelhautiger attraktiver Mann, der einen Anzug aus goldenem Lame und einen karmesinroten Turban trug, sie um einen Tanz bat.

Sie wirbelten durch den Tanzsaal. Der Mann mit dem Turban stellte sich ihr als Achmed Ali vor. Er war ein begnadeter Tanzer, der die neusten Schritte beherrschte. Rosenrot besa? den Instinkt und die schnelle Auffassungsgabe der geborenen Tanzerin fur die richtigen Schritte, und so beherrschte sie schon bald den Gespreizten Ententanz, den Wippenden Ellbogen, den Pygmaenhupfer, das Rasende Knickbein und den Doppelten Vielfra?, eben die aktuellen Tanzerrungenschaften dieses ereignisreichen Jahres der Jahrtausendwende. Achmed schien geradezu uber den Boden zu schweben und war Rosenrots erstaunlicher Begabung durch sein kaum minder ausgepragtes Talent ebenburtig. Die anderen Tanzer wichen zuruck, um ihnen Platz zu machen, so augenscheinlich war das junge Paar den anderen uberlegen. Das Orchester wechselte in den Schwanensee uber, weil der Tanz der beiden wie ein Ballett anmutete. Achmed und Rosenrot wirbelten unermudlich im Kreis herum, wahrend die Trompeten schmetterten und die Stahlsaiten der Gitarren weinten, drehten immer kuhnere Pas de deux, kreisten, trippelten und stampften unter standig lauter werdendem Applaus. Zum Abschlu? tanzte Achmed mit Rosenrot aus dem Ballsaal auf einen kleinen Balkon hinaus.

Unter dem Balkon lag ein Teich. Der Mond war gerade aufgegangen, und kleine silberne Wellen liefen uber

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