das Wasser dem dunklen Ufer entgegen. Prinzessin Rosenrot wedelte sich mit einem chinesischen Facher, den sie von der Abteilung fur Ausrustung und Zubehor bekommen hatte, Kuhlung zu und sagte an Achmed gewandt in der formellen hofischen Wortwahl: »Furwahr, edler Herr, nie habe ich einen Tanzer auf einem Ball gesehen, der Euch gleichkame.«
»Und ich keine Tanzerin wie Euresgleichen«, erwiderte Achmed galant das Kompliment. Er hatte eine kuhn geschwungene Nase, ebenma?ige Zuge und ausdrucksstarke bla?rosafarbene Lippen, die perlmuttwei?e Zahne zeigten, wenn er sie zu einem Lacheln verzog. Er erzahlte Rosenrot, da? er ein Prinz vom Hofe des Gro?en Herrschers uber alle Turken sei, dessen Reich sich von den nebligen Grenzen des ostlichen Turkistans bis zu den wogenumbrandeten Kusten Kleinasiens erstreckte. Er beschrieb die Pracht des herrschaftlichen Palastes, der so viele Zimmer umfa?te, da? sie fur jeden unzahlbar waren, der nicht die mathematische Zauberlehre beherrschte. Er schilderte ihr die bedeutendsten Merkmale des Palastes, die Karpfenteiche, die Heilwasserquellen, die gro?e Bibliothek, in der man Schriften aus der ganzen Welt finden konnte. Er erwahnte die Kuchen, in denen jeden Tag die au?ergewohnlichsten und herrlichsten Kostlichkeiten zur Ergotzung der glucklichen und begabten jungen Leute zubereitet wurden, die den Palast bevolkerten. Er sagte ihr, wie sehr sie all die anderen Schonheiten am Hof durch die nie zuvor gesehene Lieblichkeit ihrer zarten und ebenma?igen Zuge uberstrahlen wurde. Er erklarte ihr, da? er ihr trotz ihrer erst kurzen Bekanntschaft hoffnungslos verfallen sei, und bat sie, ihn zu begleiten, damit er ihr die Pracht des Reiches des Gro?en Herrschers uber alle Turken zeigen konnte, und wenn sie wollte, konnte sie eine Weile dort bleiben. Er malte ihr die kostbaren Geschenke aus, mit denen er sie uberhaufen wurde, und so fuhr er noch lange Zeit mit seinen Schilderungen und verfuhrerischen Versprechungen fort, bis sich im Kopf der Prinzessin alles im Kreis drehte.
»Ich wurde gern mit Euch kommen und all diese Dinge sehen«, sagte sie, »aber ich habe meiner Tante versprochen, sofort nach dem Ball nach Hause zuruckzukehren.«
»Kein Problem«, erwiderte Achmed. Er schnippte mit den Fingern. Ein schnalzender Laut erfullte die Luft, und dann erblickte Prinzessin Rosenrot einen herrlichen gro?en Perserteppich, der anscheinend aus dem Nichts aufgetaucht war und jetzt in Hohe des Balkons schwebte.
»Das ist ein Fliegender Teppich«, erklarte Achmed. »Es ist ein allgemein gebrauchliches Transportmittel in meinem Land, mit dessen Hilfe ich Euch zum Hof des Gro?en Herrschers uber alle Turken mitnehmen kann, um Euch alles zu zeigen und Euch wieder hierher zuruckzubringen, bevor der Abend vorbei ist.«
»Das klingt sehr verlockend«, erwiderte Rosenrot, »aber ich sollte wirklich nicht…«
Achmed Ali lie? ein unglaublich hinrei?endes Lacheln aufblitzen und trat vom Balkon auf den Teppich. Er drehte sich zu Rosenrot um und streckte ihr die Hand entgegen.
»Kommt mit mir, wunderschone Prinzessin«, sagte er. »Ich bin verruckt nach Euch. Ich werde Euch viel Vergnugen bereiten, Euch in jeder Beziehung respektieren und Euch rechtzeitig wieder hier abliefern, so da? Ihr wie ursprunglich geplant zu Eurer hochgeschatzten Tante zuruckkehren konnt.«
Prinzessin Rosenrot wu?te, da? sie es nicht tun sollte. Aber die unerwartete Freiheit, die vorubergehende Erlosung aus dem Schlummerbann, die Gegenwart des geheimnisvollen und verfuhrerischen Achmed Ali, das ungewohnte Glas Champagner und der Duft der Mater-Delirium-Pflanze, die unter dem Balkon wuchs, das alles wuhlte ihre Sinne auf und lie? sie kuhn werden. Ohne richtig zu wissen, was sie tat, ergriff sie Achmeds dargebotene Hand und trat auf den Teppich.
KAPITEL 8
Aschenbrodel wollte gerade zum reichhaltigen Bufett gehen, um sich noch ein Glas Champagner und vielleicht auch eine Schale Sorbet zu holen, als sich ihr ein Lakai naherte, sich verbeugte und sagte: »Da ist jemand, Prinzessin, der Euch sprechen mochte.«
»Ein Mann?«
»Ein Damon, nehme ich an, obwohl er die Gestalt eines Mannes hat.«
»Ein Damon«, uberlegte Aschenbrodel. »Ich kann mich nicht daran erinnern, irgendwelche Damonen eingeladen zu haben.«
»Ich glaube, da? er sich selbst eingeladen hat, Prinzessin«, sagte der Lakai und versuchte, eine passende Gelegenheit zu finden, um zu erwahnen, da? er selbst ein verkleideter Prinz ware.
»Was will er?«
»Ich wei? es nicht«, bekannte der Lakai und strich sich mit dem Handrucken uber seinen buschigen Schnurrbart. »Er behauptet, da? es sich um eine au?erst wichtige Angelegenheit handelt.«
Das Wortgeplankel hatte noch ewig so weitergehen konnen, ware Azzie nicht in diesem Augenblick aufgetaucht. Er durchquerte zugig den Saal, obwohl sich zwei Tursteher an seinen Rockscho?en festklammerten und ihn aufzuhalten versuchten, in den Handen zwei Besenstiele.
Azzie schuttelte sich kurz, worauf die Manner zu Boden geschleudert wurden, und fragte: »Seid Ihr Prinzessin Aschenbrodel?«
»Die bin ich.«
»Und das ist Euer Fest?«
»So ist es. Und solltet Ihr vorhaben, es zu ruinieren, mochte ich Euch darauf hinweisen, da? ich meine eigenen Damonen zur Verfugung habe, die ich jederzeit rufen kann.«
»Wie es scheint, habt Ihr meine Nichte, Prinzessin Rosenrot, auf Euren Ball eingeladen.«
Aschenbrodel sah sich um. Einige der Gaste schienen das Gesprach aufmerksam zu verfolgen, und der Lakai war immer noch da. Er zwirbelte seinen lacherlichen Schnurrbart, wahrend er versuchte, sich und seine zweifelhaften Referenzen an den Mann zu bringen.
»Kommt mit mir ins Separee«, bat Aschenbrodel. »Dort konnen wir uns in Ruhe unterhalten.«
»Ihr konnt Eure Besenstiele in die Ecke stellen«, sagte sie, nachdem sie den Raum betreten hatten.
»Ich ziehe es vor, sie in der Hand zu behalten«, erwiderte Azzie. »Genug der belanglosen Plauderei. Wo ist Rosenrot?«
»Seid Ihr wirklich ihr Onkel? Ihr hattet das Kind nicht so lange allein in dem verwunschenen Schlo? lassen sollen. Ich dachte nicht, da? es irgendwelche Probleme verursachen wurde, sie auf mein Fest einzuladen.«
»Wo ist sie in diesem Augenblick?« fragte Azzie und klopfte unheilverkundend mit dem Fu? auf den Boden.
Aschenbrodel lie? den Blick durch den Saal wandern, konnte Rosenrot jedoch nicht entdecken. Sie rief einen Lakaien herbei – nicht den mit dem Schnauzer, dieser hier trug einen kleinen Spitzbart – und beauftragte ihn damit, Prinzessin Rosenrot zu suchen.
Kurz darauf kam der Lakai auch schon wieder zuruckgeeilt. »Wie ich erfahren habe, hat sie das Schlo? in Begleitung des Herrn mit dem Turban, Achmed Ali, verlassen.«
»Wie haben sie das Schlo? verlassen?« fragte Azzie den Diener.
»Mit einem Fliegenden Teppich, Exzellenz.«
Azzie rieb sich nachdenklich das Kinn. »Und in welche Richtung sind sie geflogen?«
»Genau nach Osten, Exzellenz.«
»Wi?t Ihr, wer dieser Mann ist?« wandte sich Azzie an Aschenbrodel.
»Er ist ein Edelmann vom Hof des Gro?en Herrscher uber ganz Turkistan.«
»Ist das alles, was Ihr uber ihn wi?t?«
»Wi?t Ihr denn irgend etwas
»Hat er Euch gesagt, welche Stellung er am Hof bekleidet?«
»Nein, nicht direkt.«
»Er ist der Oberste Beschaffer fur das Serail des Gro?en Herrschers uber alle Turken.«
»Woher wi?t Ihr das?«
»Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, solche Dinge zu wissen«, sagte Azzie.
»Ein Kuppler! Ihr meint doch bestimmt nicht…«
»Ich meine«, fiel ihr Azzie ins Wort, »da? Prinzessin Rosenrot genau in diesem Augenblick zum Zweck des Madchenhandels und der hochherrschaftlichen Prostitution uber internationale Grenzen verschleppt wird.«
»Ich hatte ja keine Ahnung!« rief Prinzessin Aschenbrodel. »Wo ist mein Gro?wesir? Streicht Achmed Ali von der Gasteliste! Tilgt seinen Namen mit einem doppelten Strich aus! Mein lieber Damon, ich kann Euch gar nicht sagen, wie sehr es mir leid…«
Aber da sprach sie schon mit sich selbst. Azzie war bereits auf den Balkon gesprungen, hielt nur einen kurzen Moment inne, um den Antrieb der Besen zu aktivieren, schwang sich in die Luft und flog genau nach