Der Marchenprinz wanderte den ganzen Tag lang durch den Wald. Der Untergrund war einigerma?en eben, es gab etliche glitzernde Bache, und von Zeit zu Zeit kam er an einem Obstbaum vorbei, von dem er sich sein Essen pflucken konnte. Die Sonnenstrahlen fielen schrag durch das Laubdach und vergoldeten die Blatter und Zweige. Irgendwann erreichte er eine Lichtung, auf der er Rast machte.
Als er erwachte, war der Abend hereingebrochen. Irgend etwas bewegte sich im dusteren Zwielicht. Der Prinz rappelte sich auf, verkroch sich im Gebusch und wollte schon nach seinem Schwert greifen, als er sich wieder erinnerte, Excalibur zuruckgelassen zu haben. Also zog er ein Messer, spahte durch die Zweige des Brombeerstrauchs und sah, wie ein kleines struppiges Pony auf die Lichtung trat.
»Hallo, junger Mann!« rief das Pony, blieb stehen und starrte auf den Busch.
Es uberraschte den Marchenprinzen nicht, da? das Pony sprechen konnte, schlie?lich befand er sich in einem verzauberten Wald.
»Hallo«, erwiderte er den Gru?.
»Wohin wollt Ihr?« fragte das Pony.
»Ich suche ein verwunschenes Schlo?, das irgendwo hier in der Nahe sein soll«, antwortete der Prinz. »Es ist meine Aufgabe, eine Maid namens Prinzessin Rosenrot zu retten, die dort in einem Zauberschlaf liegt.«
»Ach, mal wieder die alte Schlummernde-Prinzessin-Kiste«, sagte das Pony. »Nun, Ihr seid nicht der erste, der in dieser Gegend nach ihr sucht.«
»Wo sind die anderen?«
»Sie sind alle umgekommen«, erwiderte das Pony. »Abgesehen von einigen wenigen, die immer noch auf der Suche sind, aber demnachst ebenfalls umkommen werden.«
»Oh… Nun, das tut mir leid fur sie«, sagte der Marchenprinz, »aber ich nehme an, da? die Dinge so laufen mussen. Die Geschichte hatte keinen Sinn, wenn der falsche Bursche die Prinzessin aufwecken wurde.«
»Also seid Ihr der richtige Mann?« erkundigte sich das Pony.
»Der bin ich.«
»Wie hei?t Ihr?«
»Man nennt mich den Marchenprinzen.«
»In Ordnung, dann seid Ihr der richtige. Man hat mich geschickt, um Euch zu suchen.«
»Wer hat dich geschickt?«
»Das darf ich jetzt noch nicht verraten«, entgegnete das Pony. »Ihr werdet spater alles erfahren. Das hei?t, wenn Ihr lange genug lebt.«
»Das werde ich auf jeden Fall«, versicherte der Prinz. »Schlie?lich bin ich der richtige.«
»Steigt auf meinen Rucken«, schlug das Pony vor. »Wir konnen alles weitere unterwegs besprechen.«
KAPITEL 4
Der Marchenprinz ritt auf dem Pony durch den Wald, bis sich die Baume schlie?lich lichteten und er ein Feld sehen konnte, auf dem viele Zelte standen. Zwischen den Zelten schlenderten Ritter in Freizeitrustungen umher, a?en gegrilltes Fleisch und schakerten mit jungen Madchen, die spitze Hute mit zarten Schleiern trugen und Wein, Met und andere Getranke ausschenkten. Es gab sogar eine kleine Kapelle, die eine muntere Weise spielte.
»Das sieht mir nach einem freundlichen Haufen aus«, sagte der Marchenprinz.
»Glaubt das lieber nicht«, erwiderte das Pony.
»Warum nicht?«
»Vertraut mir einfach.«
Ein Teil seines Verstandes, der uraltes Wissen beherbergte, sagte dem Marchenprinzen, da? auf den Rat von struppigen kleinen Ponys, die auf geheimnisvolle Weise in Waldern erschienen, Verla? war. Andererseits aber wu?te er auch, da? man diesem Rat nicht folgen sollte, da man nie etwas Interessantes erleben wurde, wenn man immer auf die Stimme der Vernunft horte.
»Aber ich bin hungrig«, wandte er ein. »Und au?erdem kennen diese Ritter vielleicht den Weg zum verwunschenen Schlo?.«
»Werft mir spater nicht vor, ich hatte Euch nicht gewarnt«, sagte das Pony.
Der Prinz stie? ihm die Fersen in die Weichen, und es trottete weiter.
»Ho, da!« rief er, als er sich den Rittern naherte.
»Auch Euch ho!« riefen die Ritter zuruck.
Der Marchenprinz kam noch naher.
»Seid Ihr ein Ritter?« fragte einer der Gesellen.
»Allerdings.«
»Wo ist dann Euer Schwert?«
»Das ist eine ziemlich merkwurdige Geschichte«, erwiderte der Marchenprinz.
»Wollt Ihr sie uns nicht erzahlen?«
»Ich bin einem Schwert namens Excalibur begegnet«, berichtete der Jungling. »Ich habe es zuerst fur ein gutes Schwert gehalten, aber kaum hatten wir uns gemeinsam auf die Reise begeben, da sagte es mir Dinge, die Ihr nicht glauben wurdet. Und es wurde immer merkwurdiger, bis ich schlie?lich fliehen mu?te, weil es mich sonst getotet hatte.«
»Das ist also Eure Geschichte?« vergewisserte sich einer der Ritter.
»Das ist nicht meine
Der Ritter machte eine Geste, worauf zwei andere Ritter mit einem hellblauen Samtkissen aus einem wei?en Zelt hervortraten. Auf dem Kissen lag ein Schwert. Es war zerbeult, mit Rost bedeckt, und die Parierstangen waren arg mitgenommen, aber es handelte sich unverkennbar um Excalibur.
»Ist das Euer Schwert?« fragte der Ritter.
»Ja«, bestatigte der Marchenprinz, »obwohl es nicht so ausgesehen hat, als ich es zuletzt gesehen habe.«
»Danke, Leute«, meldete sich Excalibur mit dunner, zitternder Stimme zu Wort. »Ich glaube, ich kann jetzt ohne Hilfe stehen.«
Es erhob sich von seinem Kissen, kippte dabei fast um und stand dann sicher auf der Spitze. Das helle Juwel in seinem Knauf starrte den Prinzen an, ohne zu blinzeln.
»Er ist es wirklich«, sagte Excalibur. »Das ist der Kerl, der mich auf dem Schlachtfeld zuruckgelassen hat.«
Die Ritter wandten sich dem Marchenprinzen zu. »Das Schwert behauptet, Ihr hattet es auf dem Schlachtfeld im Stich gelassen. Ist das wahr?«
»So war es nicht«, widersprach der Marchenprinz. »Das Schwert phantasiert.«
Das Schwert schwankte kurz und fand dann das Gleichgewicht wieder. »Meine Freunde, sehe ich etwa nicht ubel zugerichtet aus?« fragte es. »Ich sage Euch, er hat mich ohne jeden Grund fortgeworfen und mich dem Rostfra? uberlassen.«
Der Marchenprinz tippte sich mit dem Finger an die Stirn, um anzudeuten, da? das Ding verruckt ware.
Die Ritter schienen nicht uberzeugt zu sein. Einer sagte mit absichtlich lauter Stimme zu einem anderen: »Vielleicht ein bi?chen komisch, aber eindeutig nicht verruckt.«
Wieder ein anderer Ritter, ein gro?er graubartiger Mann mit raubvogelartigen Augen und den schmalen Lippen eines Anfuhrers, zuckte ein liniertes Blatt Pergament und eine Schreibfeder.
»Name?«
»Marchenprinz.«
»Vorname?«
»Das ist der ganze Name.«
»Beruf?«
»Prinz.«
»Derzeitige Tatigkeit?«
»Mission.«
»Welche Art von Mission?«
»Mythisch.«
»Inhalt der Mission?«
»Erweckung Schlummernder Prinzessin.«