»He, da!« Eine unsichere Hand tastete herum und schlo? sich um den Knochel des Marchenprinzen. »Jungs, wi?t ihr, was ich hier erwischt habe?«

»Warum hast du die Hand so seltsam halb zur Faust geballt, Angus?« riefen die anderen.

»Weil, meine Freunde, ich damit einen unsichtbaren Spion festhalte.«

»Ich bin kein Spion!« rief der Marchenprinz.

»Aber du bist unsichtbar, oder willst du das etwa auch abstreiten?«

Der Marchenprinz ri? sich los und rannte davon. Die Ritter sprangen auf, jagten hinter ihm her und weckten auch den Rest ihrer Gefahrten mit ihrem lauten Gebrull.

Ihre Schreie verfolgten den Marchenprinzen und wurden von anderen Schreien beantwortet, die vor ihm aufklangen. Zuerst hielt der Prinz sie fur ein Echo, doch die Tatsache, da? sie immer lauter wurden, lie? ihn bald die Wahrheit erkennen. Die Damonenritter befanden sich nicht nur hinter, sondern auch vor ihm. Sie mu?ten schnell vorausgeeilt sein, um ihm den Weg abzuschneiden. Ihm wurde nichts anderes ubrigbleiben, als durch ihre Reihen zu schlupfen.

Als er kurz stehenblieb, um den Mantel fester um sich zu ziehen, sah er fasziniert, wie seine Hand unsichtbar wurde, als der Stoff sie bedeckte. Er konnte durch sie hindurch auf den Boden sehen.

Naturlich blieb der Teil der Hand, der nicht vom Stoff bedeckt wurde, auch weiterhin sichtbar. Die Tatsache, da? der Arm, an dessen Ende sie sich befand, unsichtbar war, machte sie sogar noch auffalliger.

Hastig wickelte sich der Marchenprinz so gut wie moglich in den Mantel, rannte weiter und stie? auf ein grasbewachsenes Feld. Reiter tauchten im Mondlicht am Rand der Wiese auf. Dann streckte einer von ihnen den Arm aus, fuchtelte damit herum und rief: »Er mu? dort sein, wo das Gras niedergetrampelt ist!« Sofort preschte ein Trupp los.

Der Marchenprinz wich in den Wald zuruck und fand eine kleine Hohle, in der er sich so lange versteckte, bis er das Futter des Mantels herausgerissen hatte. Wie er gehofft hatte, besa? es die gleichen Eigenschaften wie der Mantelstoff selbst, obwohl es sehr dunn war. Deshalb konnte er daraus eine Maske anfertigen, die seinen Kopf vollstandig bedeckte und ebenfalls unsichtbar machte.

Allerdings konnte er nicht verhindern, da? er Spuren hinterlie?, Fu?abdrucke auf dem Boden, wo Laub, Gras und kleine Zweige zerquetscht worden waren. Aber dadurch, da? jetzt auch sein Kopf unsichtbar war, wurde er noch schwerer zu entdecken sein.

Er rannte weiter, obwohl ihm klar war, da? er in seiner Hast eine deutliche Fahrte legte und es kluger gewesen ware, sich langsamer und vorsichtiger zu bewegen, solange er sich mitten unter seinen Verfolgern befand. So wurde sich ein echter Marchenprinz verhalten, dachte er, aber das war ihm unmoglich. Seine langen Beine hoben und streckten sich wie im Rausch und flohen vor der Gefahr, aber die Pferde seiner Verfolger waren noch schneller. Sie naherten sich von allen Seiten, und die Reiter hatten keine allzu gro?e Muhe, seinen Weg aufgrund des Zuruckweichens und des Abknickens der Zweige auszumachen.

Sie schossen auf ihn zu, die Stahlspitzen ihrer Lanzen auf ihn gerichtet. Voraus konnte er jetzt eine Lichtung erkennen, aber er bezweifelte, sie noch rechtzeitig zu erreichen, was um so qualender war, als er dort einen langen Streifen aus Kalkgestein entdeckte, auf dem er keine Fu?abdrucke hinterlassen wurde. Es wurde au?erst knapp werden.

Einer der Ritter zielte mit der Lanze direkt auf ihn und preschte los.

Die Rettung erfolgte genau in diesem Moment hochster Gefahr. Der Marchenprinz wu?te nicht, ob sie naturlichen Ursprungs war oder ob Azzie irgendwie die Hande im Spiel hatte. Bisher hatte Windstille geherrscht, jetzt aber kam unvermittelt ein boiger Wind auf, ein ausgewachsener Sturm, der von eisigem Regen und Hagelschauern begleitet wurde.

Uberall geriet das Laub in wilde Bewegung und verwischte die Spuren seiner Flucht.

Der Ritter, der ihm am nachsten war, verfehlte ihn um fast zwei Meter, der nachste kam nicht einmal in seine Nahe. Die Damonen verteilten sich und versuchten, ihn einzukreisen, aber der Marchenprinz schlupfte mit Leichtigkeit zwischen ihnen hindurch und gelangte auf den felsigen Untergrund, auf dem er keine Spuren mehr hinterlie?. Als er endlich wieder anhielt, war der Wind eingeschlafen, und er horte nichts mehr von seinen Verfolgern. Da wu?te er, da? er ihnen entkommen war.

KAPITEL 7

Der Marchenprinz rannte weiter, bis seine Beine gefuhllos wurden und seine Lungen brannten. Irgendwann brach er zusammen und schlief ein.

Als er erwachte, stellte er fest, da? er auf einer sonnenuberfluteten Wiese lag. Am anderen Ende ragte ein Berg in den Himmel, ein gewaltiges Matterhorn aus dem Reich der Phantasie, ein Berg aus buntem Glas wie aus einem Traum. Vor dem Berg erstreckte sich ein dichter Wald, der aus Metallbaumen zu bestehen schien und ihm den Weg versperrte. Der Marchenprinz ging weiter. Die Baume waren aus Metallrohren mit dornenartigen Auswuchsen zusammengesetzt, und selbst die gro?ten ma?en nicht viel mehr als zwei Meter. Als er sich ihnen naherte, sonderten sie ein gelbliches Gas ab, das schnell Feuer fing, von unter der Erde gelegenen Mechanismen entzundet.

Normalerweise hatte der Marchenprinz nicht wissen konnen, worum es sich dabei handelte, aber er erinnerte sich daran, wie er einmal voller Neugier einen Blick auf ein Blatt Papier geworfen hatte, das Azzie zuvor gelesen und dann auf seinem Schreibtisch hatte liegen lassen. Es war eine Quittung der Uberregionalen Spirituellen Gaswerke fur die Lieferung von Gas zur Befeuerung von Flammenbaumen gewesen.

Wenn Onkel Azzie tatsachlich die Rechnung fur den Treibstoff der Baume bezahlte – und eine andere Schlu?folgerung konnte der Marchenprinz aus seiner Entdeckung nicht ziehen –, waren die Anzeichen fur eine Manipulation unverkennbar. Der Prinz verspurte ein seltsames Gefuhl in sich aufsteigen, als er die Konsequenzen dieses Gedankens weiterverfolgte, der in ihm den Eindruck erweckte, nicht mehr als eine Marionette zu sein, die man in eine kunstliche Szenerie verpflanzt hatte. Es war eine beangstigende Vorstellung, aber sie stellte sich gerade zu einem Zeitpunkt ein, an dem sich die dringende Notwendigkeit erhob, den Wald zu durchqueren. Also verdrangte er den Gedanken vorerst. Er wurde sich spater damit befassen.

Wenn man etwas anstellen konnte, konnte man es auch wieder abstellen. Der Marchenprinz suchte fast eine Stunde lang, bevor er das Ventil in einem Graben entdeckte. Als er es schlo?, erloschen die Baume. Wie uberaus merkwurdig, dachte er, uberhaupt so eine Konstruktion zu installieren.

Er durchquerte den Wald.

Und so gelangte er nach Glasbergdorf, dem letzten Basislager der Etappe. Hier konnten sich diejenigen, die den im Sonnenlicht glitzernden Gipfel des gro?en Berges erklimmen wollten, auf dem angeblich das verwunschene Schlo? der schlafenden Prinzessin Rosenrot thronte, mit Proviant, Reisezubehor und Souvenirs eindecken.

Die Haupteinnahmequelle des Dorfes bestand im Dienstleistungsgewerbe fur die Bergsteiger. Hier trafen sich Forscher und Glasbergkletterer aus aller Welt. Die Anziehungskraft des Berges war einfach unwiderstehlich.

Der Marchenprinz schlenderte an den Laden vorbei, die die Hauptstra?e von Glasbergdorf saumten. Viele Geschafte hatten sich auf Zubehor fur die Glasbergkletterei spezialisiert. Glas stellt eine anspruchsvolle Herausforderung fur Bergsteiger dar. Horte man den Einheimischen zu, konnte man glauben, da? sich die Eigenschaften des Glases jedesmal anderten, wenn eine Wolke vor der Sonne vorbeizog. Auf diesem Berg war angeblich jede Glassorte vertreten: schlupfriges Glas, trugerisches Glas, Wanderglas und nasses Glas, todliches Hochgebirgsglas wie Tieflandgletscherglas. Jede Glassorte (und der Glasberg geno? den Ruf, aus all den erwahnten Glassorten und noch etlichen mehr zu bestehen) beinhaltete ihren eigenen Schwierigkeitsgrad, und in den Geschaften waren Broschuren erhaltlich, die Informationen zu jeder denkbaren Variante und Ratschlage fur die entsprechende Ausrustung enthielten.

Zwar glaubte die Mehrheit, da? dieser Glasberg der einzige seiner Art auf der Welt ware, doch es gab auch Intellektuelle, die behaupteten, der andauernde menschliche Drang, Glasberge zu ersteigen, konne nur durch ein unterschwelliges historisches Generationsgedachtnis erklart werden, das praktisch der gesamten Menschheit zueigen ware und sie daran erinnerte, fruher unzahlige Male und an den unterschiedlichsten Orten Glasberge bestiegen zu haben. Diesen Theoretikern zufolge war der Glasberg ein Archetypus der menschlichen Erfahrungen, die sich vom Anbeginn der Zeiten bis zum letzten Augenblick der fernen Zukunft fortwahrend auf unendlich vielen Ebenen entwickelten.

Die Buchladen von Glasbergdorf enthielten auch Sachbucher zu dem Thema, mit Hilfe welcher Techniken Glasberge in dem einen oder anderen Jahr bestiegen worden waren. Es gab historische Abhandlungen, Ratgeber und Bucher uber Interviews mit Bergsteigern und Theoretikern. In einigen Geschaften wurden ausschlie?lich

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