auch nicht wie die Augen des Marchenprinzen die Fahigkeit besa?en, die Wahrheit zu erkennen, konnten sie doch Trivialitat und Kunstlichkeit sehen. Und die erkannte Prinzessin Rosenrot, als sie sich vorstellte, was fur ein Bild sie, der Marchenprinz und der vergiftete Dolch abgaben. Ihre Kunstleraugen sahen die Kunstlichkeit der Komposition. Das war keine gute Szene fur einen Maler, der seine Bilder dem wirklichen Leben entlehnt. Sie rebellierte aus kunstlerischen Grunden dagegen, den Dolch in das vorgesehene Ziel zu sto?en, und danach folgten ihre Gefuhle ihrem asthetischen Empfinden.
»Wovon sprichst du?« fragte sie.
»Du hattest ihn nicht toten durfen«, erwiderte Azzie. »Du hast dich gerade selbst zu ewigen Hollenqualen verdammt, junge Dame.«
Rosenrot brach in Gelachter aus.
»Du wagst es, mich auszulachen? Ich werde dir zeigen…«
Eine zweite Stimme fiel in das Gelachter ein. Sie gehorte dem Marchenprinzen, der neben der Prinzessin stand und einen Arm um ihre Hufte gelegt hatte.
Der Marchenprinz war nicht tot! Der Dolch hatte seine verderbliche Aufgabe nicht erfullt! Azzie wich verwirrt zuruck.
Die beiden lebten, und irgendwie hatte die Liebe uber Azzies Fluch triumphiert. Als das aus Engeln und Damonen bestehende Publikum diese beiden schonen jungen Menschen so vereint sah, war es geruhrt, und kein Auge blieb tranenleer.
»Das ist es nicht, was ich vorgesehen habe!« schrie Azzie unbeherrscht. »Das ist uberhaupt nicht so, wie ich es gewollt habe!«
Aber genau das war es, was er geschaffen hatte: eine frohliche kleine Geschichte uber Liebe und Erlosung, die uberall Gefallen fand und so dafur sorgte, da? das Gute und nicht das Bose den Sieg davontrug und damit das Recht errang, fur die nachsten tausend Jahre uber das Schicksal der menschlichen Seelen zu bestimmen.
KAPITEL 1
Yliths schlanke Finger klopften an die Tur zu Azzies alchemistischem Labor.
»Azzie? Ich wei?, da? du da drinnen bist.«
Keine Antwort. Babriel, der neben ihr stand, sagte: »Ich denke, wir sollten es lieber noch einmal probieren.«
Ylith war der gleichen Meinung. »Azzie, komm schon! La? mich rein! Babriel und ich sind hier. Wir wissen, da? du eine schwere Enttauschung erlebt hast. Wir sind deine Freunde und wollen bei dir sein.«
Es folgte ein rauhes schabendes Gerausch, als das Stahlrohr, das als Turriegel diente, zuruckgezogen wurde. Die verstarkte Holztur offnete sich einen schmalen Spalt weit, und Frikes langnasiges Gesicht lugte hervor.
»Ist dein Gebieter da, Frike?« fragte Ylith.
»O ja. Er ist hier. Aber ich wurde an Eurer Stelle lieber nicht in seine Nahe kommen. Er ist ziemlich ubler Laune. In diesem Zustand ware es nicht undenkbar, da? er jemandem etwas antut.«
»Unsinn!« entgegnete Babriel energisch. »Ich mochte mit ihm sprechen!« Er schob sich gewaltsam durch die Tur.
Azzie sa? auf einem kleinen Thron, den er in einer Ecke des Labors aufgestellt hatte. Er trug seinen purpurfarbenen Umhang und eine orangenfarbene Baskenmutze, die er uber ein Auge herabgezogen hatte. Das andere Auge war blutunterlaufen. Er sah furchtbar aus. Jauchekannen und Flaschen lagen uberall auf dem Boden verstreut herum. In bequemer Reichweite standen noch etliche volle Flaschen auf einem Regal.
»Kommen Sie, Azzie«, sagte Babriel. »Sie haben einen sehr guten Wettkampf bestritten. Denken Sie daran, es zahlt nicht, ob man gewinnt oder verliert. Es kommt nur darauf an, wie man das Spiel spielt.«
»Das haben Sie vollig falsch verstanden«, gab Azzie zuruck. »Was zahlt, ist der Sieg. Wie man das Spiel spielt, ist absolut bedeutungslos.«
Babriel zuckte die Achseln. »Tja, andere Regeln, andere ubernaturliche Schwerpunkte, nehme ich an. Aber Sie sollten jetzt wirklich mit dem Trinken aufhoren, Alter. Lassen Sie mich Ihnen helfen.« Er streckte Azzie die Hand entgegen.
Azzie ergriff sie mit einer Hand und versuchte, sie mit der anderen zu zerkratzen. Babriel wehrte ihn geschickt ab und zog ihn hoch.
»Was spielt es denn letztendlich fur eine Rolle, wer gewinnt, Alter?« fragte er.
Der Damon starrte den Engel an. »Habe ich gerade richtig gehort?«
»Ja, naturlich. Ich meine, als Kreaturen des Lichtes und der Finsternis mussen wir in langfristigen Bahnen denken. Wir alle dienen dem Leben, dem Tod, der Intelligenz und all den anderen ubernaturlichen Machten.«
»Ich hatte nicht verlieren durfen«, beschwerte sich Azzie. »Das lag nur daran, da? ich keine vernunftige Unterstutzung von den Machten der Finsternis bekommen habe. Selbst Sie, Babriel, mein Gegenspieler, haben mir mehr geholfen als meine eigenen Leute. Das ist das Problem mit dem Bosen. Es ist nicht kooperativ, nicht einmal in seinen eigenen Reihen.«
»Nehmen Sie es nicht so schwer«, sagte Babriel. »Kommen Sie mit uns, Azzie. Wir gehen zum Preisverleihungsbankett und amusieren uns ein bi?chen.«
»O ja, naturlich«, knurrte Azzie. »Das verfluchte Bankett. In Ordnung, ich werde gleich kommen. Gehen Sie schon einmal voraus. Ich mu? vorher noch ein paar Kleinigkeiten erledigen. Wie geht es mit dieser gotischen Wie-auch-immer-das-Ding-hei?en-mag voran?«
»Der Glockenturm wird gerade fertiggestellt«, erwiderte Babriel.
»Wissen Sie, wir sollten wirklich irgend etwas Nettes fur den Marchenprinzen tun«, sagte er im Hinausgehen zu Ylith, »ich meine, als Anerkennung dafur, wie wunderbar er seine Rolle gespielt hat.«
»Das ist eine hubsche Idee«, stimmte ihm Ylith zu.
Azzie knirschte mit den Zahnen.
Nachdem die beide verschwunden waren, rief er Frike zu sich. »Hast du schon mal so einen Schwachsinn gehort?« fragte er.
»Was fur einen Schwachsinn, Meister?«
»Wie den, den meine sogenannten Freunde da verzapfen. Hast du gehort, was sie gesagt haben? So ein Blodsinn! Kannst du dir das vorstellen? Sie wollen den Marchenprinzen dafur belohnen, da? er seine Sache so gut gemacht hat.«
»Ja, Herr«, sagte Frike. »Wirklich sehr lustig, ha, ha.«
»Ganz meine Meinung«, knurrte Azzie. »Also, ich denke, wir sollten dem guten Prinzen ebenfalls eine kleine Anerkennung fur seinen Beitrag daran zukommen lassen, mein Drama verpfuscht zu haben, indem wir ihm das Leben nehmen, das mein Geschenk an ihn war. Allerdings kann ich ihn nicht selbst toten, jedenfalls nicht direkt. Es gibt da gewisse Regeln, damliche Regeln zwar, aber sie existieren nun einmal und verbieten es einem Damon, grundlos uber Menschen herzufallen und sie abzuschlachten.«
»Oh, das ist wirklich zu schade, Meister«, sagte Frike.
»Das habe ich auch immer so gesehen«, stimmte ihm Azzie zu. »Aber ich glaube, wir konnen das Verbot umgehen.«
»O Herr, wie konnen wir das tun?«
»Frike, wie wurde es dir gefallen, zur Abwechslung mal ein furchteinflo?ender Krieger der Rache anstatt ein kriecherischer Diener zu sein?« fragte Azzie.
»Klingt nicht schlecht«, meinte Frike. »Und wie soll das gehen, Gebieter?«
»Wir haben noch eine Menge Korperteile ubrig«, erklarte Azzie, »und ich bin ein Meister in der Erschaffung menschlicher Skulpturen. Komm mit. Leg dich auf die Marmorplatte dort druben.«
»Herr, ich bin mir nicht sicher, ob das eine so wunderbare Idee ist.«
»Halt den Mund!« herrschte Azzie ihn an. »Widersprich mir nicht. Denk daran, da? ich deine Personlichkeit genauso leicht wie deinen Korper austauschen kann.«
»Ja, Meister.« Frike legte sich gehorsam auf den Tisch. Azzie ergriff ein Skalpell und wetzte es an seinem Absatz.
»Wird es weh tun?« wollte Frike wissen.
»Selbstverstandlich wird es weh tun«, erwiderte Azzie. »Die Anasthesie ist noch nicht erfunden