genau abwage.
Neugierig fragte O'Donnell: »Ja, was, Harry?«
»Nun, Tatsache ist, da? sich Dr. Coleman fur unser Krankenhaus durchaus interessiert.« Tomaselli machte eine Pause. »Ich vermute, da? er etwas von den Veranderungen in letzter Zeit und unseren Planen fur die Zukunft gehort hat.«
O'Donnell beendete das plotzliche Schweigen. »Woher wissen Sie das?«
»Ich habe mit ihm korrespondiert.«
»Ist das nicht etwas ungewohnlich, Harry?« fragte Rufus.
»Vielleicht war ich voreilig. Aber nachdem ich das da erhielt« - Tomaselli deutete auf das Papier, das Lucy jetzt in Handen hielt -, »schrieb ich an Dr. Coleman. Selbstverstandlich nichts Endgultiges. Es war nur ein Vorfuhlen, um seine Ansicht kennenzulernen.« Er wandte sich an O'Donnell. »Das war nach unserer Unterhaltung vor etwa zwei Wochen. Sie erinnern sich, Kent?«
»Ja, ich entsinne mich.« O'Donnell wunschte, da? Harry ihn vorher daruber unterrichtet hatte. Naturlich konnte Tomaselli als Verwaltungsdirektor korrespondieren, mit wem er wollte. Er hatte das Krankenhaus damit in keiner Weise festgelegt. Vermutlich war der Briefwechsel vertraulich; er konnte sich moglicherweise als ein geschickter Zug erweisen. Zu Tomaselli sagte er: »Und Sie meinen, er sei interessiert?«
»Ja, er will gern herkommen und sich mit uns unterhalten. Wenn die Sprache nicht gerade darauf gekommen ware, hatte ich Sie ohnedies unterrichtet.«
Dornberger hatte jetzt das Papier. Er klopfte mit dem Zeigefinger darauf. »Und was soll ich damit?«
O'Donnell sah die anderen um ihre Zustimmung suchend an, »Ich meine, Sie sollten es an sich nehmen, Charlie«, antwortete er, »und ich wurde vorschlagen, da? Sie es Joe Pearson zeigen.«
VII
In dem an den Obduktionsraum angrenzenden Zimmer sa? Roger McNeil, der Assistenzarzt der Pathologie, und war fur das pathologische Kolloquium bereit. Nur Dr. Joseph Pearson fehlte noch, damit sie anfangen konnten.
Im Three Counties Hospital bildete wie in vielen Krankenhausern das pathologische Kolloquium die zweite Phase der Obduktion. Vor einer halben Stunde hatte George Rinne, der Diener der Leichenkammer, die Organe hereingebracht, die bei den drei Obduktionen dieser Woche herausgenommen worden waren. In wei?en Emailleeimern standen zwei Gruppen von Organen nebeneinander und dahinter in Glasgefa?en drei Gehirne. Die Mitte des Raumes nahm ein Steintisch mit einem gro?en, eingelassenen Becken und einem Wasserhahn daruber ein. Gegenwartig war der Hahn aufgedreht. Darunter stand der dritte Eimer mit Organen, und das Wasser spulte das Formalin heraus, in dem die Organe aufbewahrt worden waren und das ihnen gleichzeitig einen Teil des schwer zu ertragenden Geruchs nahm.
McNeil warf einen letzten prufenden Blick um sich. Pearson geriet leicht in Wut, wenn irgend etwas nicht griffbereit lag. Er fand, da? der Raum, in dem sie arbeiteten, seiner Aufgabe angemessen makaber wirkte. Besonders, wenn die Organe nebeneinandergereiht dalagen, wie es in wenigen Minuten der Fall sein wurde, und ihm das Aussehen eines Metzgerladens gaben. Er hatte in Krankenhausern Sezierraume gesehen, in denen alles nur aus schimmerndem, rostfreiem Stahl bestand. Aber das war die moderne Schule, die in der pathologischen Abteilung des Three Counties Hospitals noch keinen Eingang gefunden hatte. Jetzt horte er die vertrauten, halb schlurfenden Schritte, und Pearson kam herein, von der unvermeidlichen Wolke Zigarrenrauch umgeben.
»Keine Zeit zu verlieren.« Pearson hielt sich selten mit Vorreden auf. »Es ist anderthalb Wochen her, da? ich diese Auseinandersetzung mit O'Donnell hatte, und wir hangen immer noch zuruck.« Die Zigarre tanzte auf und ab. »Wenn wir damit fertig sind, wunsche ich eine Uberprufung aller ruckstandigen pathologischen Befunde. Welches ist der erste Fall?« Wahrend er sprach, hatte er eine schwarze Gummischurze angelegt und Gummihandschuhe ubergestreift. Jetzt trat er an den Tisch in der Mitte und nahm Platz. McNeil setzte sich auf einen Hocker neben ihn und sah in die Krankenpapiere des Falles.
»Funfundfunfzigjahrige Frau, Todesursache laut Diagnose des Arztes Brustkrebs.«
»Zeigen Sie her.« Pearson griff selbst nach den Papieren. Manchmal sa? er geduldig da, wahrend ihm der Assistenzarzt den Fall schilderte. In anderen Fallen wollte er alles selbst lesen. Darin war er, wie in allem anderen, unberechenbar.
»Hm.« Pearson legte die Papiere hin und drehte den Wasserhahn zu. Dann griff er in den Eimer und tastete darin herum, bis er das Herz fand. Er offnete es mit beiden Handen.
»Haben Sie den Schnitt gemacht?«
Der Assistenzarzt schuttelte den Kopf.
»Habe ich auch nicht geglaubt.« Pearson betrachtete wieder das Herz. »Seddons?«
McNeil nickte etwas zogernd. Er hatte selbst bemerkt, da? das Herz schlecht aufgeschnitten worden war.
»Das Zeichen des Zorro.« Pearson grinste. »Sieht aus, als hatte er damit ein Duell veranstaltet. Wo ist Seddons ubrigens?«
»Ich glaube, in der Chirurgie. Dort wird eine Operation vorgenommen, die er mit ansehen wollte.«
»Sagen Sie ihm, solange er der Pathologie zugeteilt ist, erwarte ich, da? er an allen Kolloquien teilnimmt. Also weiter.«
McNeil balancierte eine Notiztafel auf seinen Knien und war bereit, zu schreiben. Pearson diktierte: »Herz zeigt eine leichte Verdickung und Schrumpfung der mitralen Klappe. Sehen Sie es hier?« Er hob das Organ hoch.
McNeil beugte sich vor. »Ja, ich sehe es«, bestatigte er.
Pearson fuhr fort: »Die Klappenbander sind verklebt, verkurzt und verdickt.« Beilaufig fugte er hinzu: »Sieht nach einem alten Gelenkrheuma aus. Das war allerdings nicht die Todesursache.«
Er schnitt ein kleines Stuck des Gewebes ab und legte es in ein mit einem Schild versehenes Gefa? von der Gro?e eines Tintenglases. Es sollte spater mikroskopisch untersucht werden. Dann schob er mit der Muhelosigkeit langer Ubung das ubrige Herz genau in ein Loch weiter unten am Tisch. Darunter stand ein Metallkubel. Nach dem Kolloquium wurde er geleert und gesaubert und sein Inhalt in einem Spezialofen zu feiner Asche verbrannt.
Nun nahm Pearson die Lungen. Er offnete den ersten Lungenflugel wie zwei Seiten eines gro?en Buches und diktierte McNeil: »Lunge zeigt zahlreiche metastatische Knotchen.« Wieder hielt er das Gewebe hoch, so da? der Assistenzarzt es sehen konnte.
Er hatte sich dem zweiten Lungenflugel zugewandt, als sich hinter ihm eine Tur offnete.
»Sehr beschaftigt, Dr. Pearson?«
Pearson drehte sich gereizt um. Es war die Stimme von Carl Bannister, dem ersten Laboranten der pathologischen Abteilung. Bannister hatte den Kopf vorsichtig durch die Tur geschoben. Hinter ihm im Gang stand noch jemand.
»Naturlich bin ich beschaftigt. Was wollen Sie?« Es war der Ton, halb drohend, halb vertraulich, den Pearson Bannister gegenuber gewohnheitsma?ig anschlug. Im Laufe der Jahre hatten sich beide daran gewohnt. Jede etwas freundlichere Note hatte sie wahrscheinlich beide verwirrt.
Bannister blieb ungeruhrt. Er winkte mit dem Finger nach hinten. »Kommen Sie.« Dann sagte er zu Pearson: »Das ist John Alexander. Sie erinnern sich, der neue Laborant, den Sie in der vorigen Woche angestellt haben. Er beginnt heute mit der Arbeit.«
»Ah ja. Ich verga?, da? es heute war. Kommen Sie 'rein.« Pearsons Ton war freundlicher als gegenuber Bannister. McNeil dachte, vielleicht will er den Neuen nicht schon am ersten Tag vergraulen.
McNeil musterte den Eintretenden neugierig. Zweiundzwanzig, dachte er. Spater erfuhr er, da? er genau richtig geschatzt hatte. Es war ihm bereits bekannt, da? Alexander unmittelbar von einer Fachschule kam, an der er ein Examen als medizinischer Laborant abgelegt hatte. Nun, sie konnten hier so jemand brauchen. Bannister war zweifellos kein Louis Pasteur.
McNeil sah den ersten Laboranten an. Wie ublich kam ihm Bannister wie eine Art Volksausgabe Pearsons vor. Seine untersetzte, fullige Gestalt wurde von einem fleckigen Laborkittel zum Teil verhullt. Er hatte den Mantel nicht zugeknopft, sein Anzug darunter war abgetragen und ungebugelt. Bannister war fast kahl, und die wenigen Haare, die er noch besa?, sahen aus, als wurden sie nie gepflegt.
Bannisters Lebensgeschichte war McNeil zum Teil bekannt. Er war ein oder zwei Jahre nach Pearson an das Three Counties Hospital gekommen. Er hatte die Oberschule besucht, und Pearson hatte ihn als Madchen fur alles angestellt - um die Bestande zu verwalten, fur Botengange, um die Instrumente zu reinigen. Im Laufe der Jahre