tat. Er war auf viele medizinische Zeitschriften abonniert, die er grundlich studierte und fur die er selbst manchmal Beitrage schrieb. Er war ein regelma?iger Teilnehmer an medizinischen Tagungen und verfolgte gewissenhaft die meisten Fachkongresse. Schon fruh in seiner Laufbahn, lange ehe die gegenwartigen Spezialgebiete in der Medizin voneinander abgegrenzt worden waren, sah er die Notwendigkeit der Spezialisierung voraus. Er hatte sich fur Geburtshilfe und Gynakologie entschieden, eine Wahl, die er nie bedauerte und von der er oft empfand, da? sie dazu beigetragen habe, ihn jung und seinen Verstand aufnahmefahig zu erhalten.
Aus diesem Grunde war Dornberger in der Mitte der drei?iger Jahre, als in Amerika die Spezialistenverbande gegrundet wurden, bereits als Facharzt fur sein Arbeitsgebiet anerkannt und wurde infolgedessen unter der sogenannten >Gro?vaterklausel< ohne Prufung in den Fachverband aufgenommen. Darauf war er immer ehrlich stolz. Wenn es eine Wirkung auf ihn gehabt hatte, dann nur die, da? er sich noch grundlicher bemuhte, mit den jungsten Entwicklungen Schritt zu halten.
Und dennoch hatte er nie eine Abneigung gegen jungere Manner empfunden. Wenn er der Ansicht war, sie seien gut und gewissenhaft, hatte er alles getan, um ihnen zu helfen und zu raten. Er bewunderte und respektierte ODonnell. Er hielt die Berufung des jungen Chefs der Chirurgie fur eines der besten Dinge, die dem Three Counties Hospital je widerfahren waren. Mit den Veranderungen und Fortschritten, die O'Donnell in das Krankenhaus gebracht hatte, war auch seine eigene Arbeitsfreude gestiegen.
Er hatte viele Freunde gefunden, einige unter seinen unmittelbaren Kollegen, andere an den unwahrscheinlichsten Stellen. Joe Pearson konnte einer der Unwahrscheinlichen genannt werden. Beruflich gesehen, betrachteten die beiden Manner vieles von ganz verschiedenen Standpunkten. Dornberger wu?te beispielsweise, da? Joe in der letzten Zeit nicht viel las. Er hatte den Verdacht, da? der alte Pathologe auf ein paar Wissensgebieten zuruckgeblieben war, und in der Leitung seiner Abteilung stand manches problematisch, wie sich auf der gestrigen Besprechung gezeigt hatte. Und trotzdem, im Laufe der Jahre hatte sich zwischen den beiden Mannern ein festes Band gebildet. Zu seiner Uberraschung entdeckte er, da? er sich manchmal auf den Sitzungen des medizinischen Ausschusses auf Joe Pearsons Seite stellte und auch im privaten Gesprach den Pathologen gelegentlich verteidigte.
Dornbergers Bemerkungen auf der Sterblichkeitskonferenz vor zehn Tagen lagen auf dieser Linie. Er vermutete, da? andere die Verbindung zwischen ihm und Joe kannten. Was hatte Gill Bartlett gesagt? »Sie sind ja sein Freund. Und au?erdem: die Geburtshelfer verfolgt er nicht mit seiner Blutrache.« Bis zu diesem Augenblick war ihm diese Bemerkung entfallen, aber jetzt erinnerte er sich an den erbitterten Ton und bedauerte ihn. Bartlett war ein guter Arzt, und Dornberger nahm sich vor, bei der nachsten Begegnung besonders herzlich zu ihm zu sein.
Aber vor ihm lag immer noch sein eigenes Problem. Sich zuruckziehen oder nicht? Und falls er sich zuruckzog, wann?
Erst kurzlich hatte er trotz der sorgfaltigen Uberwachung seines Gesundheitszustandes festgestellt, da? er leicht ermudete. Und obwohl in seinem ganzen Leben Nachtbesuche eine Selbstverstandlichkeit gewesen waren, schienen sie ihm seit kurzem schwerer zu fallen. Gestern hatte er beim Essen gehort, wie Kersh, der Dermatologe, zu einem neuen Praktikanten sagte: »Sie sollten sich auch auf die Haut spezialisieren, mein Sohn. Ich bin seit funfzehn Jahren nachts nicht mehr aus dem Bett geholt worden.« Dornberger hatte mit den ubrigen gelacht, aber insgeheim einen leichten Neid empfunden.
Von einem war er allerdings uberzeugt: Er wurde nicht weitermachen, sobald er feststellte, da? er nachlie?. Im Augenblick war er so gut wie immer, das wu?te er. Sein Kopf war klar, seine Hand sicher, die Augen scharf. Er beobachtete sich selbst immer sorgfaltig, weil er wu?te, da? er bei dem ersten Anzeichen eines Versagens nicht zogern wurde; er wurde seinen Schreibtisch ausraumen und gehen. Zu oft hatte er gesehen, wie andere versuchten, zu lange bei der Stange zu bleiben. Das wurde er nie tun.
Aber im Augenblick? Nun, er wurde alles drei Monate weiterlaufen lassen und dann wieder daruber nachdenken.
Inzwischen hatte er den Tabak fest in seine Pfeife gestopft und griff jetzt nach den Streichholzern. Er war im Begriff, eines anzurei?en, als das Telefon klingelte. Er legte Pfeife und Streichholzer hin und antwortete: »Hier Dr. Dornberger.«
Es war eine seiner Patientinnen. Vor einer Stunde hatten die Wehen bei ihr eingesetzt. Jetzt war die Fruchtblase geplatzt, und sie hatte Wasser verloren. Sie war eine junge Frau Anfang Zwanzig und bekam ihr erstes Kind. Sie klang atemlos, als ob sie nervos sei und ihre Unruhe zu unterdrucken versuche. Wie schon so viele Male gab Dornberger seine Anweisungen mit ruhiger Stimme. »Ist Ihr Mann im Hause?«
»Ja, Doktor.«
»Dann packen Sie Ihre Sachen zusammen, und lassen Sie sich von ihm ins Krankenhaus bringen. Ich komme zu Ihnen, sobald Sie hier sind.«
»Ja, Doktor.«
»Sagen Sie Ihrem Mann, er soll vorsichtig fahren und vor jedem roten Licht halten. Wir haben noch viel Zeit. Sie werden es sehen.«
Selbst durch das Telefon konnte er spuren, da? es ihm gelungen war, sie zu beruhigen. Das gehorte zu den Dingen, die er oft tat, und er betrachtete es ebensosehr als einen Teil seiner Aufgabe, wie jede medizinische Ma?nahme. Aber er spurte, wie sich seine Sinne unwillkurlich scharften. Jeder neue Fall ubte diese Wirkung auf ihn aus. Logischerweise, dachte er, hatte ich dieses Gefuhl schon lange verlieren mussen. Wenn man in der Medizin uber lange Erfahrung verfugte, wurde von einem erwartet, da? man abgehartet, mechanisch und unsentimental war. Das hatte auf ihn allerdings nie zugetroffen - vielleicht deshalb, weil er immer noch das tat, was er am meisten liebte.
Er griff nach der Pfeife, lie? sie dann liegen und nahm das Telefon ab. Er mu?te seiner Station mitteilen, da? sich eine neue Patientin auf dem Weg ins Krankenhaus befand.
VIII
»Ich bin nicht einmal uberzeugt, da? der Kampf gegen die Kinderlahmung gut oder notwendig ist.«
Der Sprecher war Eustace Swayne, der Grunder eines Warenhauskonzerns, steinreicher Philanthrop und Mitglied des Verwaltungsausschusses des Three Counties Hospitals. Der Ort war die dustere, eichengetafelte Bibliothek in Swaynes altem, aber imposantem Haus, das fur sich abgesondert in einem funfzig Morgen gro?en Park am ostlichen Stadtrand Burlingtons stand.
»Aber, aber! Das konnen Sie nicht ernst meinen«, entgegnete Orden Brown leichthin. Der Vorsitzende des Krankenhausausschusses lachelte den beiden Frauen in dem Raum zu; seiner eigenen Frau Amelia und Swaynes Tochter Denise Quantz.
Kent O'Donnell nahm einen kleinen Schluck von dem Kognak, den der lautlose Diener ihm gebracht hatte, und lehnte sich in dem tiefen Ledersessel zuruck, in dem er Platz genommen hatte, als er nach dem Abendessen mit den anderen den Raum betrat. Ihm ging durch den Kopf, da? sie ein fast mittelalterliches Bild boten. Er sah sich in der gedampft beleuchteten Bibliothek um, lie? seine Blicke uber die Reihen ledergebundener Bucher schweifen, die sich bis unter die hohe, getafelte Decke erstreckten, uber die dunklen, schweren Eichenmobel, uber den gro?en, hohlenartigen Kamin, in dem Kloben fur ein Feuer aufgeschichtet waren - sie brannten jetzt, an diesem warmen Juliabend, nicht, lagen aber bereit, jederzeit aufzuflammen, sobald ein Diener ein Streichholz daran hielt. O'Donnell gegenuber thronte Eustace Swayne wie ein Konig auf einem gradlehnigen, steifen, gepolsterten Lehnstuhl, wahrend die anderen vier fast wie Hoflinge einen Halbkreis vor dem alten Finanzhai bildeten.
»Das meine ich durchaus ernst.« Swayne stellte sein Kognakglas hin und beugte sich bei seinen nachsten Worten vor. »Ja, ich gebe zu, wenn man mir ein Kind mit geschienten Beinen zeigt, jammere ich wie alle anderen auch und greife nach meinem Scheckbuch. Aber ich spreche von dem gro?en Ganzen. Tatsache ist - und ich fordere jeden auf, mir zu widersprechen -, da? wir uns die gro?te Muhe geben, die menschliche Rasse zu verweichlichen.«
Das war ein bekanntes Argument. Hoflich entgegnete O'Donnell: »Wollen Sie vorschlagen, da? wir die medizinische Forschung aufgeben, uns mit unseren gegenwartigen medizinischen Kenntnissen und Techniken begnugen und nicht versuchen sollen, weitere Krankheiten zu besiegen?«
»Das konnte man gar nicht«, erwiderte Swayne. »Das konnen Sie so wenig, wie die Schweine von Gadara davon abzuhalten waren, sich von den Klippen zu sturzen.«
O'Donnell lachte. »Ich wei? nicht recht, ob mir dieses Bild gefallt. Aber wenn es so ist, wozu dann dagegen argumentieren?«