Nach einem letzten Blick auf die Uhr ging er hinaus und lie? John Alexander allein im Labor zuruck.
XII
Vor dem Haupteingang zum Three Counties Hospital blieb Dr. David Coleman stehen, um sich umzusehen. Es war ein paar Minuten nach acht an einem warmen Morgen Mitte August, und jetzt schon stand ein druckend hei?er Tag zu erwarten. In diesem Augenblick herrschte vor dem Krankenhaus wenig Leben. Au?er ihm waren die einzigen Menschen in Sicht ein Hauswart, der mit einem Schlauch einen Teil des Staubes vom gestrigen Tage von dem Vorplatz schwemmte, und eine Schwester mittleren Alters, die auf der anderen Stra?enseite gerade aus einem Bus gestiegen war. Er nahm an, da? der Betrieb des Krankenhauses etwa erst in einer Stunde voll einsetzen wurde.
David Coleman lie? seinen Blick uber den Gebaudekomplex wandern, der das Three Counties Hospital bildete. Zweifellos konnte man den Erbauern des Krankenhauses nicht vorwerfen, da? sie fur asthetisches Beiwerk Geld vergeudet hatten. Die Architektur war nuchtern, zweckbestimmt, die kahle Ziegelfront wurde durch kein anderes Mauerwerk belebt. Sie bestand aus einer Aneinanderreihung konventioneller Rechtecke: Mauern mit Turen und Fenstern. Nur neben dem Haupteingang fand sich eine Unterbrechung. Dort gab eine einzige behauene Natursteinplatte bekannt: »Der Grundstein wurde von dem ehrenwerten Burgermeister Hugo Stouting im April 1918 gelegt.« Wahrend David Coleman die Stufen zum Eingang hinaufstieg, fragte er sich, was fur eine Art Mensch dieser langvergessene Wurdentrager gewesen sein mochte.
Carl Bannister ordnete Papiere auf Dr. Pearsons Schreibtisch, als Coleman an dem Arbeitszimmer des Pathologen anklopfte und eintrat.
»Guten Morgen.«
Uberrascht blickte der erste Laborant auf. Es war ungewohnlich, da? so fruh am Morgen Besucher kamen. Die meisten im Krankenhaus wu?ten, da? Joe Pearson selten vor zehn Uhr im Krankenhaus erschien, manchmal wurde es noch spater.
»Guten Morgen.« Er erwiderte den Gru? nicht allzu freundlich. Am fruhen Morgen war Bannister nie in der besten Laune. Er fragte: »Suchen Sie Dr. Pearson?«
»In gewisser Weise, ja. Ich beginne heute hier zu arbeiten.« Als er Bannisters Uberraschung bemerkte, fugte er hinzu: »Ich bin Dr. Coleman.«
So ahnlich mu? eine Henne reagieren, wenn man ihr Knallfrosche unterschiebt, dachte Coleman. Bannister lie? die Papiere schnell fallen und kam fast im Laufschritt um den Schreibtisch herum. Sein kahler Schadel glanzte. »Oh, verzeihen Sie, Doktor. Das wu?te ich nicht. Ich habe zwar gehort, da? Sie kommen, hatte aber keine Ahnung, da? es so bald sein wurde.«
Ruhig antwortete Coleman: »Dr. Pearson erwartet mich. Ist er ubrigens schon im Haus?«
Bannister schien schockiert. »Dazu ist es noch zu fruh. Er wird kaum vor zwei Stunden kommen.« Sein Gesicht verzog sich zu einem vertraulichen Von-Mann-zu-Mann-Lacheln. Er schien zu sagen: Ich erwarte, da? Sie die gleichen Arbeitsstunden einhalten, sobald Sie hier nicht mehr neu sind.
»Ah so.«
Wahrend Coleman sich umsah, fiel Bannister ein, da? er etwas versaumt hatte. Er sagte: »Ubrigens, Doktor, ich bin Carl Bannister, der erste Laborant.« Mit wohluberlegter Liebenswurdigkeit fugte er hinzu: »Ich nehme an, wir werden viel miteinander zu tun haben.« Aus Prinzip riskierte Bannister gegenuber jedem, der ihm vorgesetzt war, nichts.
»Ja, das nehme ich auch an.« Coleman war sich nicht sicher, ob ihm die Aussicht besonders zusagte. Aber er druckte Bannister die Hand und sah sich dann nach einem Platz um, wo er den leichten Regenmantel aufhangen konnte, den er mitgebracht haue. Der Wetterbericht hatte am fruhen Morgen Gewitter im Verlauf des Tages vorausgesagt. Wieder bemuhte Bannister sich eifrig, gefallig zu sein und einen guten Eindruck zu machen.
»Geben Sie mir Ihren Mantel.« Er fand einen Kleiderbugel und hangte den Mantel auf dem Bugel sorgfaltig an einen Haken neben der Tur.
»Danke«, sagte Coleman.
»Nichts zu danken, Doktor. Soll ich Sie jetzt durch die Labors fuhren?«
Coleman zogerte. Vielleicht war es richtiger, auf Dr. Pearson zu warten. Andererseits waren zwei Stunden eine lange Zeit, um nur herumzusitzen, und er konnte in der Zwischenzeit ebensogut etwas tun. Die Labors wurden ohnehin sein Arbeitsbereich sein. Was machte es also aus? Er antwortete: »Einen Teil der Labors hat mir Dr. Pearson bereits gezeigt, als ich vor ein paar Wochen hier war. Aber ich werde sie mir noch einmal ansehen, falls Sie nicht zuviel zu tun haben.«
»Nun, wir haben naturlich immer viel zu tun, Doktor, aber ich nehme mir gern die Zeit fur Sie. Es ist mir sogar ein Vergnugen.« Bannisters Gedanken waren unglaublich leicht zu durchschauen.
»Hier, bitte.« Bannister hatte die Tur zum serologischen Labor geoffnet und trat beiseite, um Coleman vorzulassen. John Alexander, der Bannister seit der Auseinandersetzung am Abend vorher noch nicht gesehen hatte, blickte von der Zentrifuge auf, in die er gerade eine Blutprobe einsetzte.
»Das ist John Alexander, Doktor. Er ist kurzlich bei uns eingetreten.« Carl Bannister erwarmte sich an der Rolle des Fremdenfuhrers. Er fugte scherzend hinzu: »Noch nicht ganz trocken hinter den Ohren. Kommt unmittelbar von der Fachschule, nicht wahr, John?«
»Wie Sie meinen«, antwortete Alexander unverbindlich. Die Herablassung argerte ihn, aber er wollte nicht grob werden.
Coleman trat vor und streckte seine Hand aus. »Ich bin Dr. Coleman.«
Wahrend sie sich die Hande schuttelten, fragte Alexander interessiert: »Dann sind Sie der neue Pathologe, Doktor?«
»Ja, das bin ich.« Coleman sah sich um. Wie bei seinem vorhergehenden Besuch konnte er sehen, da? hier sehr vieles anders wer den mu?te.
Bannister sagte gro?spurig: »Sehen Sie sich nur um, Doktor. Betrachten Sie sich alles, was Sie wollen.«
»Danke.« Coleman wandte sich wieder Alexander zu und fragte: »Woran arbeiten Sie gerade?«
»An einem Blutsensibilitatstest.« Er deutete auf die Zentrifuge. »Diese Probe stammt ubrigens von meiner Frau.«
Coleman stellte fest, da? dieser junge Laborant ihm erheblich besser gefiel als Bannister, jedenfalls in der au?eren Erscheinung. »Wann erwartet Ihre Frau das Kind?« fragte er.
»In etwas uber zwei Monaten.« Alexander balancierte die Zentrifuge aus, schaltete sie ein und griff dann nach der Zeiteinstellung. Coleman bemerkte, da? seine Bewegungen knapp und flink waren. In der Art, wie der junge Mann mit seinen Handen arbeitete, lag etwas Muheloses, Flie?endes. Hoflich fragte Alexander: »Sind Sie verheiratet, Doktor?«
»Nein.« Coleman schuttelte den Kopf.
Alexander schien im Begriff, eine weitere Frage zu stellen, unterdruckte sie dann aber.
»Wollten Sie noch etwas fragen?«
Fur einen Augenblick entstand eine Pause. Dann entschlo? sich Alexander. »Ja, Doktor. Das wurde ich gern«, antwortete er.
Ob es nun Arger gibt oder nicht, dachte Alexander, zumindest konnte er seine Zweifel offen aussprechen. Gestern abend nach der Auseinandersetzung mit Bannister, war er versucht gewesen, die ganze Frage des dritten Sensibilitatstests mit den Blutproben, die ins Labor kamen, fallenzulassen. Er entsann sich nur zu gut der Abfuhr, die er von Dr. Pearson bei seinem letzten Vorschlag erhalten hatte. Mit diesem neuen Arzt schien sich allerdings besser reden zu lassen. Und selbst wenn er der Ansicht war, da? Alexander sich irrte, schien es nicht wahrscheinlich, da? er daraus eine gro?e Szene machen wurde. Alexander wagte es also. »Es geht um die Bluttests, die wir hier zur Sensibilitatsbestimmung durchfuhren.«
Als er sprach, wurde ihm bewu?t, da? Bannister im Hintergrund stand. Der erste Laborant bewegte seinen Kopf in gespannter Aufmerksamkeit hin und her, damit ihm nichts entging, was gesagt wurde. Jetzt trat er verargert und aggressiv vor, um Alexander zur Ordnung zu rufen. »Horen Sie mal. Wenn Sie mit der gleichen Geschichte wie gestern abend anfangen wollen, behalten Sie das besser fur sich.«
Coleman fragte interessiert: »Uber was sprachen Sie gestern abend?«
Bannister ignorierte die Frage und fuhr in zurechtweisendem Ton zu Alexander fort: »Ich will nicht, da? Dr. Coleman mit diesen Geschichten, schon funf Minuten, nachdem er hier ankommt, belastigt wird. Haben Sie verstanden?« Er wandte sich Coleman zu und setzte sein automatisches Lacheln auf. »Das ist nur eine verruckte