»Ja?« Eine Pause. »Hier spricht Dr. Pearson. « Er horte zu. »Gut, danke.«
Ohne den Horer zuruckzulegen, druckte er auf die Gabel, und als die Zentrale antwortete, sagte er: »Geben Sie mir Dr. Dornberger. Hier Dr. Pearson.«
Eine Stimme meldete sich kurz, dann sagte Pearson: »Also gut, dann teilen Sie ihm mit, ich hatte gerade die Nachricht von der Universitatsklinik erhalten. Der Bluttest fur den Saugling Alexander ist positiv. Das Kind hat Erythroblastose.«
Pearson legte den Horer zuruck. Dann sah er auf und bemerkte, da? David Colemans Blick auf ihm ruhte.
Dr. Kent O'Donnell ging durch den Hauptgang des Krankenhauses zur Neurologie. Er hatte dort eine Konsultation verabredet, um sich uber eine partielle Lahmung bei einem seiner Patienten beraten zu lassen.
Es war der erste Tag, an dem O'Donnell nach seiner Ruckkehr von New York am Abend vorher wieder im Three Counties Hospital war. Er empfand noch den Auftrieb und die Anregung, die ihm diese Reise gegeben hatten. Er sagte sich, da? jeder Arzt hin und wieder eine Luftveranderung brauche. Mitunter wirkte der tagliche Umgang mit der Medizin und mit Krankheiten deprimierend, erschopfte nach einiger Zeit die Krafte, ohne da? man selbst es bemerkte. Und im weitesten Sinn erwies sich die Abwechslung als belebend und starkend fur seinen Verstand. In diesem Zusammenhang drangte sich ihm immer wieder unausweichlich die Frage auf, ob er seine Tatigkeit im Three Counties Hospital aufgeben und Burlington endgultig verlassen solle, und jedesmal erschienen ihm die Argumente zugunsten des Entschlusses uberzeugender.
Naturlich wu?te er, da? er durch seine Gefuhle fur Denise stark beeinflu?t wurde und da? vor der letzten Begegnung mit ihr der Gedanke, Burlington zu verlassen, nie in ihm aufgetaucht war. Aber, fragte er sich, was sprach dagegen, da? ein Mann eine berufliche Entscheidung traf, die seinem personlichen Gluck entgegenkam? Sie bedeutete nicht, da? er die Medizin aufgab. Er wurde lediglich den Ort seiner Arbeit wechseln und einfach an einer anderen Stelle sein Bestes geben. Schlie?lich bestand das Leben eines Menschen aus der Summe aller seiner Teile. Ohne Liebe, wenn er sie einmal gefunden hatte, konnte der Rest verdorren und wertlos werden. Mit Liebe konnte er ein besserer Mensch sein - flei?ig und hingebungsvoll -, weil sein Leben ein geschlossenes Ganzes war. Wieder dachte er an Denise, und seine Erregung und Erwartung stiegen.
»Dr. O'Donnell, Dr. O'Donnell!« Der Klang seines Namens aus dem Lautsprecher des Krankenhauses ri? ihn in die Wirklichkeit zuruck. Er blieb stehen, sah sich nach einem Telefon um, um sich zu melden. Er entdeckte eins in einem durch Glaswande abgetrennten Buro, ein paar Schritte entfernt. Er meldete sich und nahm Dr. Dornbergers Mitteilung entgegen. Er folgte ihr sofort, anderte seine Richtung und ging zu den Fahrstuhlen, um sich in die vierte Etage zur Entbindungsstation bringen zu lassen.
Wahrend Kent O'Donnell sich fur die Operation die Hande wusch, stand Dornberger neben ihm, schilderte ihm den Fall und erklarte ihm seine Grunde, weshalb er nach dem Chef der Chirurgie hatte rufen lassen. Dornberger dramatisierte nichts, noch hielt er irgend etwas zuruck. Er beschrieb die Szene im Labor der Pathologie und die Ereignisse, die dazu gefuhrt hatten, genau und sachlich. Nur an zwei Punkten unterbrach O'Donnell ihn, um scharfe Zwischenfragen zu stellen. Im ubrigen horte er aufmerksam zu, und sein Gesichtsausdruck wurde immer grimmiger, wahrend Dornberger berichtete.
O'Donnells gehobene Stimmung war verflogen, plotzlich und unerwartet durch das, was er erfuhr, zerschlagen, durch die Erkenntnis, da? in seinem Krankenhaus ein Patient durch Nachlassigkeit und Unfahigkeit - fur die er in einer sehr realen Weise selbst verantwortlich war - das Leben verlieren konnte. Erbittert dachte er: Ich hatte Joe Pearson entlassen konnen. Dafur lagen ausreichend Grunde vor. Aber nein, ich spielte und zauderte, betrieb Hauspolitik, redete mir ein, das sei vernunftig, wahrend ich die ganze Zeit meine arztliche Aufgabe vernachlassigte. Er nahm ein steriles Handtuch und trocknete seine Hande, schob sie dann in Handschuhe, die eine Schwester bereithielt. »Also gut«, sagte er zu Dornberger, »gehen wir hinein.«
Nachdem sie den kleinen Operationsraum betreten hatten, warf O' Donnell einen prufenden Blick uber die bereitstehenden Instrumente und Vorrichtungen. Die Technik der Austauschtransfusion war ihm vertraut. Das wu?te Dornberger, und das war der Grund, da? er den Chef der Chirurgie rufen lie?, denn O'Donnell hatte gemeinsam mit den Leitern der Kinderklinik und der Entbindungsstation die Richtlinien fur Austauschtransfusionen im Three Counties Hospital ausgearbeitet, wobei sie sich auf die Erfahrungen in anderen Krankenhausern gestutzt hatten.
Das winzige, gebrechliche Baby wurde aus seinem Brutkasten genommen und auf den vorgewarmten Operationstisch gelegt. Dann sicherte die assistierende Schwester mit Hilfe des Praktikanten das Kind mit Windeln, die zu schmalen langen Streifen gefaltet um die Arme und Beine des Sauglings geschlungen und mit Sicherheitsnadeln an der Auflage des Tisches festgesteckt wurden. O'Donnell fiel auf, da? das Kind sehr ruhig lag, nur ganz schwach auf das, was mit ihm geschah, reagierte. Das war bei seinem Zustand und seiner Winzigkeit kein ermutigendes Zeichen.
Die Schwester entfaltete ein steriles Tuch und legte es uber den Saugling. Nur Kopf und Nabel, an dem die Stelle, wo bei der Geburt die Nabelschnur durchtrennt worden war, noch heilte, lie? sie unbedeckt. Die ortliche Betaubung war bereits erfolgt. Nun reichte das Madchen O'Donnell eine Pinzette. Er nahm sie, hob damit den Gazetupfer ab und begann, die Operationsstelle vorzubereiten. Der Praktikant hatte eine Notiztafel und einen Bleistift aufgenommen. O'Donnell fragte ihn: »Schreiben Sie mit?«
»Ja, Sir.«
O'Donnell bemerkte den respektvollen Ton, und unter anderen Umstanden hatte er innerlich daruber gelachelt. Praktikanten und Assistenten, die zum festen Stab des Krankenhauses gehorten, waren eine notorisch respektlose Bande. Sie fanden Schwachen bei den alteren Arzten des Krankenhauses schnell heraus, und von einem von ihnen mit »Sir« angeredet zu werden, kam fast einem Ritterschlag gleich.
Ein paar Minuten vorher waren zwei Lernschwestern in das Zimmer geglitten, und O'Donnell, der es gewohnt war zu unterrichten, erklarte ihnen seine Handlungen.
»Eine Austauschtransfusion ist, wie Sie wahrscheinlich wissen« - O'Donnell sah die beiden Lernschwestern an -, »tatsachlich eine Durchspulung. Wir entnehmen zunachst dem Kind eine kleine Menge Blut und ersetzen es sofort durch die gleiche Menge Spenderblut. Dann wiederholen wir das gleiche und fahren so lange damit fort, bis der gro?te Teil des ursprunglichen kranken Blutes entfernt und ersetzt ist.«
Die assistierende Schwester befestigte ene Halbliterflasche mit Blut an einem Stander uber dem Tisch. O'Donnell erklarte: »Die Blutbank hat bereits das Blut des Patienten mit dem des Spenders verglichen, um sicherzugehen, da? beide die gleiche Blutgruppe haben. Ferner mussen wir auch sicher sein, da? wir genau die gleiche Blutmenge ersetzen, die wir entfernen. Aus diesem Grunde schreiben wir mit.« Er deutete auf die Notiztafel des Praktikanten.
»Temperatur 35,5«, verkundete die assistierende Schwester.
O'Donnell sagte: »Skalpell, bitte«, und streckte die Hand aus.
Behutsam entfernte er mit dem Messer den getrockneten Teil der Nabelvene und legte das frische Gewebe blo?. Er reichte das Messer zuruck und sagte leise: »Haemostat.«
Der Praktikant reckte beobachtend den Kopf vor. O' Donnell erklarte: »Wir haben die Nabelvene freigelegt. Ich werde sie jetzt offnen und das Blutgerinnsel entfernen.« Er streckte die Hand aus, und die Schwester reichte ihm eine Pinzette. Das Blutgerinnsel war winzig, kaum sichtbar, und er zog es behutsam und vorsichtig heraus. Ein so kleines Kind zu behandeln war, als ob man an einer Puppe arbeitete. Wie gro? sind die Chancen fur einen Erfolg? fragte sich O'Donnell. Welche Aussichten bestanden fur das Uberleben des Kindes? Ursprunglich mochten sie durchschnittlich, vielleicht sogar gut gewesen sein, aber jetzt, nach tagelanger Verzogerung, waren die Hoffnungen auf Erfolg erheblich geringer. Er blickte auf das Gesicht des Kindes. Seltsamerweise war es kein ha?liches Gesicht, wie die Gesichter von Fruhgeburten es oft sind. Es war sogar fast hubsch. Eine kraftige Kieferlinie deutete auf eine ihm innewohnende Starke hin. Einen Augenblick lie? er, ganz gegen seine Natur, seine Gedanken abschweifen. Wie schandlich war das doch, geboren zu werden und einer so feindseligen Umgebung gegenuberzustehen.
Die assistierende Schwester hielt ein Kunststoffkatheter, an das eine Nadel befestigt war, bereit. Dadurch wurde das Blut entnommen und wieder ersetzt. O'Donnell nahm das Katheter und fuhrte die Nadel mit au?erster Behutsamkeit in die Nabelvene ein. Er sagte: »Prufen Sie den venosen Druck, bitte.«
Wahrend er das Katheter senkrecht hielt, ma? die Schwester mit einem Zentimeterma? die Hohe der Blutsaule. Sie verkundete: »Sechzig Millimeter.« Der Praktikant notierte es.
Ein zweiter Kunststoffschlauch fuhrte zu der Flasche mit Blut uber ihnen, ein dritter zu einem der zwei Metallbecken am Fu?ende des Operationstisches. O'Donnell schlo? die drei Schlauche an einen Dreiwegehahn an,