In dem Moment eilte Bruder Willibrod herbei.

»Sie sind uber die Mauer gekommen«, berichtete er atemlos. »Ich sah die Spuren im Schnee. Drei von ihnen mussen mit Wurfhaken und Seil hereingeklettert sein. Drau?en fand ich Abdrucke von sechs Pferden, also mussen drei andere drau?en gewartet haben.«

Abt Cild rieb sich das Kinn in dusterem Nachdenken. »Hast du festgestellt, wo die Spuren herkamen oder wohin sie fuhrten?«

»Der Wind hat sie rasch verweht. Der Schnee ist pulverig und trocken.«

Abt Cild argerte sich sichtlich. »Das ist auch gleichgultig. Ich gehe jetzt in mein Zimmer. Du kannst die Beisetzung zu Ende fuhren, ich habe viel zu tun. Morgen werden wir mit diesen Schurken abrechnen.«

Bruder Willibrod blickte dem sich entfernenden Abt unglucklich nach, sein eines Auge blinzelte heftig. Dann merkte er, da? Eadulf ihn beobachtete, und zuckte die Achseln.

»Manchmal«, gestand er ihm, »wunschte ich, ich hatte den Mut, nach Blecci’s Hill zuruckzukehren.«

»Blecci’s Hill?« fragte Eadulf. »Das liegt doch am Ufer der Ouse, nicht wahr?«

»Kennst du es?«

»Das ist gleich hinter der Grenze im Konigreich Mercia. Vor vielen Jahren fand dort eine Schlacht statt.«

Willibrod lachelte, erfreut daruber, da? Eadulf etwas von der Geschichte wu?te.

»Das war, noch bevor ich geboren wurde. Die Northumbrier waren in unser Gebiet eingefallen.« Er seufzte tief und kam dann in die Gegenwart zuruck. »Eines Tages kehre ich dahin heim, so Gott will, und richte mir eine kleine Einsiedelei in Blecci’s Hill ein. Aber jetzt .« Er rief ein paar Bruder zu sich.

»Lautet noch einmal die Sterbeglocke. Wir lassen das Andenken an unseren Bruder Botulf nicht dadurch beschmutzen, da? dieser Zwischenfall den Ernst der Feier gestort hat. So Gott will, werden wir diese Beleidigung morgen rachen.«

Eadulf erwachte einige Zeit vor dem Morgengrauen. Es war noch kalt, wenn auch im Kamin ein paar Stuk-ke aschebedeckte Glut glimmten. Im Zimmer herrschte, durch den wei?en Widerschein des Schnees drau?en, ein eigenartiges graues Zwielicht.

Er stand auf, ging zitternd vor Kalte rasch zum Feuer und warf trockene Zweige auf die Glut. Erst als sie Feuer gefangen hatten, legte er dickere Holzstucke nach. Nach wenigen Augenblicken loderte das Feuer heller auf. Trotzdem mu?te er noch in die Hande hauchen und mit den Fu?en stampfen, um seinen Kreislauf wieder in Bewegung zu bringen.

Er machte nur oberflachlich Toilette. Er wusch sich Gesicht und Hande in einer Schussel mit kaltem Wasser, an deren Rand sich Eis gebildet hatte. Dann rieb er sich kraftig trocken, zog seine Kutte an und ging leise ins Nebenzimmer.

Als er nach der Beisetzung Bruder Botulfs auf dem kleinen Klosterfriedhof an der Kapellenmauer lange nach Mitternacht zuruckgekehrt war, wollte er Fidelma von den seltsamen irischen Besuchern und ihren Forderungen an Abt Cild berichten. Doch Fidelma schlief fest, zitterte leicht, aber schwitzte stark und warf sich unruhig hin und her. Er hatte sie nicht geweckt, denn er merkte, da? sie an einer schweren Erkaltung litt. Ihr Atem ging hart und rasselnd.

Als er jetzt leise eintrat, lag sie noch im Bett. Sie hielt die Augen geschlossen, doch von Zeit zu Zeit hustete sie jammerlich, und ihre Nase war vom Niesen gerotet. Er ging zuerst zum Feuer und brachte es in Gang, dann setzte er Wasser auf.

»Ich fuhl mich elend«, krachzte hinter ihm eine Stimme, die mit Fidelmas normaler kaum Ahnlichkeit besa?.

Eadulf wandte sich um und lachelte sie mitfuhlend an.

»Du hast anscheinend eine gehorige Erkaltung von unserer Reise mitgebracht«, bemerkte er uberflussigerweise.

Fidelma richtete sich etwas auf und lehnte sich gegen das Kopfende ihres Holzbetts. Schwei? stand ihr auf der Stirn, und sie bekam Hustenanfalle. Eadulf legte ihr die Hand auf die feuchte, fiebrige Stirn.

»Sobald das Wasser hei? ist, mache ich dir einen Aufgu?, und danach wird es dir besser gehen.«

»Meine Kehle ist so trocken.«

Er reichte ihr einen Becher mit eiskaltem Wasser und erklarte ihr, sie solle kleine Schlucke nehmen. Das loste einen leichten Hustenanfall aus, und er nahm ihr den Becher wieder ab.

»Ich bereite dir einen Aufgu? von Heil-Batungen-Blattern. Der wird deine Kopfschmerzen kurieren. Es ist eins der beliebtesten Krautermittel meines Volkes. Wir mischen die Batungenblatter mit Holunder und Gei?blatt.«

»Eadulf, mir ist es egal, was du mir gibst«, stohnte sie. »Mir ist sterbenselend.«

»Nur keine Sorge«, erwiderte Eadulf frohlich. »In ein paar Tagen bist du wieder gesund. Dafur garantiere ich dir.«

Fidelma mu?te plotzlich niesen und schaute Eadulf trubsinnig an. Ein wenig brach ihre alte Natur wieder durch, und sie versuchte zu lacheln.

»Ich dachte, wir hatten nicht einmal zwei Tage?«

Eadulf stutzte, dann erinnerte er sich. »Du meinst Abt Cilds Befehl, die Abtei zu verlassen? Da bleib mal ganz ruhig. Ich gehe zu ihm und sage ihm, da? du nicht reisen kannst. Au?erdem hat sich hier etwas ereignet, was ich dir berichten mu?.«

Wahrend er das Mittel fur Fidelma zubereitete, erzahlte er ihr von den Ereignissen der vergangenen Nacht. Fidelma horte gespannt zu und verga? beinahe ihre Beschwerden.

»Ein troscud? Bist du sicher, da? er dieses Wort gebrauchte?«

Eadulf nickte. Er sa? auf der Kante ihres Bettes und sah zu, wie sie den Aufgu? schlurfte.

»Ich wei?, da? es eine Art von rituellem Fasten ist«, erklarte er.

»Eine sehr ernste Art«, bestatigte sie. »Es kommt nicht oft vor, denn die meisten Leute lassen Streitfalle gern durch ein Schiedsgericht entscheiden. Das Gesetz gilt als sehr wichtig, deshalb halten sich beide Seiten daran, und nur selten mu? einer gezwungen werden, es zu akzeptieren.«

»Aber hier, in seinem eigenen Land, untersteht Abt Cild nicht euren Gesetzen.«

»Das stimmt allerdings«, meinte Fidelma und wurde von einem erneuten Hustenanfall unterbrochen.

Eadulf reichte ihr einen neuen Becher mit dem Aufgu?. Sie nippte daran.

»Aber du sagst, da? dieser Krieger - Garb hie? er? - behauptete, Abt Cild habe seine Schwester in der Ebene der Eiben geheiratet?«

»Ein Madchen namens Gelgeis«, bestatigte Eadulf.

»Und er heiratete sie nach unserem Gesetz der Fenechus?«

»Ja.«

»Ebene der Eiben? Garb sprach angelsachsisch und ubersetzte diesen Namen ins Angelsachsische?«

Eadulf nickte.

»Maigh Eo - Ebene der Eiben. Das ist ein Ort im Konigreich Connacht. Ich verstehe, da? man fordern kann, Cild solle sich nach dem Gesetz der Fenechus richten, wenn er an diesem Ort geheiratet hat. Kannst du weitere Einzelheiten herausfinden?«

Eadulf setzte eine sauerliche Miene auf. »Vom Abt werde ich nichts erfahren.«

»Dann mu?t du herausbekommen, wo Garbs Vater sein rituelles Fasten abhalten will.«

»Spielt das eine Rolle?«

»Ich glaube schon. In meinem Land findet das rituelle Fasten gewohnlich in Sichtweite der Tur dessen statt, gegen den es gerichtet ist. Es gilt als eine Gotteslasterung und ein Verbrechen, wenn jemand dem Fastenden etwas tut, solange er das troscud abhalt. Aber hier, in deinem Land ... Ich wei? nicht, wie man hier so ein Fasten durchfuhren kann, denn, ganz grob gesagt, eure Leute wurden den Brauch nicht achten und wahrscheinlich den Fastenden verletzen.«

»Das ist wahr«, stimmte ihr Eadulf zu. »Bei unseren Leuten ware das Fasten eine nutzlose Geste.«

Fidelma sank auf ihr Lager zuruck. Sie hatte Schwierigkeiten beim Atmen, und ihr Husten qualte sie. Sie fa?te Eadulfs Hand.

»Versuch etwas mehr herauszukriegen. Ich meine, Garbs Vater mu? das erkannt und einen anderen Plan gemacht haben, um sich dabei zu schutzen. Etwas so Ernstes wie ein troscud konnte zum Krieg fuhren.«

Eadulf lachelte ihr ermutigend zu. »Ich werde ein paar diskrete Erkundigungen einziehen. Aber als erstes

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