Eadulf entnahm ihm noch mehr.

»Du wei?t also, da? Bruder Botulf getotet wurde?«

»Das wei? ich«, antwortete Aldhere duster. »Und wenn du den Schuldigen suchst, mu?t du mit Cild reden.«

»Behauptest du etwa, da? Cild der Morder ist und nicht du?«

»Habe ich mich nicht klar genug ausgedruckt?«

»Erzahl mir, woher du wei?t, da? Botulf tot ist.«

Zum erstenmal wurde Aldheres Miene ernst.

»Was geht das dich an, Eadulf von Seaxmund’s Ham? Du hast mir erklart, du bist gerade erst in Al-dreds Abtei angekommen, und wie gesagt, wenn du klug bist, wirst du sie schnell wieder verlassen.«

Eadulf entschlo? sich zur Offenheit.

»Es geht mich sehr viel an, Aldhere. Botulf war mein enger Freund von Kindheit und Jugend an. Als ich vor ein paar Wochen in Canterbury war, schickte er mir eine Botschaft, in der er mich aufforderte, in die Abtei zu kommen und spatestens gestern um Mitternacht dort zu sein. Ich schaffte es, mu?te aber feststellen, da? er kurz vor meiner Ankunft ermordet worden war. Zum Beweis von Cilds Behauptung deiner Schuld erklart einer der Bruder, er habe dich zu der Zeit bei der Abtei gesehen.«

Aldhere schwieg einen Moment.

»Das mu? Wigstan gewesen sein, der mit Fisch fur die Abtei von der Kuste zuruckkam. Den habe ich gesehen. Er hat recht. Ich war dort.«

Eadulf blickte ihn scharf an. »Gibst du jetzt zu ...?«

»Spiel hier nicht den Narren, heiliger gerefa. Naturlich nicht. Hat dir Botulf mitgeteilt, warum du zu Al-dreds Abtei kommen solltest? Oder weshalb du zu dieser bestimmten Zeit dort sein solltest?«

Widerwillig schuttelte Eadulf den Kopf.

»Ich habe Botulf nicht getotet«, sagte Aldhere plotzlich mit unterdruckter Leidenschaft. »Er war auch mein Freund. Ich war zur Abtei gekommen, um mich heimlich mit ihm zu treffen - wie dich hatte er auch mich aufgefordert, zu einer festgesetzten Zeit dort zu sein, in meinem Fall gestern im Morgengrauen.«

»Und dabei hat dich Bruder Wigstan gesehen?«

»Das leugne ich nicht.«

»Aber Botulf hast du nicht gesehen?«

Aldhere schuttelte entschieden den Kopf. »Wahrend ich im Schatten des Waldchens neben der Abtei auf ihn wartete, horte ich einen Aufschrei. Ich beschlo?, lieber nicht dort zu warten, bis ich wu?te, was das zu bedeuten hatte.«

»Wie hast du dann erfahren, da? dieser Aufschrei bedeutete, da? Botulf tot aufgefunden wurde?«

»Durch Wiglaf. Er hat einen Verbindungsmann in der Abtei und horte, da? dank Wigstans Aussage Cild behauptet, ich ware der Morder.«

»Warum ha?t dich Abt Cild?«

Aldhere seufzte tief. »Das ist eine lange Geschichte, und sie hat eine noch langere Vorgeschichte.«

»Ich habe viel Zeit«, erwiderte Eadulf ohne Ironie.

»Dann gedulde dich, bis wir das Lager erreicht haben, dort werde ich dir bei einer Schussel hei?er Suppe diese Geschichte erzahlen.«

Eadulf verfiel fur eine Weile in Schweigen. Er konnte aus Aldhere nicht klug werden. Er entsprach so gar nicht dem Bild des Geachteten aus dem Moorland, das Cild gezeichnet hatte, wenn auch sein Au?eres zu Eadulfs Vorstellung von einem Rauber pa?te. Aldhere war ein Mann von angenehmen Umgangsformen, gebildet und mit der ruhigen Autoritat, wie sie eher ein Than, ein niederer Adliger, als ein Geachteter besa?. Eadulf drangten sich viele Fragen auf, doch er beschlo?, seine Ungeduld im Zaum zu halten. Wie Fidelma gern sagte, es sind die Geduldigen, die zum Ziel gelangen.

Sie ritten parallel zur Kuste nach Norden, hielten sich aber im Schutz der Walder, die dort, wo sie von der atzenden Salzluft des Meeres nicht beruhrt wurden, dicht wuchsen. Eadulf begann die Gegend zu erkennen und empfand leichtes Heimweh bei dem Gedanken, da? sie nicht mehr weit von seinem Geburtsort entfernt waren.

Druben zu ihrer Rechten endete das Land in Sanddunen und Kieselstrand, zu ihrer Linken lag ein Gebiet mit kleinen Lagunen, Su?wasser-Schilfmoor, Wald und Heide. Als sie einen dichten, scheinbar undurchdringlichen Gurtel von Espen, Birken und Eichen durchquert hatten, kamen sie plotzlich auf eine Lichtung mit einfachen Hutten, zwischen denen sich Menschen bewegten, Manner, Frauen und sogar Kinder.

»Willkommen in meinem Lager«, lachelte Aldhere, zugelte sein Pferd und stieg ab.

Eadulf folgte seinem Beispiel, und der Geachtete fuhrte ihn zu einer der Hutten. Ehe sie sie noch erreicht hatten, offnete sich ihre Tur, eine Frau trat heraus und begru?te Aldhere. Sie war schlank, und blondes Haar lugte unter dem Kopftuch hervor, das ihr Gesicht gro?enteils verhullte. Als sie Eadulf erblickte, blieb sie jah stehen.

»Wer ist das? Ein Gefangener? Einer von Cilds Leuten?« fragte sie unfreundlich. Sie sprach Sachsisch mit einem fremden Akzent, den Eadulf zunachst nicht deuten konnte.

Aldhere schuttelte lachelnd den Kopf.

»Nein, mein Schatz, das ist ein Gast. Das ist meine Frau Bertha, und dies ist Bruder Eadulf, Bertha. Nun bring uns Met und warme Suppe und la? uns in Ruhe miteinander reden.«

Bertha schnaubte verachtlich, verschwand aber wieder in der Hutte. Aldhere und Eadulf folgten ihr. Das Innere der Hutte bildete einen einzigen Raum, der gerade Platz fur ein Bett, einen Tisch und ein paar Schemel bot. Aldhere winkte Eadulf, sich zu setzen, und lie? sich ihm gegenuber nieder. Bertha stellte einen Krug Met auf den Tisch. Dabei bemerkte Eadulf eine Narbe an ihrem Arm, die sich vom Handgelenk nach oben zog. Die Suppe war schon fertig, und gleich darauf standen auch Schusseln mit dampfendem Gemuse und frischem, warmem Brot vor ihnen. Dann marschierte Bertha aus der Hutte, sichtlich verargert, da? sie vom Gesprach ausgeschlossen war.

»Bertha? Das ist doch ein frankischer Name«, meinte Eadulf, als sie allein waren.

Aldhere nickte nachdenklich. »Ich befreite sie von einem frankischen Sklavenhandler, der sie an die OstSachsen verkaufen wollte. Die Sklavenhandler haben sie nicht gut behandelt. Ich habe gesehen, da? dir die Narbe an ihrem Arm aufgefallen ist. Sie hat noch weitere Narben, deshalb bedeckt sie vor Fremden gern ihr Gesicht. Sie hat es vorgezogen, bei mir zu bleiben.«

Eadulf nickte mitfuhlend. »Dieser Sklavenhandel ist ein ubles Geschaft, und ich hoffe, da? er einmal ganz verboten wird. Aber sag mir, warum wollten die OstSachsen mich toten? Als ich jung war, traten sie nie so gewalttatig auf.«

Aldhere schenkte ihnen Met ein.

»Das kommt alles von Konig Sigehere, der zur Anbetung der Gotter seiner Vorfahren zuruckgekehrt ist. Er hat samtlichen Christen den Krieg erklart.«

»Ich dachte, er hatte vollauf damit zu tun, gegen sein eigenes Volk zu kampfen. Warum sendet er Manner aus, die in unser Land einfallen?«

»Sigehere ist ehrgeizig, ganz gleich, welcher Religion er gerade anhangt. Das Konigreich der OstSachsen genugt ihm nicht, deshalb schickt er Krieger aus, die die Starken und Schwachen seiner Nachbarlander herausfinden sollen. Es hat mehrere Uberfalle bei uns gegeben - einen hast du eben miterlebt. Ein christlicher Monch ware fur Sigeheres Krieger ein guter Fang gewesen. Sie hatten sich einen besonderen Spa? mit dir gemacht.«

Eadulf erschauerte bei dem Gedanken und langte nach seinem Becher Met.

»Warum gingen sie gerade an dieser Stelle an Land? Hier in der Nahe gibt es doch keine wesentlichen Ansiedlungen au?er Aldreds Abtei.«

Aldhere rieb sich das Kinn und uberlegte.

»Das ist eine gute Frage, heiliger gerefa. Gewohnlich fallen sie weiter nordlich ein, im Land des Nordvolks, wo Konig Ealdwulf seinen Palast und seine Burgen hat. Ja, warum gingen sie ausgerechnet hier an Land?«

Einen Moment schien der Geachtete in Nachdenken versunken. Eadulf holte ihn in die Gegenwart zuruck.

»Kann man denn nichts gegen Sigehere unternehmen? Ich dachte, sein Vetter Sebbi fuhre einen Burgerkrieg

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