Es wurde eine lange Nacht werden. Das Fieber mu?te nachlassen. Inzwischen hatte er noch mit Abt Cild fertigzuwerden.

Er wandte sich zur Tur. Der stammige Monch stand wie vorhin davor. Er lie? Eadulf hinaus, sagte aber kein Wort. Nur seine Augen beobachteten Eadulf, aufmerksam, aber nicht unfreundlich.

»Wo finde ich Bruder Redwalds Zelle?« fragte ihn Eadulf. Er wollte nicht dem Abt gegenubertreten, ohne genau erfahren zu haben, was Redwald gesehen hatte.

Der gro?e Wachter zeigte nur auf seinen Mund und schuttelte den Kopf. Eadulf begriff, da? der Mann nicht sprechen konnte. Ehe er noch reagieren konnte, nahm der Monch seinen Arm und wies den Kreuzgang entlang. Dann hob er vier Finger.

»Die vierte Tur auf diesem Gang?« fragte Eadulf.

Der Mann nickte, ohne eine Miene zu verziehen.

Eadulf lief rasch in die angegebene Richtung und zahlte die Turen an dem dunklen Gang. Vor der vierten Tur standen ein paar Monche. Sie unterhielten sich leise. Unwillkurlich trat Eadulf in den Schatten zuruck.

»Los, Bruder Wigstan«, rief einer der Monche. »Es wird Zeit, die Glocke zum Abendessen zu lauten. La? ihn in Ruhe. Er wird bald wieder zur Vernunft kommen.«

Eadulf sah, wie Bruder Wigstan aus der Tur trat und sich den anderen anschlo?. Sie gingen zusammen fort, ihre Ledersandalen klappten auf dem Granitpflaster, dann verhallten ihre Schritte.

Eadulf wartete noch etwas, bevor er sich zur Tur bewegte. Zu seiner Uberraschung war sie nicht verschlossen, sondern nur von au?en verriegelt. Er offnete sie und fand sich in einem kleinen, zellenartigen Raum wieder. Der junge Bruder Redwald sa? auf dem Bett, die Arme uber der Brust gekreuzt. Erschrocken blickte er auf.

»Schon gut«, flusterte Eadulf und hob die Hand. »Ich will dir nichts tun. Ich mu? mit dir daruber sprechen, was du gesehen hast.«

Der Junge schuttelte den Kopf. Seine Lippen zitterten.

»Es war ein Damon. Das sage ich dir. Es war .« Er warf Eadulf wieder einen entsetzten Blick zu. »Der Abt sagt, die Irin hat den Damon heraufbeschworen ... Und sie ist deine Gefahrtin!«

Er schob sich auf dem Bett zuruck, weg von Eadulf.

Eadulf schuttelte den Kopf. »Ich will dir nichts antun, Redwald, und Fidelma will das auch nicht. Sie ist krank und kann ebensowenig Geister beschworen wie du. Schlag dir diese Vorstellung aus dem Kopf. Erzahl mir, was du gesehen hast. Beschreibe es mir.«

Der Junge schien sich etwas zu beruhigen.

»Es ware ein gro?es Unrecht, wenn Schwester Fidelma die Schuld fur etwas zugeschoben wurde, wofur sie nicht verantwortlich ist«, beharrte Eadulf in sanftem Ton. »Du allein kannst die wahre Geschichte erzahlen. Also sag’s mir, und ich verspreche dir, da? dir nichts geschieht.«

Der Junge sah nun weniger verangstigt aus, wirkte aber auch nicht eben mutig. Doch mit weiterem gutem Zureden holte Eadulf die Geschichte aus ihm heraus. Sie entsprach im wesentlichen dem, was ihm Bruder Willibrod berichtet hatte.

»Ich ging zum Gastezimmer, um zu sehen, ob ich etwas fur die irische Schwester tun konnte«, gestand er. »Ich hatte auch schon mal solch einen Schuttelfrost ...«

»Also du gingst in das Zimmer. Und dann?« lockte ihn Eadulf weiter.

Redwald hob ihm ein schreckverzerrtes Gesicht entgegen.

»Dann sah ich sie!«

»Weiter. Wer war die Frau, die dir solchen Schreck einjagte?«

»Es war Lady Gelgeis. Ich schwore es. Als ich in die Abtei kam, war sie noch am Leben. Ich wei?, wie sie aussah. Sie hat mich gepflegt, als ich den Schuttelfrost hatte. Deshalb wu?te ich, da? ich versuchen sollte, der irischen Schwester zu helfen.«

»Ich verstehe.« Eadulf wartete geduldig, bis der Junge sich gesammelt hatte. »Und du dachtest also, Lady Gelgeis ware im Zimmer bei Schwester Fidelma ?«

Der Junge lie? sich nicht beirren. »Das habe ich nicht gedacht, ich habe sie gesehen. Als ich eintrat, beugte sie sich uber Schwester Fidelma und wischte ihr die Stirn . Genau so, wie sie es auch mit mir immer gemacht hatte.«

»Beschreibe sie mir.«

»Sie ist jung und hubsch.«

»So? Und weiter? Wie sieht ihr Haar aus?«

»Sie hat rotes Haar, aber mehr golden als rot, und ihre Haut ist bla?, sehr bla? selbst im Kerzenlicht. Sie trug ein feines rotes Kleid mit Edelsteinen - glitzernden Edelsteinen. Ich stand da und . Und dann hob sie die Hand und sah mich an. Heilige Mutter Gottes! Ihr Gesicht sah genau so aus, wie ich es in Erinnerung hatte - aber sie ist tot, Bruder! Sie ist tot! Jeder sagt, sie ist tot. Also mu? es doch so sein.«

»Beruhige dich, Redwald«, redete ihm Eadulf zu und tatschelte ihm die Schulter. »Erzahl mir einfach, was dann geschah. Sie schaute dich an. Hat sie etwas gesagt?«

»Verzeih mir, Bruder, aber ich schrie auf und floh aus dem Zimmer. Ich hatte keinen Gedanken mehr fur die irische Schwester auf dem Bett. Ich rannte weg. Ich rannte zu Bruder Willibrod, und der bestand darauf, da? ich mit ihm zusammen in das Zimmer ging. Also kehrten wir dorthin zuruck .«

»Was habt ihr vorgefunden?«

»Das Zimmer war leer bis auf die irische Schwester. Von Gelgeis keine Spur.«

»Was geschah weiter?«

»Ich erzahlte Bruder Willibrod im einzelnen, was ich gesehen hatte. Er meinte, das mu?te ich dem Abt berichten. Ich glaube, Abt Cild gefiel das gar nicht. Ich war mit den Nerven vollig fertig, und Willibrod verabreichte mir ein starkes Getrank, um mich zu beruhigen, und brachte mich hierher, damit ich mich ausruhen sollte. Mehr wei? ich nicht.«

Eadulf lehnte sich gegen die Wand und rieb sich die Nase.

»Als du zuruckkamst, gab es wirklich keine Spur von der Frau, die du gesehen hattest?« fragte er schlie?lich.

»Woher denn? Es war doch eine Erscheinung, ein Geist.«

»Du bist uberzeugt, da? es Lady Gelgeis war?«

»Es war niemand anders als Lady Gelgeis, so wie ich sie kannte. Sie ist mindestens ein Jahr schon tot.«

»Ich verstehe. Aber sag mir eins, Bruder Redwald: Hast du jemals die tote Lady Gelgeis gesehen?«

Der Junge runzelte die Stirn. »Es ist allgemein bekannt, da? ihr Leichnam niemals aus dem Moor geborgen wurde. Er ruht in einem Moorloch nicht weit von hier. Einige Bruder sagten, sie habe eines Abends allein auf dem Ruckweg zur Abtei den Weg verfehlt und sei dort hineingeraten. Es ist ein gefahrlicher Ort, und es sind schon mehrere Tiere an dieser Stelle im Moor versunken. Der Ort hei?t Hob’s Mire.«

Eadulf uberlegte. »Und er ist nicht weit von hier, sagst du?«

»Ja, es fuhrt ein Weg zu einem kleinen Waldchen, und dahinter erstreckt sich das Moor, und darin liegt Hob’s Mire.«

Eadulf unterdruckte ein Schaudern, denn plotzlich erinnerte er sich an das blau flackernde Licht, das er an genau der Stelle gesehen hatte, die der Junge beschrieb. Er spurte, wie seine Hand zitterte, und versuchte dem zornig Einhalt zu gebieten. Fidelma wurde die Gedanken nicht billigen, die ihm jetzt durch den Kopf schossen. Er war in diesem Land aufgewachsen und hatte die alten Gotter verehrt, war den alten Brauchen gefolgt und erst in seinen Mannesjahren zum neuen Glauben ubergetreten. Doch das heilige Wasser, mit dem ihn der irische Missionar, der ihn zum Christentum bekehrt hatte, taufte, war nicht stark genug gewesen, sein Heidentum vollig von ihm abzuwaschen.

Der Geist von Gelgeis, den auch er an jenem ersten Abend bei der Kapelle gesehen hatte; die blaue Flamme, ob sie nun ein Feuerdrache war oder nicht; und jetzt die Geschichte, die Bruder Redwald erzahlte: Das alles zog ihn zuruck zu dem alten Glauben seines Volkes wie Fangarme, die nach ihm griffen und ihn in den dusteren Bereich der Religion zuruckrei?en wollten, der er entflohen war.

Entschlossen schob er das Kinn vor. Im Geiste horte er Fidelmas tadelnde Worte: »Was ist das Ubernaturliche weiter als das Naturliche, das nur noch nicht erklart ist?«

Sobald er sich das sagte, begriff Eadulf, da? er wiederholte, was Fidelma gesagt hatte. Sie wurde zweifellos

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