»Abt Cild ist ein rucksichtsloser Mensch, und wenn er den Verdacht hatte, da? Botulf sich gegen ihn verschworen hatte ...« Er schlo? mit einem Achselzucken.

»Aber er mu? doch gewu?t haben, da? Botulf mit Aldhere in Verbindung stand? Das ist offenkundig.«

Wiglaf gab keine Antwort. Es war jetzt zu dunkel, um das Gesicht des anderen deutlich zu erkennen. Die Nacht wurde finster werden, bewolkt, und weder Sterne noch Mond wurden sich in der wei?en Schneedecke spiegeln und so ein wenig Licht geben.

»Noch vor Tagesanbruch wird es wieder schneien«, bemerkte Wiglaf zerstreut. Dann setzte er hinzu: »Ich glaube nicht, da? Cild von Botulfs Verbindung zu Aldhere wu?te. Das war nicht der Grund fur ihre Feindschaft. Es gab da noch etwas anderes. Was es war, wei? ich nicht genau.«

»Bei dem Begrabnis gestern nacht behauptete Cild, er sei Botulfs enger Freund gewesen, und er beklagte seinen Tod. Meinst du, da? er damit log?«

Wiglaf beantwortete Eadulfs Frage mit einem Hohnlachen.

»Bist du sicher, da? du weiter nichts beisteuern kannst, was Licht in die Sache bringt?« drangte ihn Eadulf verzweifelt.

»Einen Rat gebe ich dir noch, gerefa. Das Sprichwort sagt, da? die Kutte noch keinen Monch macht .«

Wiglaf brach ab. Eadulf sah, wie sich sein Korper spannte, als er uber das flache Moorland starrte, und folgte seinem Blick.

Mehrere hundert Meter entfernt in dem dunklen schneebedeckten Moorland erhob sich ein seltsames schillerndes Leuchten. In seiner Mitte schien ein blaues Licht, das sich uber ein Stuck Land verbreitete und bald schwacher und bald heller flackerte. Eadulf spurte, da? ihn ein Schauer durchlief, und er bekreuzigte sich rasch.

Wiglaf bemerkte seine Geste und lachte laut auf.

»Du brauchst den Schutz des Allmachtigen nicht anzurufen, gerefa«, spottete er. »Das ist blo? ...«

»Ich wei?, was es ist«, fauchte Eadulf argerlich. »Ignis fatuus ...«

»Ja, ein Irrlicht. Wir nennen es Feuerdrache.«

»Ich sagte schon, ich wei?, was es ist. Aber kannst du auch erklaren, woher es kommt?«

»Die Moorlandbewohner erzahlen viele Geschichten vom Feuerdrachen«, erwiderte Wiglaf. »Ich glaube keine davon. Sonst wurde ich mich uberhaupt nicht ins Moor wagen, geschweige denn mitten in der Nacht hindurchreiten. Schau mal, es ist schon wieder verschwunden.«

Eadulf erschauerte noch einmal und hatte sich beinahe wieder bekreuzigt, aber er wollte seinem Begleiter keine Gelegenheit geben, ihn auszulachen. In seiner Jugend nannte man das ignis fatuus Leichenfeuer, denn es hie?, der Geist unruhiger Toter erhebe sich als blaue Flamme und zeige sich denen, die ihnen zur Gerechtigkeit verhelfen sollten. Gerade zu dieser Zeit, zu Beginn des Julfests, erlaubten die Gotter und Gottinnen den Geistern, denen Unrecht geschehen war, sich an den Lebenden zu rachen.

»Jedenfalls«, meinte Wiglaf, »wirst du von den Baumen da vorn aus die Laterne sehen, die drau?en am Tor der Abtei hangt. Nur noch ein kurzer Ritt. Hab Mut, gerefa!«

Eadulf offnete den Mund, um den unverschamten Dieb zu schelten, aber Wiglaf hatte sein Pferd schon gewendet und trabte in der Dunkelheit davon.

Eadulf blickte wieder uber das Moor, sah aber nichts mehr von dem schillernden blauen Licht. Ihm war unheimlich zumute, als er sein Maultier antrieb. Es schien zu spuren, da? sein Stall nahe war, denn es bewegte sich mit einer Geschwindigkeit, die ihn uberraschte. Schnell erreichte er die Baume und erblickte zuerst den Flu? und dann ein Stuck weiter die dunklen Mauern der Abtei. Die Laterne flackerte am Tor. Er spurte, wie ihn eine Welle der Erleichterung uberlief.

Es war noch fruh am Abend. Wenn er die Zeit richtig schatzte, hatte noch nicht einmal die Glocke zum Angelusgebet gelautet, doch ihm schien es so kalt und dunkel, als ware es Mitternacht.

Es war der dominus, Bruder Willibrod, der Eadulf das Tor der Abtei offnete, nachdem dieser am Glockenstrang gezogen hatte. Dankbar glitt Eadulf von seinem Maultier und streckte die schmerzenden Glieder.

»Gott sei gelobt, da? du heil zuruckgekehrt bist, Bruder Eadulf«, begann der dominus sofort, und sein eines dunkles Auge blinzelte heftig. »Heute fruh bist du aufgebrochen, und jetzt ist es schon spat. Wir haben befurchtet, da? dir ein Unfall zugesto?en ware oder noch Schlimmeres .«

»Noch Schlimmeres?« wiederholte Eadulf.

»Aldheres Geachtete treiben sich im Moorland herum, wie du wei?t. Der Abt kam nach der Mittagsglocke zuruck, er hatte es aufgegeben, sie zu suchen. Er sagte, du hattest ihn nicht eingeholt, und zurnte mit mir, weil ich dich hatte gehen lassen.«

Eadulf bemuhte sich, ein ausdrucksloses Gesicht zu machen.

»Wie du siehst, Bruder Willibrod, bin ich heil wieder hier.«

Bruder Willibrod winkte einen vorbeikommenden Monch heran und gab ihm die Anweisung, Eadulfs Maultier abzusatteln, zu futtern und zu tranken. Eadulf ging uber den Haupthof. Zu seiner Uberraschung eilte ihm der dominus nach. Eadulf hatte den Eindruck, er sei nicht nur wegen Eadulfs spater Ruckkehr besorgt. Anscheinend suchte der dominus nach den richtigen Worten, sein Thema anzusprechen. Zuerst wollte Eadulf es ihm nicht erleichtern, doch dann erfa?te ihn Mitleid. Als sie die andere Seite des Hofes erreicht hatten, fragte Eadulf: »Hast du etwas auf dem Herzen, Bruder?«

»Etwas Seltsames hat sich ereignet, Bruder Eadulf.«

»Etwas Seltsames?«

Die Besorgnis im Ton des dominus war unverkennbar. Plotzlich kam Eadulf ein Gedanke.

»Schwester Fidelma ... Ihre Krankheit hat sich doch nicht verschlimmert?«

Zu seiner Erleichterung schuttelte Bruder Willibrod sofort den Kopf.

»Nein, ihre Krankheit hat sich nicht verschlimmert. Es ist der Bruder Redwald, der .«

Eadulf stutzte. »Wer ist Bruder Redwald?«

»Der junge Mann, der die Arbeiten im Gastehaus erledigt.«

»Ach ja, ich erinnere mich an ihn. Was ist mit ihm?«

»Er mu?te in seine Zelle eingesperrt werden und ein starkes Getrank erhalten, damit er sich beruhigte.«

Eadulf wartete noch einen Moment und seufzte dann erbittert.

»Um Himmels willen! Mu? ich denn die Geschichte Satz fur Satz aus dir herausholen? Du bist anscheinend erregt wegen etwas, das Bruder Redwald passiert ist, obgleich ich nicht wei?, was das mit mir zu tun hat, und es geht mich wohl auch nichts an, wenn du mir nicht erklarst, wieso.«

»Setz dich einen Augenblick, Bruder«, sagte der dominus und wies auf eine Steinbank, »dann erzahl ich’s dir.«

Eadulf verbarg seinen Arger, wurde zu der Bank gefuhrt und setzte sich hin. Bruder Willibrod lie? sich neben ihm nieder. Sein Gesicht wurde von der flak-kernden Sturmlaterne uber ihnen erhellt. Es bot einen unheimlichen Anblick.

»Es ereignete sich gleich nach Anbruch der Dunkelheit«, begann er. Als Eadulf stohnte, streckte Bruder Willibrod die Hand aus. »Geduld, Bruder. Redwald ist krank und zu seinem eigenen Schutz eingeschlossen. Sein Geist ist vollig verstort.«

Eadulf bezwang sich. Der dominus fuhr fort.

»Redwald ging in das Zimmer von Schwester Fidelma , um zu sehen, ob sie etwas brauchte. Am Bett deiner Gefahrtin sah Bruder Redwald eine Frau stehen. Bruder Redwald erkannte sie.«

Bruder Willibrod legte eine dramatische Pause ein.

»Und wer war die Person, die Bruder Redwald erkannte?« fragte Eadulf mude.

»Redwald kam in unsere Gemeinschaft, als Abt Cilds Frau Gelgeis noch am Leben war. Redwald erkannte diese Frau - es war Gelgeis oder der Schatten von Gelgeis. Er wurde irre vor Furcht, weil er wu?te, da? sie tot ist. Aber dort stand sie, bla?, aber sonst wie zu ihren Lebzeiten. Sie streckte eine Hand nach ihm aus, und er rannte

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