Ja, ich habe sie gesehen. Das war damals, als ich zur Abtei ging. Cild trug noch keine romische Tonsur und hatte sich noch nicht furs Zolibat entschieden. Gelgeis war noch am Leben. Sie kamen zusammen in Aldreds Abtei.«
»Wie ist sie gestorben? Wei?t du das?«
Ein seltsamer Ausdruck huschte uber Aldheres Gesicht.
»Warum interessierst du dich fur Gelgeis, heiliger
Eadulf berichtete ihm, was sich in der Nacht zuvor in der Kapelle zugetragen hatte.
Aldhere lehnte sich mit einem leichten Lacheln zuruck.
»Wenn ich dich in dieser Sache mit dem rituellen Fasten richtig verstanden habe«, meinte er schlie?lich, »dann haben diese armen Narren keine Chance, Cild zu zwingen, sich einem Gericht zu stellen. Wer wei? denn hierzulande etwas von diesem Ritual? Die Leute meines Bruders werden sie einfach umbringen, wenn sie eine Gelegenheit dazu bekommen.«
Eadulf beugte sich vor. »Glaubst du, da? Gelgeis von deinem Bruder ermordet wurde?«
Aldhere zogerte. »Moglich ware es. Ich kann es nicht sagen. Sie verschwand eines Tages auf dem Wege durchs Moorland in der Nahe der Abtei.«
»Hat Botulf jemals davon gesprochen? Er soll das Madchen gut gekannt haben.«
»Botulf? Davon hat er mir nie etwas gesagt.«
Eadulf lehnte sich enttauscht zuruck. »Was wei?t du von ihrem Tod?«
»Sehr wenig. Als ich horte, da? Cild aus Connacht zuruckgekehrt war, wollte ich ihn als lange verschollenen Bruder willkommen hei?en. Wie gesagt, ich ging zur Abtei. Cilds Frau erwies mir mehr Freundlichkeit und Hoflichkeit als er. Sie war sehr lieb und reizend, aber zart und sanft. Ich verstand nicht, wie es mein Bruder fertiggebracht hatte, solch eine Frau zu gewinnen ...«
Er schwieg eine Weile, in Erinnerung versunken, dann fuhr er fort: »Als ich meinen Bruder gesehen und erkannt hatte, welche Feindschaft er weiterhin gegen mich hegte, beschlo? ich, da? ich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Dann kamen die Schlacht und mein Sturz. Nachdem ich geachtet worden war, ging mein Bruder zum Konig und forderte meinen Rang und meine Besitzungen fur sich. Eald-wulf ist ein verschlagener Herrscher. Er au?erte sein Verstandnis, bestatigte die Ernennung meines Bruders zum Abt, sagte aber, er konne ihn nicht zum Than von Bretta’s Ham machen und ihm auch nicht alle meine Besitzungen uberlassen. In Wahrheit wollte Ealdwulf sie fur sich, aber er gab Cild ein Achtel des Erbes meines Vaters. Damit war Cild nicht zufrieden, doch er konnte sich nicht weiter mit dem Konig darum streiten.«
Aldhere hielt inne, langte nach der Kanne Met auf dem Tisch, go? sich einen Becher ein und leerte ihn mit zwei raschen Zugen.
»Das, heiliger
Eine Weile schwiegen beide.
»Daraus ergeben sich noch ein paar Fragen«, meinte Eadulf.
»Namlich welche?«
»War es Cilds oder Botulfs Anwesenheit in der Abtei, die dich veranla?te, dein Lager in diesem Moorland aufzuschlagen?«
Aldhere lachte. »Ehrlich gesagt, es war eine Mischung aus beidem.«
»Wie konnte man Garb und seinen Vater Gadra von Maigh Eo finden? Denn da? Garb gestern abend im Schneesturm in die Abtei kommen und dieses rituelle Fasten verkunden konnte, deutet darauf hin, da? sich die irischen Krieger in der Nahe aufhalten mussen. Ich mochte mit ihnen sprechen und sie vielleicht vor Cilds Zorn bewahren.«
Der geachtete Than pre?te nachdenklich die Lippen zusammen.
»Eine Schar irischer Krieger kann sich in dieser Gegend schlecht verbergen. Aber es gibt noch ein paar Kloster, in denen die irischen Missionare sich geweigert haben, sie den romischen Klerikern zu ubergeben. Das konnte die Antwort auf deine Frage sein.«
Eadulf schopfte plotzlich Hoffnung.
»Kennst du solche Kloster?«
Aldhere nickte langsam.
»Aber ich verstehe nicht, was dich das alles angeht, heiliger
»Ich habe ein Interesse daran«, erwiderte Eadulf, »den oder die Morder meines Freundes Botulf vor Gericht zu bringen. Wenn ich zu diesem Zweck ein ganzes Knauel Faden aufraufeln mu?, dann mu? das eben sein, und ich werde es tun.«
»Du klingst entschlossen, mein Freund. Bist du es auch? Und hast du keine Furcht?«
»Du kannst sicher sein, da? ich dazu entschlossen bin, und du sollst selbst beurteilen, ob ich Furcht habe oder nicht.«
»Nicht ich habe das zu beurteilen. Ich meine, du nimmst es mit einigen seltsamen Geheimnissen auf, mein Freund. Mit seltsamen Geheimnissen und bosen Menschen. La? dich warnen.«
»Die nachstgelegenen Kloster mit irischen Missionaren - du wolltest mir sagen, wo ich sie finde?«
»Ich habe gehort, es gebe ein paar altere Missionare aus Eireann nordlich von hier in Domnoc’s Wic, aber das konnte zu weit entfernt sein . « Aldhere hielt inne, dann lachelte er. »Da ist noch der Wald von Tunstall, dem Bauernhof, der liegt viel naher, gleich sudlich vom Flu?. Dort sollen sich ein Monch namens Laisre und noch ein paar Bruder versteckt halten.«
Eadulf horchte auf.
»Den Wald von Tunstall kenne ich. Er liegt in Reichweite der Abtei, aber er ist gro? und von einem allein nicht zu durchkammen. Das ist, als wollte man eine Nadel im Heuhaufen suchen.«
»Es gibt nur einen Ort in dem Wald, an dem sich Laisre aufhalten konnte, und das ist der alte Bauernhof selbst. Der ist leicht zu finden. Das ist aber keine Gewahr dafur, da? auch die irischen Krieger dort sind. Doch es ist der nachstgelegene Ort, wo sie Unterschlupf finden konnten.«
»Es ist einen Versuch wert«, meinte Eadulf zuversichtlich. »Ich denke, Garb und sein Vater konnten viel uber das Geheimnis der Frau deines Bruders wissen. Und ich glaube, damit hangt der Mord an meinem Freund Botulf zusammen.«
»Wirst du meinem Bruder erzahlen, da? du mich getroffen hast?«
»Es gibt ein altes Sprichwort«, uberlegte Eadulf laut. »La? dir von deiner Zunge nicht die Kehle durchschneiden.«
Aldhere lachelte trube. »Du hast recht. Ich nenne dir noch einen anderen alten Spruch unseres Volkes, an den du denken solltest, solange du dich in der Abtei meines Bruders aufhaltst: Furchte dich, dann bist du sicher.«
Eadulf blickte durch das offene Fenster zum Himmel auf. Die Dunkelheit setzte fruh ein in diesen Wintermonaten, und er schatzte, da? sie in weniger als einer Stunde hereinbrechen werde.
»Da wir gerade von Sicherheit reden, es wird Zeit, da? ich zur Abtei zuruckkehre.«
Er erhob sich und Aldhere mit ihm.
»Ich gebe dir Wiglaf mit, der bringt dich auf den richtigen Weg. Wenigstens ist der Himmel klar, und der Schneefall hat aufgehort. Dein Ruckweg wird leicht.«
»Wenn ich wieder mit dir in Verbindung treten mochte ...?« Eadulf lie? die Frage unbeendet.
Aldhere lachelte. »Ein paar hundert Meter flu?aufwarts von der Abtei steht eine Baumgruppe. Dort lasse ich Wiglaf auf Posten, und der wei?, wo ich zu finden bin. So hielten wir auch die Verbindung zum armen Botulf. In dem Waldchen sollte ich mich gestern mit Botulf treffen.«
Eadulf streckte die Hand aus. Der Geachtete gefiel ihm, und er traute ihm.
»Gott sei mit dir, Than von Bretta’s Ham.«
»Und das Gluck folge dir auf deinem Wege, heiliger
Der Ruckweg zog sich langer hin, als Eadulf gedacht hatte, und Wiglaf, der einstige Honigdieb, erwies sich als ein geschwatziger Reisegefahrte. Er plauderte unentwegt. In einem verzweifelten Versuch, das Gesprach von mu?igem Tratsch zu etwas Wesentlicherem zu lenken, unterbrach ihn Eadulf und fragte ihn, wie er zu Aldheres Schar gekommen sei.
Er lachte schallend, beugte sich zu Eadulf hinuber und offnete seinen Kragen. Leichte rotliche Male waren an