Er setzte sich wieder hin und versuchte sich zu entspannen.
Was wurde Fidelma unter den gegebenen Umstanden tun? Er wu?te, da? sie sich bemuhen wurde, dem Geheimnis, das auf dieser dusteren Abtei lastete, auf den Grund zu gehen. Er wu?te aber auch, da? ihre Sicherheit Vorrang hatte. Es war klar, da? Abt Cild keine Skrupel hatte, seine Drohung wahr zu machen. Auf Rang oder Stellung nahm er keinerlei Rucksicht.
Eadulf war zur Abtei zuruckgekommen mit der Absicht, Garb und seine Leute zu suchen. Man hatte ihm gesagt, am ehesten seien sie wohl bei einer Gemeinschaft im Wald von Tunstall zu finden, und der lag sudlich von der Abtei. Den hatte er sich zum Ziel genommen. Vielleicht sollte er mit Fidelma dorthin gehen, wenn sie sich genugend erholt hatte? Dort ware sie wenigstens bei ihren eigenen Landsleuten, die ihr wegen ihres Ranges und Amtes Schutz bieten wurden.
Eadulfs Gedanken schienen immer langsamer zu kreisen, abzuschweifen, sich zu verlieren, und dann versank er in einen unruhigen Schlaf voller furchterregender Gesichter, verworrener Bilder, die vollig sinnlos blieben.
Auf einmal nahm er wahr, da? jemand ihn wutend und fordernd anschrie.
Jah wachte er auf. Er lag unbequem auf seinem Stuhl. Dicht vor seinem Gesicht erblickte er die zornige Miene Abt Cilds. Eadulf fuhr auf.
»Was ist los?« fragte er und versuchte sich zu sammeln.
»Willst du behaupten, da? du hier die ganze Zeit geschlafen hast?«
Eadulf bemuhte sich, die Schlaftrunkenheit abzuschutteln. Er sah, da? Bruder Willibrod sich mit besorgter Miene hinter dem Abt hielt und angstvoll die Hande rang. Neben ihm stand der unerschutterliche Bruder Beornwulf.
»Es ist so, wie ich sagte, Pater Abt«, versicherte Bruder Willibrod, »weder die Frau noch der Mann haben das Zimmer verlassen. Bruder Beornwulf hutete die ganze Nacht die Tur.«
Nun war Eadulf wach und stand auf, wodurch er den Abt, der sich uber seinen Stuhl gebeugt hatte, zwang, zuruckzutreten.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte Eadulf in scharfem, aber gedampftem Ton. Er blickte hinuber zu Fidelma , trat zu ihr und befuhlte ihre Stirn. Eine Woge der Erleichterung durchflutete ihn.
»Gut! Das Fieber la?t nach. Es geht aufwarts mit ihr.« Dann fuhr er herum zu dem murrischen Abt. »Sie braucht jetzt ihren gesunden Schlaf.«
Mit der ganzen Kraft seiner Personlichkeit schob er den Abt, den
»Ihr habt hoffentlich eine triftige Erklarung dafur, da? ihr mitten in der Nacht in ein Krankenzimmer hineinsturmt?«
Abt Cild blieb unbeeindruckt.
»Wart ihr, du und deine Gefahrtin, in diesem Zimmer seit der Zeit, als du mich gestern abend verlassen hast?«
Eadulf gewahrte ein mattes Licht, das durch die Fenster hereindrang. Er merkte, da? die Morgendammerung nicht mehr weit sein konnte. Aus der Ferne kamen die Laute erwachender Vogel. Er mu?te mehrere Stunden geschlafen haben.
»Wo sollte ich denn sonst gewesen sein?« antwortete er schroff. »Schwester Fidelma ist uberhaupt noch nicht in der Lage, ihr Bett zu verlassen.«
»Es ist so, wie ich gesagt habe, Pater Abt«, wiederholte Bruder Willibrod gekrankt. »Bruder Beornwulf stand die ganze Nacht vor der Tur.«
»Was sollen wir denn jetzt wieder verbrochen haben?« forderte Eadulf den Abt heraus. »Hast du einen neuen Vorwurf gegen uns erfunden?«
Abt Cild sah aus, als werde er gleich vor Zorn zerspringen, aber Bruder Willibrod legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.
»Komm mit, Eadulf von Seaxmund’s Ham«, sagte Abt Cild schlie?lich, drehte sich um und lief mit schnellen Schritten voran den Gang entlang und uber den Hof zur Kapelle der Abtei. Einige wenige Bruder begegneten ihnen und eilten mit gesenkten Kopfen und gefalteten Handen an ihnen vorbei. Eadulf spurte, wie sie ihn beobachteten, als er dem Abt folgte. Hinter ihm kam Bruder Willibrod. Bruder Beornwulf war angewiesen worden, auf seinem Posten vor der Tur des Gastezimmers zu bleiben.
Abt Cild ging geradewegs auf die Kapelle zu und trat ein. Er marschierte sofort zum Hochaltar und blieb davor stehen. Mit ausgestrecktem Arm wies er auf den Altar.
Er sprach kein Wort, aber das brauchte er auch nicht. Was er Eadulf zeigen wollte, war deutlich zu sehen, und seine Bedeutung war offenkundig.
Mitten auf dem Hochaltar lag eine tote Katze. Ein Messer mit einem Knochengriff nagelte sie darauf fest. Eadulf hatte solche Messer schon fruher gesehen. In der alten Zeit, bevor der neue Glaube das Volk Wuffas im Land der Ost-Angeln erreichte, trugen die Priester Wotans und Thunors solche Waffen, deren Knochengriffe mit eingeritzten heiligen Symbolen verziert waren. Es waren Opfermesser.
»Es ist das Zeichen des heidnischen Gotzendienstes«, flusterte Bruder Willibrod und bekreuzigte sich. »Wir wissen alle, da? heute das Julfest ist.«
Wider Willen konnte Eadulf nicht verhindern, da? ihn ein Schauer uberlief. Er versuchte sich zu erinnern, wo er kurzlich von der Opferung einer schwarzen Katze auf dem Altar gehort hatte.
»Die Geisterbeschworung und jetzt - das!« murmelte Abt Cild.
Eadulf blickte ihn rasch an.
»Du bringst anscheinend diese beiden Dinge miteinander in Verbindung?«
»Beide riechen nach boser Kunst!« rief der Abt.
»Sie riechen nach einem bosen Gemut«, entgegnete Eadulf. »Die Frage ist nur - wessen Gemut?«
»Meine Antwort bleibt dieselbe. Nichts dieser Art hat sich in Aldreds Abtei ereignet, bis du und diese fremde Frau hergekommen seid.«
»Und ich habe gesagt, das ist uberhaupt keine Antwort. Was kann denn eine irische Nonne von heidnischen angelsachsischen Gottern und ihren Riten wissen? Wir sind nicht verantwortlich fur diese« - er wies auf den Altar - »diese Entweihung, und ebensowenig sind wir verantwortlich fur andere bose Taten, die hier in dieser Abtei verubt wurden.«
»Das werdet ihr beweisen mussen«, fauchte der Abt. »Bruder Willibrod, du wirst dafur sorgen, da? das da verschwindet. Ich werde den Altar segnen und ihn wieder weihen.«
»So soll es sein, Pater Abt«, murmelte der
Der Abt betrachtete Eadulf mit einem Blick, in dem sich Abneigung mit etwas anderem mischte. Plotzlich wurde Eadulf klar, da? Furcht in den Augen des Mannes zu lesen war. Abt Cild hatte tatsachlich Angst vor ihm.
»Du gehst in das Gastezimmer zuruck und bleibst dort, bis ich dich holen lasse. Das wird geschehen, sobald ich so weit bin, die Anklage in aller Form anzuhoren und das Urteil zu sprechen.«
Eadulf war entsetzt. »Und was ist mit meinem Recht, Schwester Fidelma und mich zu verteidigen?«
»Dieses Recht bekommst du zu gegebener Zeit.«
»Aber habe ich denn kein Recht auf Freiheit, damit ich Nachforschungen anstellen und die Verteidigung vorbereiten kann?«
Abt Cilds Augen verengten sich. »Du hast jetzt kein Recht auf Freiheit mehr. Nach dieser Entweihung hast du das Recht auf Freiheit verloren. Ware ich ein weniger nachsichtiger Mensch, hatte ich euch beide sofort festnehmen und verbrennen lassen fur das Unheil, das ihr uber diese Abtei gebracht habt.«
Eadulf klappte den Mund zu. Er begriff, da? das verstockte Gemut dieses Mannes nicht zu bewegen war. In dem Moment wurde ihm klar, da? Bruder Higbald wahrscheinlich recht hatte. Er mu?te Fidelma so schnell wie moglich in Sicherheit bringen. Aber nach so einem Fieberanfall ware es in hochstem Ma?e unvorsichtig, sie in die kalte, tief verschneite Welt hinauszufuhren, ohne da? sie ein paar Tage Zeit gehabt hatte, sich zu erholen.
»Nun gut, Abt Cild«, sagte er langsam. »Ich merke, da? du darauf aus bist, dein Vorgehen gegen uns weiter zu betreiben, so blind und boswillig es auch ist. Ich werde erst wieder aus der Tur des Gastezimmers herauskommen, wenn ich dazu aufgefordert werde. Du beschuldigst uns, Unheil gestiftet zu haben, aber es ist die
