»Wer hat denn davon was erzahlt?«
Garb schaute Fidelma an, die nickte und den Mann entlie?.
Eadulf war verwirrt. »Das verstehe ich nicht.«
»Es gibt zwei Moglichkeiten«, meinte Fidelma und spitzte nachdenklich die Lippen. »Einerseits konnte es eine List gewesen sein, um uns absichtlich durch die unterirdischen Gange zu den wartenden bewaffneten Monchen zu locken, die mit uns ein Ende machen sollten. Ich wu?te aber nicht, warum, denn Abt Cild wollte uns ja sowieso toten lassen.«
Eadulf stie? einen lautlosen Pfiff aus.
»Aber wir kamen nicht aus diesem Gang ... Aha!«
Ihm fiel plotzlich ein, da? er sich bei den Anweisungen Bruder Higbalds geirrt hatte. Vielleicht war es ihr Gluck gewesen, da? sie einen anderen Weg genommen hatten, der sie sicher aus der Abtei heraus und von dem Hinterhalt fort gefuhrt hatte.
Der alte Furst Gadra sa? immer noch unbewegt da.
»Du sagtest, es gebe noch eine andere Moglichkeit, Fidelma von Cashel. Welche ist das?«
Sie sah ihn mit ernster Miene an.
»Die zweite Moglichkeit ist, da? es auch eine List war, mit der man uns in die Gange locken wollte, aber in der Absicht, da? wir genau das tun sollten, was wir getan haben: euch zu suchen und auf diese Weise Abt Cild und seine Manner hierher zu fuhren.«
Kapitel 12
Fidelmas Befurchtungen wegen der zweiten Moglichkeit erwiesen sich als unbegrundet, denn die Nacht verlief in Tunstall einigerma?en friedlich. Sie hatte geschlummert, bis sie zu der mitternachtlichen Feier der Geburt Christi geweckt wurde.
Wie es in der Kirche, die den Regeln Colmcilles folgte, ublich war, wurde der Gottesdienst in Griechisch, der Sprache der Evangelien, gehalten. Bruder Laisre vollzog die Darbringung, wie das genannt wurde, was bei den romischen Geistlichen die Messe hie?.
Bruder Laisre stand dem Altar gegenuber, nicht hinter ihm, wahrend er das Abendmahl, Brot und Wein, vorbereitete. Gebete wurden gesprochen, und die Gemeinde beteiligte sich an den Psalmen und Re-sponsorien und sang die Antwortstrophen eifrig mit. Bei der Segnung der Gemeinde erhob Bruder Laisre den ersten, dritten und vierten Finger als Symbol der heiligen Dreieinigkeit, im Gegensatz zur romischen Art, bei der der Priester den Daumen und den ersten und zweiten Finger hob.
Eadulf hielt es fur bemerkenswert, da? Bruder Lais-re als Hauptlied des Gottesdienstes eine traditionelle Bitte um Gerechtigkeit gewahlt hatte.
Ich reise dorthin im Namen Gottes In Gestalt eines Hirsches, in Gestalt eines Pferdes, In Gestalt von Vogeln, mit der Haltung eines Konigs. Starker werde ich sein als das Bose, dem ich begegne.
Nach Schlu? der Darbringung ging Fidelma sofort wieder zu Bett. Auch Eadulf zog sich bald danach zuruck, denn er hatte ebenfalls seit Tagen nicht mehr eine Nacht durchgeschlafen. Er hatte mit einer weiteren unruhigen Nacht gerechnet, doch war er so erschopft, da? es ihm schien, er habe sich kaum niedergelegt, als ihn die fahle Wintersonne weckte. Zu seiner Uberraschung stellte er fest, da? Fidelma schon auf war. Sie war drau?en mit Bruder Laisre.
»Der Segen des Heilands Christus sei mit dir an diesem freudevollen Morgen und an jedem folgenden Tag, Bruder Eadulf«, begru?te ihn der Leiter der Gemeinschaft.
Als Eadulf ihm gedankt hatte, wandte sich Bruder Laisre wieder Fidelma zu. Er wollte ihr offensichtlich eine Frage beantworten.
»Allerdings, Schwester, hatten wir die ganze Nacht Posten an allen Zugangen aufgestellt. Es bewegte sich nichts. Anscheinend ist euch niemand hierher gefolgt.«
Fidelma schien erleichtert. »Es sieht also so aus, als stimmte meine zweite Vermutung nicht. Hat Bruder Higbald einen falschen Alarm wegen einer sachsischen Kriegerschar benutzt, um uns zur Flucht aus der Abtei zu zwingen? Wollte er uns in einen Hinterhalt treiben?«
Eadulf schuttelte den Kopf. »Ich sehe nicht ein, was das fur einen Zweck haben sollte. Warum so viele Umstande, um uns zu toten? Wie du schon sagtest, der Abt war finster entschlossen, das sowieso zu tun, und zwar lieber fruher als spater. Warum sollte Hig-bald seine Energie darauf verschwenden, wenn das andere fur ihn erledigen wurden? Vielleicht ist die Antwort ganz einfach: Man lieferte Higbald eine falsche Information, in der Erwartung, da? er sie an uns weitergeben wurde.«
Fidelma schaute ihn uberrascht an. »Manchmal sieht man den Wald vor Baumen nicht. Gut gemacht, Eadulf. Das ist eine Moglichkeit, die mir entgangen war.« Sie wandte sich wieder an Bruder Laisre. »Es gibt keine neue Nachricht von einer Kriegerschar, die an der Kuste brandschatzt?«
»Nichts dergleichen«, bestatigte der Leiter der Gemeinschaft. »Noch vor Sonnenaufgang habe ich einen meiner Bruder zu dem nachstgelegenen Kustenort geschickt, um Erkundigungen einzuziehen. In den letzten achtundvierzig Stunden haben an der ganzen Kuste keine Uberfalle stattgefunden. Und wenn ich dir einen Rat geben darf: Vergi? die Sache fur eine Weile und beginne den Tag mit dem Fruhstuck. Ernste Gedanken sind oft besser mit einem gesattigten Magen zu fassen als unter den Klauen nagenden Hungers.«
Fidelma lachelte. »Du bist klug, Bruder Laisre. Diesen Rat nehme ich gern an. Doch hast du vergessen, da? heute der Tag von Aoine ist, den die Angelsachsen Frigs Tag nennen und der als Tag des Fastens und der Enthaltsamkeit vor dem morgigen Sabbat gilt?«
»Aber es ist auch Christi Geburtstag, und wir durfen ihn feiern.«
Bruder Laisre fuhrte sie zu dem kleinen Speisehaus.
Wahrend der Mahlzeit fragte sie der Leiter der irischen Gemeinschaft von Tunstall: »Was plant ihr nun, nachdem ihr aus Aldreds Abtei entkommen seid? Wollt ihr nach Canterbury zuruckreisen?«
Fidelma schuttelte sofort den Kopf. »Ich hatte meine Absichten gestern abend deutlicher aussprechen sollen. Eine
Eadulf stellte mit Erleichterung und Befriedigung fest, da? sie jetzt anscheinend ihre ganze fruhere Kraft und Entschlossenheit zuruckerlangt hatte. Sie war wieder ihr altes energisches Selbst.
»Hei?t das, da? ihr hierbleiben wollt?« fragte Bruder Laisre.
»Ich habe versucht, Gadra von Maigh Eo von dem Weg abzubringen, den er eingeschlagen hat. Er ist aber dazu entschlossen. Also mu? ich bleiben und darauf achten, da? das Ritual in gesetzlich vorgesehener Form durchgefuhrt wird. Meine Ehre als
Eadulf sah sie einigerma?en uberrascht an, doch es war Bruder Laisre, der seine Gedanken aussprach.
»Aber was ist mit Cild? Er ist sicher nicht gut auf dich zu sprechen, weil du heimlich aus seiner Abtei entwichen bist. Er wird darauf aus sein, dich zu vernichten.«
Fidelmas Kinn hob sich leicht.
»Das haben schon ganz andere Manner und Frauen als Cild versucht«, sagte sie leise, und dann in