Baumen. Die stehen am Flu?, am Alde. Ungefahr eine Meile weiter, hinter dem baumbestandenen Hugel, liegt Aldreds Abtei.«

Eadulf runzelte die Stirn.

»Wir nahern uns dem Sumpf aus der falschen Richtung«, beklagte er sich. »Ich kann nicht abschatzen, wo sich das ignis fatuus befand.«

Mul verzog spottisch das Gesicht. »Ich fuhre euch auf dem sichersten Weg in den Sumpf, gerefa. Wenn ihr euch das Leben nehmen wollt, ist das eure Sache. Ihr habt mich gebeten, euch in den Sumpf zu bringen, und das tue ich, aber verlangt nicht von mir, da? ich mich irgendeiner Gefahr aussetze.«

Fidelma lachelte beruhigend. »Das wurden wir nie von dir verlangen. Wir mussen uns aber zurechtfinden. Es ist wichtig, da? wir genau zu der Stelle gelangen.«

Mul schnaubte angewidert und wies mit dem Finger auf eine Reihe von Baumen in der Ferne.

»Seht ihr die Baume da? Dort verlauft der Weg, der zum Flu?ufer und weiter zur Holzbrucke uber den Alde und zur Abtei fuhrt. Ich denke, das ist der Weg, auf dem ihr gestern abend wart, wie ihr sagt.«

Eadulf kniff die Augen zusammen und musterte das entfernte Gelande.

»Ich glaube, ich erkenne die Stelle jetzt«, gab er langsam zu. »Siehst du den kleinen Hugel mit den Baumen darauf? Dort waren wir gestern abend.«

Fidelma folgte seinem Blick.

»Dann mussen wir unsere Schritte dorthin richten. Mul, gibt es einen Pfad von hier aus hinuber zu diesem Punkt?«

»Keinen direkten, aber ich kann euch hinuberbringen. Es ist aber ein ganz schmaler Pfad. Es hat immer nur ein Pferd Platz. Wollt ihr es versuchen?«

Sie neigte bejahend den Kopf.

»Deswegen sind wir schlie?lich zu dir gekommen«, antwortete sie ernst.

Der Bauer verzog das Gesicht. Er schaute Eadulf an.

»Bist du bereit, gerefa?«

»Naturlich«, knurrte Eadulf.

»Dann kommt einzeln hinter mir her und weicht nicht von dem Pfad ab, auf dem ich reite. Ein falscher Schritt, und du verschwindest samt Pferd in diesem tuckischen Sumpf. Habt ihr verstanden?«

Er ritt in die wei?e Landschaft hinein. Fidelma merkte, da? unter der Schneedecke die weichen grunen Riedgrasstellen und die Sumpflocher verborgen lagen und gierig darauf warteten, ihre Opfer zu pak-ken und in die Vergessenheit hinabzuziehen. Sie beugte sich uber die Schulter ihres Ponys vor und achtete aufmerksam auf den Weg, den das Maultier des Bauern fur sie suchte.

Hier und dort stachen die dunnen Halme absterbender Binsen durch den Schnee, und ab und zu horte man einen eigenartigen dumpfen Laut, wenn eine Luftblase aus unbeschreiblicher Tiefe durch den Morast brach, die vielleicht von den vermodernden Uberresten eines Tieres aufstieg, das im Moor versunken war.

Plotzlich gab es eine Bewegung, etwas flog von einem Schilfbuschel vor ihr auf. Erst dachte sie, es ware eine Eule, doch dann sah sie das schwarzbraun gestreifte Federkleid und die grunen Beine, die normalerweise eine wirksame Tarnung bildeten vor Blicken, die weniger scharf waren als Fidelmas. Dann erklang ein hallender, drohnender Ton.

»Eine Rohrdommel!« rief sie aus.

»Du hast ein gutes Auge, Schwester«, meinte Mul anerkennend.

»Wei?t du etwas uber das ignis fatuus, Mul?« fragte sie zuruck.

»Woruber?«

»Sie meint den Feuerdrachen«, rief Eadulf.

»Ach so, den.« Mul zuckte lassig die Achseln. »Den kann man hier im Moorland ganz regelma?ig sehen. Leichenfeuer nennen es die Leute. Es ist ein fahles, flackerndes Licht, das uber dem Moor erscheint. Viele Leute mogen’s nicht, aber ich bin im Moor gro?geworden. Es gibt keinen Grund, sich davor zu furchten. Ihr habt es gestern abend gesehen?«

»Allerdings«, antwortete Fidelma.

»Das hattet ihr mir sagen sollen. Wenn ihr wissen wolltet, was es ist, hatte ich’s euch erklaren konnen. Deswegen brauchten wir nicht den ganzen Weg bis hier drau?en ins Moor zu machen.«

Fidelma schuttelte den Kopf. »Nein, es war nicht nur das ignis fatuus, was ich sehen wollte ...«

Mul unterbrach sie. »Man erkennt es nur richtig im Dunkeln, weil die Flamme zu hell ist, als da? man sie bei Tageslicht sehen konnte. Diesen Ritt machen wir vollig vergebens.«

»Durchaus nicht, ich mu? den Boden an der Stelle prufen«, beharrte Fidelma. »Aber sag uns, wodurch entsteht es?«

»Was das Leichenfeuer verursacht? Ihr kennt doch die Gase, die aus Tierleichen entweichen - und den Geruch, den sich zersetzende Pflanzen und Tierkadaver verbreiten? Der Geruch ist das Gas. Manchmal entzundet es sich von selbst, und dann sieht man dieses Licht. Es ist das brennende Gas. Es ist eine unheimliche Erscheinung, und man kann verstehen, wenn sich manche Leute davor furchten.« Er wies mit der Hand uber das flache Moor. »Viele Tiere sind in diesem Sumpf versunken, deshalb liegen da unten zahllose verrottende Kadaver, die dieses Leichenfeuer erzeugen. Wollt ihr immer noch weiter?«

Fidelma schaute auf und ma? mit den Augen die Entfernung zu dem Weg, dem sie inzwischen naher gekommen waren.

»Ist es moglich, da? wir uns noch ein bi?chen weiter nach rechts vorarbeiten?« fragte sie, ohne auf seine Frage direkt einzugehen.

Mul blickte in die angegebene Richtung und zuckte die Achseln.

»Ja, aber bleibt dicht bei mir«, ordnete er an.

Sie bewegten sich noch ein Stuck weiter, und als Mul stehenblieb, fanden sie sich auf einer gro?en Insel fe-sten Bodens wieder, einer leichten Erhebung inmitten der ebenen Flache des Sumpfes. Die dunne Schneedek-ke verhullte die Umgebung nur unvollstandig, und sie sahen den dunklen, bedrohlichen Morast darunter.

»Halt!« rief Fidelma plotzlich und glitt von ihrem Pony. »Keinen Schritt weiter.«

Mul schaute sie an, als sei sie plotzlich ubergeschnappt.

»Schon gut«, sagte er, »hier ist der Boden ebenso fest wie .«

Aber das hatte Fidelma nicht gemeint.

Sie ging rasch nach vorn und lie? sich auf ein Knie nieder. Der Schnee lag hier auf dem festen Boden dik-ker als auf den warmeren morastigen Flachen und war an dieser Stelle aufgewuhlt. In dem gefrorenen Schnee gab es Abdrucke, die erst jetzt in der milderen Morgenluft tauten.

Eadulf war ebenfalls abgestiegen und trat hinter sie.

»Was ist?« fragte er.

Sie zeigte auf den Boden.

»Hier hat jemand gestanden, sowohl zu Fu? als auch zu Pferde. Ein Pferd - hier siehst du die Hufabdrucke. Eine Person. Kleine Fu?spuren. Was verrat uns das?«

»Ein kleiner Mann oder .«

»Eine Frau. Sie standen hier dicht am Rande des Sumpfes. Sie wu?ten genau, was sie taten. Ein falscher Schritt, und eine Leiche mehr ware im Sumpf verrottet.«

Mul wartete geduldig und hielt ihre Tiere am Zugel.

»Ich verstehe nichts. Wonach sucht ihr?« wollte er wissen.

»Ich hab’s gefunden«, antwortete Fidelma befriedigt und wandte sich zu ihm um. Dann sagte sie zu Eadulf: »Dies ist das Geheimnis des sogenannten Geists, der gestern abend erschien. Irgend jemand ist offensichtlich zu Pferde hierher gelangt. Das war die Gestalt, die wir alle sahen.«

Eadulf schaute uber das Moor zu dem Hugel, auf dem sie sich am vorigen Abend versteckt und Abt Cild beobachtet hatten.

»Aber wie konnte sie in diesem schimmernden Licht erscheinen? Was ist mit dem Feuerdrachen? Das ist doch schwierig zu machen.«

Fidelma schnuffelte in der Luft. »Riechst du was?«

Eadulf schnupperte vorsichtig und spurte einen widerlichen Gestank. Er hatte oft genug mit Toten zu tun

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