»Sie war es«, flusterte er so laut, da? man ihn verstand. »Es war Lady Gelgeis. Ich habe sie gesehen.«

Gadra sprang mit zornerfulltem Gesicht auf, als er die Ubersetzung vernahm.

»Was soll dieser Unsinn?« rief er. »Meine Tochter wurde schon vor Monaten von Cild ermordet. Wer sagt da, sie ware in der letzten Nacht erstochen worden?«

»Still, Gadra von Maigh Eo«, erwiderte Fidelma. »Die Sache wird aufgeklart, aber alles zu seiner Zeit. Unser Geheimnis besteht aus mehreren Faden - getrennten Faden, die sich wie nach einem vorbestimmten Muster verwickeln und an diesem dusteren Ort zusammenkommen. Ich werde einen nach dem anderen aufrollen, oder es jedenfalls nach besten Kraften versuchen. Ich habe das Wort des Oberhofmeisters Sigeric, da? niemand dieses Verfahren zu furchten braucht, wenn er nicht direkt des Verrats oder gewaltsamer Totung schuldig ist.«

Sigeric nickte von seinem Sitz aus.

»Ich habe meine Absicht klar ausgedruckt«, verkundete er mit Bestimmtheit. »Mach weiter.«

»Beginnen wir mit einem Gebiet, auf dem ich mich recht gut auskenne, Gadras troscud. Gadra.« Sie sprach ihn direkt an.

Der alte Furst von Maigh Eo erhob sich wieder von seinem Sitz.

»Du kennst die Bedingungen des rituellen Fastens sehr gut, Schwester Fidelma. Du kannst es mir nicht ausreden.«

»Allerdings nicht. Aber du hast gehort, da? Abt Cild geistesgestort ist. Das Gesetz im Text Do Brethaibh Gaire, das dazu gedacht ist, die Gesellschaft vor den Geisteskranken zu schutzen und die Geisteskranken vor der Gesellschaft, legt fest, da? du nicht gegen jemanden fasten kannst, der geisteskrank ist.«

Wahrend sie zu ihm sprach, war sie ins Irische gewechselt, und Eadulf ubersetzte fur die Zuhorer, die kein Irisch verstanden.

Gadra lie? sich nicht beirren.

»Sollte es sich erweisen, da? Cild geisteskrank geworden ist - und das Gesetz verlangt diesen Beweis -, dann beruhrt das nicht mein Bestreben, Gerechtigkeit zu erlangen.«

»Inwiefern?« erwiderte Fidelma, die das sehr gut wu?te, es ihm aber uberlassen wollte, den Versammelten das Gesetz zu erklaren.

»Weil das Verbrechen an meiner Tochter Gelgeis begangen wurde, als er noch geistig gesund war. Deshalb ist er vor dem Gesetz weiterhin verantwortlich dafur, und die Entschadigung fur den Tod meiner Tochter mu? trotzdem gezahlt werden.«

»Aber ein dasachtarch« - Fidelma benutzte den juristischen Begriff fur einen Geisteskranken mit gewalttatigen und zerstorerischen Launen - »ist nicht haftbar.«

»Nein, aber seine Verwandtschaft ist es«, erwiderte der alte Furst verbittert. »Da es sich um einen Monch handelt, gilt die Gemeinschaft dieser Abtei als seine Verwandtschaft, und sie mu? mich fur den Tod meiner Tochter entschadigen. Tut sie es nicht, richtet sich mein Fasten gegen diese Abtei, und ich fuhre es durch bis zu meinem Tode.«

Fidelma schuttelte traurig den Kopf.

»Nie habe ich einen Mann gesehen, der so eifrig seinen Tod betreibt, Gadra«, kritisierte sie.

Aldhere stand auf und lachelte mit seiner gewohnten spottisch-belustigten Miene.

»Ein Gutes hat mein Bruder Cild wenigstens getan, Schwester. Er trat in die Kirche ein, und damit wurde die Kirche seine Familie. So bin ich nach euren Gesetzen von der Zahlung einer Entschadigung fur seine Taten befreit.«

»Das Gesetz lautet so, wie Gadra es sagt«, erklarte sie.

»Also, Gadra, du bist entschlossen, am troscud festzuhalten, mit allen Folgen, die daraus entstehen?«

Garb war aufgesprungen, um seinen Vater zu unterstutzen.

»Das hat mein Vater gesagt«, grollte er. »Nur weil der Morder jetzt Zuflucht in den dunklen Bereichen seines Hirns sucht, hebt das nicht seine Verantwortlichkeit auf.«

»Aber wenn nun das Madchen, das der Abt gestern abend in seinem Verfolgungswahn erstach, Gelgeis war, was dann?« schaltete sich Eadulf ein, sehr zu Fidelmas Mi?vergnugen. »Das wurde bedeuten, da? Gelgeis vor einigen Monaten ihren Tod vorgetauscht hat und inzwischen ihr eigenes Spiel spielte.«

Einen Moment herrschte uberraschtes Schweigen. Dann lachte Garb.

»Wenn diese lacherliche Behauptung stimmte, wolltest du damit beweisen, da? Cild nach dem Gesetz nicht verantwortlich ware?«

Bevor Fidelma eingreifen konnte, antwortete Eadulf, der ihre mi?billigende Miene bemerkt hatte: »Ich sprach nur eine Vermutung aus, Garb.«

Zorniges Murren erhob sich, wurde jedoch von Garbs Stimme ubertont: »Eine grausame Vermutung, wahrend wir doch die Tatsachen kennen! Aber ich will dir darauf antworten. Es wurde immer noch bedeuten, da? Cild meine Schwester ermordete, ob die Tat nun im vorigen Jahr oder in der vorigen Nacht geschah! Eine Entschadigung ware so oder so fallig.«

Die Unruhe verstarkte sich.

»Willst du so argumentieren?« fragte Sigeric dazwischen. »Behauptest du, da? Gelgeis bis gestern abend noch am Leben war und an einer Verschworung beteiligt? Was war deren Zweck? Cild in den Wahnsinn zu treiben?«

»Ich will beweisen, da? eine lebende Person in dieser Abtei umging und nicht ein Gespenst«, antwortete Fidelma gelassen. »Was ich noch nicht genau wei?, ist, wer diese Person war. Ich bin uberzeugt, da? Cild, ob im Wahn oder im Ernst, glaubte, es sei seine Frau. Der nachste Schritt in diesem Verfahren besteht darin, festzustellen, wer das tote Madchen war.«

Sigeric sah etwas verwirrt aus, und Fidelma fuhr fort.

»Zweifellos sah der Abt eine Person, die er fur den Geist seiner Frau hielt, und das verstarkte seinen Wahn«, erklarte sie. »Vom Beginn seines Lebens an war Cild geistig nicht normal veranlagt. Aldhere sprach die Wahrheit, als er die Wutanfalle seines Bruder im Jugendalter schilderte, die der Grund dafur waren, da? sein Vater ihn enterbte. Der wu?te, da? sein altester Sohn geisteskrank war. Wie diese Krankheit begann, das wei? ich nicht. Welches Ubel in ihm steckte, ist schwer zu sagen. Ein einzelnes Blatt einer Eiche wird nicht von selbst braun, verwelkt und fallt ab. Wenn das passiert, wei? es der ganze Baum. Wenn wir nach diesem Grund forschen, mussen wir uns Cilds Familie zuwenden.«

Aldhere lachte laut auf. »Bei mir wirst du keinen Wahnsinn feststellen, Schwester.«

»Das glauben wir dir aufs Wort - jedenfalls vorerst.« Fidelma lachelte frostig. »Doch darum geht es im Augenblick nicht. Es geht um Cilds Verhalten. Es wurde mit der Zeit immer absonderlicher. Als er anfing, das zu sehen, was er fur die Geistererscheinung seiner Frau hielt, trieb ihn das nur noch weiter, noch schneller in den Abgrund des Wahnsinns.«

Sigeric nickte anerkennend. »Und als er dann die Gelegenheit fand, schlug er bei dem Madchen zu?«

»So war es. Er traf in der Kapelle auf Lioba, und in der Dunkelheit verlor er den Verstand. In seiner Angst und Wut stach er sie nieder.« Sie schaute sich in der Versammlung um. »Aber dabei gibt es noch etwas Wichtiges zu beachten.«

»Namlich?« fragte Sigeric, als Fidelma innehielt.

»Jemand hat das Auftauchen dieser Erscheinungen in die Wege geleitet. Ich habe erfahren, da? in der jetzigen Jahreszeit, die ihr vor der Einfuhrung der christlichen Feiertage die Julzeit nanntet, die Toten sich an den Lebenden rachen konnten. Ich meine, da? die Erscheinungen auf diese Zeit abgestimmt waren. Jemand hatte vor, Cild in den Wahnsinn zu treiben.«

Plotzlich trat eine erwartungsvolle Stille ein.

Langsam wandte sich Fidelma dorthin, wo Bruder Higbald sa?. Er merkte, da? ihr Blick an ihm hangenblieb und ein leichtes Lacheln ihre Mundwinkel umspielte, und er erwiderte ihren Blick mit einem Stirnrunzeln. Bald hustelte er nervos.

»Warum starrst du mich so an, Schwester?« fragte er gepre?t.

»Lioba kam gestern abend in die Abtei, um sich mit jemandem zu treffen«, sagte sie. »Sie wollte sich mit dir treffen, Bruder Higbald.«

Der Apotheker kniff leicht die Augen zusammen. »Wieso denkst du das?«

»Das denke ich nicht, Higbald. Ich wei? es. Du kanntest Lioba gut ...«

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