»Das taten viele Leute«, entgegnete der Apotheker heftig. »Viele kannten sie sehr gut. Sie verkaufte ihren Korper fur jeden Preis ...«

Fur einen Mann seines Umfangs und mit seiner Sehbehinderung bewegte sich Bruder Willibrod mit einer Schnelligkeit, die die meisten uberraschte. Eadulf schaffte es, sich dazwischenzuwerfen, bevor der dominus den Apotheker erreichte. Er packte ihn mit festem Griff an einem Arm und schob ihn auf seinen Platz zuruck.

»Beherrsche dich, Willibrod«, zischte er ihn an. »Unser Ziel ist es, die Wahrheit zu ergrunden, auch wenn sie uns nicht gefallt. Setz dich und verhalte dich ruhig, sonst wirst du von dieser Verhandlung ausgeschlossen.«

Als die Ordnung wiederhergestellt war, nahm Fidelma erneut das Wort: »Lioba mag wohl ihren Korper verkauft haben, aber nicht an dich, Higbald. Zu dir hatte sie anscheinend eine besondere Beziehung. Wie kam das?«

Der Apotheker zuckte mit gespielter Gleichgultigkeit die Achseln. »Ich wei? nicht, was du meinst.«

»Dann will ich es dir sagen. Du hast Eadulf und mich uberredet, aus der Abtei zu fliehen, indem du uns erklartest, eine Kriegerschar ware im Anmarsch auf die Abtei. Das stimmte nicht. Lioba und ein Trupp Krieger warteten an der Stelle, an der wir, wie sie glaubten, aus dem Geheimgang auftauchen wurden. Du hattest es uns beschrieben. Nur weil Eadulf sich irrte, kamen wir an anderer Stelle heraus.«

Higbald antwortete nicht, sondern sah sie finster an.

»Zudem war Lioba unter den Kriegern, mit denen du dich neulich nachts mit Cild und Willibrod treffen wolltest. Cild hatte den vereinbarten Ort aber schon fruher verlassen. Dort hast du auch die Verabredung mit Lioba fur gestern abend in der Abtei abgesprochen.«

Sigeric beugte sich in seinem Sessel vor. »Das mu?t du mir erklaren, Fidelma, denn das geht weit uber mein Verstandnis hinaus. Ich kann dir nicht mehr folgen.«

»Das werde ich jetzt ganz genau erklaren«, versicherte ihm Fidelma.

In diesem Augenblick flog die Tur der Kapelle krachend auf, und einer der Monche der Abtei kam atemlos hereingesturzt. Er rang die Hande so sehr, da? es fast komisch wirkte.

»Der Abt! Der Abt ist aus seinem Zimmer geflohen!«

Kapitel 19

Sigeric bemuhte sich, in dem Tumult, der auf diese Nachricht folgte, Ordnung zu schaffen, doch das Chaos verschlimmerte sich noch, als Garb von seinem Platz aufsprang und schrie: »Das Biest will fliehen! Aber so leicht entkommt er seiner Verantwortung nicht!« Mit mehreren seiner Krieger sturmte er aus der Kapelle und lie? Sigerics Rufe, er solle dableiben, unbeachtet. Hinter ihm liefen Monche und Krieger aufgeregt durcheinander.

Eadulf spurte, wie verargert Fidelma war. Sie konnte ihren Zorn uber diese Wendung der Dinge kaum verbergen. Die Versammlung geriet ganzlich au?er Kontrolle. Sigeric gab seine Bemuhungen auf. Gefolgt von Fidelma und Eadulf, eilte er zu dem Monch, der an der Tur der Kapelle stand.

»Was ist passiert?« rief ihn Sigeric laut an und versuchte sich durch den Larm Gehor zu verschaffen. Der Monch flatterte hilflos mit den Handen.

»Es ist nicht meine Schuld, Lord ...«

»Was ist geschehen?« donnerte Sigeric mit einer Stimme, die ringsum widerhallte.

»Ich wurde uberlistet«, beklagte sich der Monch in jammerndem Ton. »Ich dachte, Abt Cild ware eingeschlafen, und nutzte die Gelegenheit, zum defaecato-rium zu gehen, aber als ich zuruckkam, war er fort. Ich rannte zum Tor und sah ihn auf der Stra?e wegreiten.«

»Bei Thunors Wunden!« rief Sigeric. »Jetzt wird er schon ein ganzes Stuck weit sein. In welche Richtung ist er geritten?«

»Auf Hob’s Mire zu.«

Sie sturmten hinaus auf den Haupthof der Abtei und sahen, wie eine Gruppe irischer Krieger mit Garb an der Spitze auf ihren Pferden aus dem Hof herausgaloppierten.

Sigeric wandte sich zu Werferth um, der an seiner Seite geblieben war.

»Setz ihnen nach«, befahl er. »Sorge dafur, da? sie dem Abt keinen Schaden zufugen, wenn sie ihn wieder einfangen.«

Gadra, der mit Bruder Laisre unbemerkt zu ihnen getreten war, sagte leise: »Mein Sohn wird Cild nichts tun. Er unterliegt den Beschrankungen des troscud. Jetzt ist es nicht erlaubt, den Abt zu verletzen. Schwester Fidelma, erklar dem Sachsen, da? es stimmt, was ich sage.«

»Gadra hat recht«, antwortete sie sofort. »Sobald das troscud verkundet ist, darf keine Seite der anderen einen Schaden zufugen, bis es zur Schiedsverhandlung kommt.«

Werferth war schon unterwegs und jagte zum Tor der Abtei hinaus, den anderen nach.

Fidelma schuttelte enttauscht den Kopf.

»Das ist hochst argerlich«, murmelte sie.

Sigeric war derselben Meinung.

»Wenn ich mich recht erinnere, warst du im Begriff, einen der Bruder hier zu beschuldigen ...«

»Bruder Higbald, den Apotheker«, warf Eadulf aufgeregt ein. »Er war mit Lioba an einer Verschworung beteiligt.«

Mit erschrockener Miene eilte Fidelma in die Kapelle zuruck, und die anderen folgten ihr. Wie sie befurchtet hatte, war von Higbald nichts zu sehen, auch nicht von Beornwulf und einem halben Dutzend anderer junger Monche. Sie stampfte mit dem Fu? auf und wandte sich rasch an Sigeric.

»Wie viele Krieger hast du noch hier, auf die du dich verlassen kannst?«

Sigeric war uberrascht.

»Werferth ist gerade fort, hinter den Iren her. Ich habe noch drei Mann und den Kutscher, aber der ist kein Krieger. Was gibt es fur eine Gefahr, gegen die du Krieger brauchst?«

Sie uberhorte die Frage und wandte sich an Gadra.

»Und du? Wie viele Krieger hast du?«

»Zwei Mann, meine Leibwache. Die ubrigen hat mein Sohn mitgenommen. Was beunruhigt dich, Schwester Fidelma?«

»Higbald«, erwiderte Fidelma. »Er wird uns alle beunruhigen. Er ist ein Krieger aus Mercia, und mindestens sechs der jungen Manner, die bei ihm waren, sind es auch, darunter Beornwulf.«

Sigeric war verwirrt.

»Das verstehe ich nicht. Was tun Krieger aus Mercia hier in dieser Abtei?«

Fidelma pre?te kurz die Lippen zusammen.

»Das ist leicht zu erklaren. Euer Nachbar, Wulfhere von Mercia, versucht, seinem Konigreich wieder zu gro?erer Macht zu verhelfen. Er schickte Higbald mit einigen seiner Krieger her, weil er von den Zwistigkeiten zwischen Cild und Aldhere erfahren hatte. Hig-bald hatte den Auftrag, zu Gewalttaten anzustacheln und die Spannungen zu erhohen, so da? Konig Eald-wulf mit Heeresmacht eingreifen mu? .«

»Genau das hat er auch vor«, bestatigte Sigeric. »Deshalb wurde ich hergesandt, um Botulfs Wunsch zu entsprechen und Cild und Aldhere zu warnen, sie sollten ihre Gewalttaten einstellen, sonst wurde Eald-wulf ihnen ein Ende setzen.«

»Higbald und seine Leute kamen in die Abtei unter dem Vorwand, sie waren Monche. Es war eine gute Tarnung, und die Abtei eignete sich hervorragend als Basis, von der aus sie Unruhe verbreiten konnten. Da es eine alte Festung ist, konnten sie ihre Waffen in einem der ungenutzten Raume unter der Abtei verbergen. Es gibt dort verschiedene Raume und Gange. Bo-tulf hatte das entdeckt, wurde aber von Higbald oder einem seiner Manner erschlagen, bevor er davon Nachricht geben konnte. Seine Leiche fand man drau?en vor der Tur zur Krypta.«

Sigeric konnte ihr immer noch nicht ganz folgen.

»Meinst du, da? Botulf euch deshalb zur Abtei bestellt hat?«

»Seine Entdeckung der geheimen Waffenkammer Higbalds geschah zufallig«, erklarte Fidelma. »Er hatte Eadulf einfach wegen des troscud hergerufen.«

»Als du vorhin im Begriff warst, Higbald der Verschworung mit Lioba zu beschuldigen, sollte deine Anklage

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