„Er hat sich in der Ecke versteckt und will nicht wieder heraus. Ich stelle den Apparat lauter, damit Sie mit ihm sprechen konnen.“ Sie erwahnte den Kratzer nicht, und zu Raekers Uberraschung schwieg ihr Vater ebenfalls. Aminadabarlee schien die Wunde nicht bemerkt zu haben. Er wandte sich in seiner schrillen Sprache an den Jungen und sprach einige Minuten lang mit ihm. Dabei machte er nur gelegentlich eine kurze Pause, um auf eine Antwort zu warten.

Zunachst erhielt er keine, aber als er eindringlicher sprach, ertonte schlie?lich doch ein schwacher Laut aus einer Ecke. Eine Minute spater erschien Aminadorneldos Kopf neben Easy auf dem Bildschirm. Raeker konnte nicht beurteilen, ob der Junge sich schamte; aber offenbar hatte sein Vater ihn zu einer Entschuldigung angehalten, denn Aminadorneldo wandte sich an Easy und sprach sie auf Englisch an.

„Tut mir leid, da? ich Sie verletzt habe, Mi? Rich.

Ich hatte Angst, weil ich dachte, Sie hatten den Krach gemacht und wollten mich jetzt mit Gewalt aus der Ecke holen. Mein Vater sagt, da? Sie alter als ich sind, und da? ich tun mu?, was Sie sagen, bis ich wieder bei ihm bin.“

Das Madchen lachelte beruhigend. „Du darfst ruhig Easy zu mir sagen, ›Mina‹“, erklarte sie ihm. „Ich bin dir bestimmt nicht bose. Keine Angst, ich sorge fur dich, bis wir wieder bei deinem Vater sind…“ Sie runzelte die Stirn und starrte nachdenklich auf den Bildschirm. Raeker erriet sofort, da? das Madchen etwas zu sagen versuchte, was ihr Begleiter nicht horen sollte. Er schob den Drommianer beiseite und nahm seinen vorherigen Platz wieder ein. Easy nickte ihm zu; sie hatte ihn bereits an Bord der Vindemiatrix kennengelernt.

„Mi? Rich“, begann er, „wir wissen noch immer nicht genau, was sich eigentlich bei Ihnen ereignet hat. Konnen Sie uns erklaren, wie alles passiert ist?

Oder kann Ihr Fuhrer Bericht erstatten?“

Bei der letzten Frage schuttelte das Madchen verneinend den Kopf. „Ich wei? nicht, wo Mister Flanagan im Augenblick steckt. Zuletzt war er noch in der Pinasse — wahrscheinlich wollte er dort eine Zigarette rauchen.

Er hatte uns gesagt, da? wir nichts anfassen durften, aber wir waren selbst viel zu vorsichtig dazu und betraten den Steuerraum gar nicht. Als wir dann wieder in die Pinasse zuruckkehren wollten, schlo? sich plotzlich automatisch die Luftschleuse; wir wurden gegen die Wand gedruckt — meiner Schatzung nach mit mindestens vier g. ›Mina‹ konnte sich noch etwas bewegen und versuchte mit Mister Flanagan Verbindung aufzunehmen, aber wir bekamen keine Antwort. Die Beschleunigung dauerte etwa eine halbe Minute und setzte erst Sekunden vor Ihrem Anruf aus.“

Unterdessen waren auch andere Besatzungsmitglieder in die Nachrichtenzentrale gekommen. Einige von ihnen nahmen ihre Rechenschieber zur Hand, und Raeker beobachtete sie schweigend, bis der erste seine Berechnungen abgeschlossen hatte, dann fragte er: „Haben Sie etwas herausbekommen, Saki?“

„Ja“, antwortete der Ingenieur. „Naturlich ist der Bericht keine zuverlassige Rechengrundlage, aber wenn das Madchen einigerma?en richtig geschatzt hat, mu? irgendwie ein ganzer Satz Feststofftriebwerke gezundet haben. Das entspricht vier g vierzig Sekunden lang — oder einer Beschleunigung von uber einem Sekundenkilometer. Allerdings wissen wir trotzdem noch nicht, wo sich das Schiff befindet, bis wir dort sind und es anpeilen konnen; der Kurs la?t sich nicht berechnen, weil wir keine Ahnung haben, in welcher Richtung das Ding beschleunigt hat. Aber mir ware wohler, wenn der Bathyskaph etwas weiter von Tenebra entfernt ware.“

Raeker fragte absichtlich nicht nach dem Grund dafur, aber Aminadabarlee erkundigte sich sofort.

„Warum?“

Der Ingenieur warf ihm einen abschatzenden Blick zu und entschlo? sich, lieber bei der Wahrheit zu bleiben.

„Weil eine Beschleunigung von eineinhalb Sekundenkilometern in vielen Richtungen dazu fuhren kann, da? das Schiff in eine Kreisbahn eintritt, die auf der Planetenoberflache endet“, erklarte er dem Drommianer offen.

„Wieviel Zeit bleibt bis zur Landung?“ wollte Rich wissen.

„Dafur bin ich nicht zustandig. Das mu? erst berechnet werden, wahrend wir unterwegs sind. Aber meiner Schatzung nach mu?te die Landung innerhalb von Stunden erfolgen.“

„Warum sind Sie dann uberhaupt noch hier?“ fragte Aminadabarlee wutend. „Warum werden keine Rettungsma?nahmen eingeleitet?“

„Ich habe schon alles veranla?t“, antwortete der Ingenieur ruhig. „Eine Pinasse wird eben startklar gemacht und fliegt in einigen Minuten ab. Begleiten Sie uns, Doktor Raeker?“

„Ich wurde Ihnen nur im Weg sein“, wehrte Raeker ab.

„Fur mich gilt wahrscheinlich das gleiche“, meinte Rich, „doch wenn Sie genugend Platz haben, mochte ich mitkommen. Ich will Sie aber nicht bei der Arbeit behindern.“

„Bleiben Sie lieber hier“, empfahl ihm Sakiiro. „Wir lassen die Verbindung mit der Vindemiatrix nicht abrei?en, damit Sie standig informiert sind.“ Er rannte hinaus.

Aminadabarlee hatte offensichtlich ebenfalls mitfliegen wollen, aber nachdem Rich zuruckgeblieben war, konnte er nicht mehr darauf bestehen. Er machte seiner Erbitterung Luft, indem er bemerkte: „Man mu? schon ein vollig vertrottelter Mensch sein, um an einem noch nicht fertiggestellten Schiff Triebwerke anzubringen.“

„Der Bathyskaph ist aber bereits fertig — ihm fehlt nur noch die letzte Uberprufung“, antwortete ein anderer Ingenieur gelassen. „Die Feststofftriebwerke dienen nicht nur zur Landung, sondern auch zum Start. Ubrigens sollten sie noch gar nicht betriebsbereit gemacht worden sein, und wir mussen sie erst untersuchen, um festzustellen, wodurch die Zundung erfolgt ist. Vorlaufig ist es nur Zeitverschwendung, wenn wir daruber diskutieren, wer an der ganzen Sache schuld ist.“

Der Ingenieur starrte den Drommianer feindselig an, aber Rich trat rechtzeitig zwischen die beiden.

Raeker bewunderte die Geschicklichkeit, mit der der Diplomat den wutenden Aminadabarlee beruhigte, obwohl der andere eben noch vor Zorn sprachlos gewesen war.

Raeker hatte die Unterhaltung zwischen Rich und dem Drommianer gern verfolgt, aber er hatte genugend mit dem Funkgerat zu tun. Die beiden Kinder hatten gehort, was der Ingenieur gesagt hatte, obwohl sie die Wahrheit nicht vollig begriffen hatten, und Raeker mu?te jetzt sein Bestes tun, um sie wieder aufzumuntern. Begreiflicherweise waren die Kinder vor Schreck fast gelahmt, aber das Madchen fing sich nach uberraschend kurzer Zeit wieder. Raeker wu?te nicht, ob ihre Gelassenheit nur gespielt war, aber trotzdem stieg sein Respekt vor ihr noch mehr.

Unterdessen war die Pinasse gestartet, und als die Minuten langsam verstrichen, fa?ten die Besatzungen der drei Schiffe wieder neue Hoffnung. Falls der Bathyskaph sich nicht in einer Kreisbahn befand, die auf Tenebra endete, bestand selbstverstandlich keine Gefahr; Nahrungsmittel und Sauerstoff waren reichlich vorhanden. Raeker schatzte, da? die Aussichten fur einen anderen Kurs etwa drei zu eins standen, denn schlie?lich gab es nur vier mogliche Richtungen.

Der Elektronenrechner der Pinasse berechnete laufend neue Kurse; als schlimmste Moglichkeit ergab sich, da? der Bathyskaph innerhalb von funfundvierzig Minuten in die Planetenatmosphare eintreten wurde. Wenn dies nach einhundertdrei?ig Minuten noch nicht der Fall gewesen war, wurde das Ereignis nicht mehr eintreten.

Siebenundsechzig Minuten nach der ersten Beschleunigung berichtete Easy von einer weiteren. Unterdessen hatte selbst Aminadabarlee begriffen, was die Tatsache bedeutete. Die Pinasse hatte sich dem Planeten so weit wie moglich genahert, aber trotzdem war den beiden Kindern damit nicht im geringsten geholfen. Die Ingenieure konnten den Sender des Bathyskaphen anpeilen und seine Position ungefahr bestimmen; aber sie konnten trotzdem keinen Kollisionskurs innerhalb der Planetenatmosphare berechnen.

Vorlaufig stand nur fest, da? ein Rendezvousmanover fruhestens zu einem Zeitpunkt durchfuhrbar war, an dem der Bathyskaph bereits in die Atmosphare eingetreten war — aber dann lie?en sich die Raketentriebwerke wegen des hohen Au?endrucks nicht mehr verwenden. Sakiiro meldete dieses Ergebnis an die Vindemiatrix und wandte sich dann sofort an Easy Rich, bevor Aminadabarlee sprechen konnte.

„Mi? Rich, bitte horen Sie mir aufmerksam zu. Die augenblickliche Beschleunigung wird in den nachsten Minuten wesentlich starker werden. Ich mochte, da? Sie sich in dem Pilotensitz anschnallen und Ihren Begleiter nach Moglichkeit ebenfalls auf einem Sitz unterbringen.“

„Er pa?t aber auf keinen Sessel“, antwortete das Madchen.

„Aber er ist an vier g gewohnt“, warf Rich von der Vindemiatrix aus ein.

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