„Tenebra ist eben ein eigenartiger Planet. Veranderungen sind dort die Norm; die Frage lautet also nicht, ob es morgen regnen wird, sondern ob ein Stuck Weideland sich plotzlich in einen Hugel verwandelt. Unsere Geophysiker warten schon gespannt auf den Tag, an dem sie mit Nicks Gruppe in Verbindung treten konnen, um nahere Untersuchungen durchzufuhren. Unter den dort unten herrschenden Verhaltnissen ist es kein Wunder, da? die Oberflache sich standig verandert.

Im Augenblick bleibt uns nichts anderes zu tun. Bis es auf Tenebra wieder Morgen wird, vergehen einige unserer Tage, und ich glaube nicht, da? unterdessen etwas Wichtiges passiert. Mochten Sie den Bathyskaphen mit mir besichtigen, wenn ich abgelost worden bin?“

„Mit gro?tem Vergnugen.“ Raeker hatte den Eindruck, da? die Drommianer entweder eine sehr hofliche Rasse sein mu?ten, oder da? dieser eine aus diesem Grund als Gesandter ausgewahlt worden war.

Aber der Eindruck hielt nicht lange an.

Die Besichtigung des Bathyskaphen konnte nicht sofort erfolgen, denn als Raeker und der Drommianer die Luftschleuse erreichten, die zu der Pinasse der Vindemiatrix fuhrte, war das Boot nicht zu sehen. Raeker setzte sich mit dem Wachoffizier in Verbindung und erfuhr, da? die Besatzungsmitglieder, die Aminadorneldo herumfuhrten, die Pinasse benutzt hatten.

„Der Drommianer wollte den Bathyskaphen sehen, Doktor, und Easy Rich ebenfalls.“

„Wer?“

Councillor Richs junge Tochter, die ihn begleitet.

Der Gentleman neben Ihnen mu? mich entschuldigen. Besucher sind jederzeit willkommen, aber wenn sie aus der Besichtigung einen Familienausflug machen…“

„Mein Sohn begleitet mich“, warf Aminadabarlee ein.

„Ich wei?, Sir. Aber es gibt doch einen gewissen Unterschied zwischen alteren Kindern, die sich bereits vorsehen konnen, und anderen, auf die man standig achten mu?, damit sie keinen Schlag bekommen. Ich…“ Der Offizier schuttelte verstandnislos den Kopf. Er war einer der Schiffsingenieure; Raeker vermutete, da? die Besucher in der Kraftzentrale gewesen sein mu?ten, fragte aber nicht danach.

„Wissen Sie, wann die Pinasse zuruckkommt?“ erkundigte er sich.

Der Ingenieur zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Flanagan lie? sich von der Kleinen herumfuhren. Wahrscheinlich kommen sie zuruck, wenn die junge Dame mude ist. Sie konnen aber auch selbst mit ihm sprechen.“

„Richtig.“ Raeker ging in die Funkzentrale der Vindemiatrix voraus, lie? sich vor einem der Bildschirme nieder und stellte die Verbindung mit der Pinasse her. Sekunden spater erschien Flanagan auf dem Bildschirm und nickte Raeker zu.

„Hallo, Doktor. Was kann ich fur Sie tun?“

„Wir wollten nur wissen, wann Sie wieder zuruckkommen. Councillor Aminadabarlee mochte den Bathyskaphen ebenfalls besichtigen.“ Raeker nahm die Pause zwischen Frage und Antwort kaum wahr, weil er daran gewohnt war; der Drommianer brachte jedoch weniger Geduld auf.

„Ich kann jederzeit zuruckkommen und Sie abholen; meine Kunden sind vollig mit dem Bathyskaphen beschaftigt.“ Raeker machte ein uberraschtes Gesicht.

„Wer ist bei ihnen?“

„Ich war bei ihnen, aber ich konnte ihnen nicht allzuviel erklaren. Sie haben versprochen, da? sie nichts anfassen.“

„Darauf wurde ich mich lieber nicht verlassen. Wie alt ist Richs Tochter? Ungefahr zwolf, nicht wahr?“

„Das konnte stimmen. Ich hatte sie nicht unbeaufsichtigt gelassen, aber der Drommianer versprach mir, da? er auf das Madchen achten wurde.“

„Ich glaube…“ Raeker konnte nicht zu Ende sprechen, denn in diesem Augenblick drangte der Drommianer ihn beiseite und starrte den Mann auf dem Bildschirm aus grungelben Augen wutend an.

„Vielleicht beherrsche ich Ihre Sprache doch nicht so gut, wie ich es mir eingebildet habe“, sagte der Drommianer langsam. „Habe ich richtig verstanden, da? Sie zwei Kinder allein ohne Aufsicht in einem Schiff im Weltraum gelassen haben?“

„Nicht zwei Kinder, Sir“, protestierte Flanagan.

„Das Madchen ist schon ziemlich vernunftig, und Ihr Sohn ist bestimmt kein Kind mehr; er ist so gro? wie Sie.“

„Wir erreichen unsere endgultige Gro?e schon nach einem Jahr“, antwortete der Drommianer.

„Mein Sohn ist vier — das entspricht einem menschlichen Alter von etwa sieben Jahren. Ich habe die Menschen immer fur ziemlich fortgeschritten gehalten, aber wenn ein Trottel wie Sie mit einer solchen Verantwortung betraut wird, sind mir die primitivsten Wilden lieber. Wenn meinem Sohn etwas zusto?t…“

Er machte eine Pause, denn Flanagan war von dem Bildschirm verschwunden, ohne das Ende der Strafpredigt abzuwarten. Aber der Drommianer war noch nicht fertig; er wandte sich jetzt an Raeker, der ihn erschrocken anstarrte.

„Ich dachte, Ihre Rasse sei zivilisiert. Wenn diese unglaubliche Dummheit das erwartete Ergebnis hat, wird die Erde dafur bu?en mussen. Wir werden dafur sorgen, da? keines Ihrer Schiffe je wieder auf einem Planeten landet, der mit uns in freundschaftlicher Verbindung steht. Uberall wird man die Menschen wegen ihrer abgrundtiefen Dummheit verachten und sie…“

Er wurde unterbrochen, aber nicht durch gesprochene Worte. Aus dem Lautsprecher drang ein dumpfer Knall, und verschiedene Gegenstande, die auf dem Bildschirm sichtbar waren, prallten plotzlich gegen das nachste Schott. Sie fielen zuruck, flogen aber alle in die gleiche Richtung — auf die Luftschleuse der Pinasse zu, wie Raeker erschrocken feststellte.

Ein Buch segelte voruber und stie? mit einem Metallinstrument zusammen, das langsamer flog.

Aber dieser Aufprall war nicht mehr zu horen. Aus dem Lautsprecher drang kein Gerausch mehr; in der Pinasse herrschte lautlose Stille — die Stille des eisigen Vakuums.

4

Nick Chopper stand in der Tur der Hutte und dachte nach. Hinter ihm lagen die sieben anderen Uberlebenden und verbanden sich gegenseitig ihre Wunden. Nick selbst war nicht ohne Schrammen davongekommen, aber er konnte noch immer gehen — und notfalls kampfen, uberlegte er wutend. Bis auf Jim und Nancy waren die ubrigen fur einige Tage au?er Gefecht gesetzt.

Er sah ein, da? Fagin recht gehabt hatte, als er Swifts Forderungen erfullt hatte; so hatte Nick immerhin fur seine verwundeten Freunde sorgen durfen. Aber wenn Nick an den Uberfall zuruckdachte, hatte er den Kampf am liebsten sofort wieder aufgenommen.

Aber er grubelte nicht nur daruber nach, sondern uberlegte tatsachlich ernsthaft. Zum erstenmal in all diesen Jahren bezweifelte er, da? Fagin die einzig richtige Entscheidung getroffen hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie der Lehrer den Hohlenbewohnern entfliehen wurde, nachdem er nicht einmal in den Kampf hatte eingreifen konnen. Eine nachtliche Flucht war sinnlos; die Wilden wurden ihn morgens verfolgen und einholen.

Dann fiel ihm ein, da? die Hohlenbewohner Fagin eigentlich nichts anhaben konnten. Das harte wei?e Zeug, aus dem der Lehrer bestand, bot vielleicht einen ausreichenden Schutz gegen Messer und Speere.

Wahrscheinlich verstellte Fagin sich nur, weil er Nick und den anderen nicht schaden wollte; aber wenn er allein bei den Hohlenbewohnern war, wurde er bestimmt anders reagieren.

Nick hatte sich gern mit Fagin daruber unterhalten, wenn Swift nicht gewesen ware. Naturlich konnte der Wilde sie nicht gut belauschen, weil er kein Englisch verstand, aber er wurde wissen, was Nick vorhatte, und ihn daran hindern. Wenn man Swift fernhalten konnte — aber wenn das moglich war, gab es ohnehin keine anderen Schwierigkeiten mehr. Das Hauptproblem bestand eben darin, da? man mit Swift nicht umgehen konnte.

Unterdessen war es Nacht geworden; der Regen hatte bereits eingesetzt. Nick sah, da? die Angreifer bei den Feuern Schutz gesucht hatten, beobachtete aber auch, da? sie sich nicht weiter um die Feuer kummerten. Er hob den Kopf und sah zu den riesigen Regentropfen auf, die aus dem nachtschwarzen Himmel herabsanken, und

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