Nancy schuttelte den Kopf. „Die zusatzliche Anstrengung ist kaum der Muhe wert. Die Maschine ist bestimmt schon aus gro?erer Entfernung erkennbar, wie Fagin uns erklart hat. Meiner Auffassung nach konzentrieren wir uns lieber auf die Karte, bis wir bestimmt wissen, ob wir in der richtigen Gegend sind.“

„Fagin wurde vielleicht anders daruber denken“, antwortete John, „aber du hast bestimmt wie immer recht. Los, gehen wir weiter!“

Drei Kilometer, zwanzig Minuten und ein Erdbeben spater waren sie beide davon uberzeugt, da? sie sich nicht geirrt hatten. Obwohl die Oberflache des Planeten haufigen Veranderungen unterworfen war, konnte kein Zweifel mehr an dieser Tatsache bestehen. John und Nancy diskutierten einige Minuten lang daruber, ob sie bereits jetzt Holz sammeln, oder ihren Marsch fortsetzen sollten, um am nachsten Morgen sofort mit der Suche beginnen zu konnen. Sie entschlossen sich fur die zweite Moglichkeit und setzten den Marsch zunachst fort.

Die Abenddammerung stand unmittelbar bevor, als sie beide gleichzeitig stehenblieben. Sie brauchten kein Wort zu verlieren, weil sie offensichtlich beide die Erscheinung beobachtet hatten. Weit vor ihnen im Sudwesten leuchtete ein Licht.

Sie beobachteten es einige Sekunden lang. Der Lichtschein war nicht uberma?ig stark, sondern nur eben wahrnehmbar; aber auf Tenebra konnte jedes Leuchten au?er dem Tageslicht nur eine Ursache haben. Fagins Schuler waren jedenfalls mit dieser Uberzeugung aufgewachsen.

Dann warfen sie einen Blick auf ihre Karte, um nach Moglichkeit festzustellen, wo sich die Lichtquelle befand. Das erwies sich jedoch als ausnehmend schwierig, weil die Entfernung kaum zu schatzen war. Die Richtung war klar, aber dieses Leuchten schien aus der kaum erforschten Gegend zu kommen, die Nick nur einmal auf dem Weg zu den Hohlen von Swifts Leuten durchquert hatte. John und Nancy waren davon uberzeugt, da? sie diese Stelle unmoglich erreichen konnten, bevor der nachtliche Regen einsetzte. Sie sprachen jedoch nur kurz daruber und einigten sich sofort, da? sie wenigstens den Versuch unternehmen wurden.

Zunachst kamen sie gut voran, aber allmahlich wurde das Gelande schwieriger. Dies stimmte mit dem uberein, was Nick von dieser Gegend erzahlt hatte. Die beiden erinnerten sich auch an die gefahrlichen Raubtiere in den Hohlen, trafen aber zum Gluck auf keine. Der Lichtschein wurde starker, aber selbst einige Stunden spater hatten sie noch keine Ahnung, wodurch er hervorgerufen wurde.

Dann schien sich herauszustellen, da? die Lichtquelle auf einem erhohten Punkt lag, und nach einer weiteren halben Stunde waren John und Nancy fest davon uberzeugt. Das war nicht leicht zu verstehen; Fagin hatte gesagt, der Bathyskaph sei am Fu?e eines Hugels gestrandet.

Dann erinnerte sich John an einen bemerkenswert hohen Hugel, den Nick in dieser Gegend gesehen hatte. Der Karte nach war es nicht ausgeschlossen, aber auch keineswegs sicher, da? die Lichtquelle sich auf diesem Hugel befand. Aber falls dies zutraf, bestand keine Aussicht mehr, da? sie den Bathyskaphen entdeckt hatten. Allerdings bedeutete das ihrer Ansicht nach nichts anderes, als da? Swifts Leute dort oben ein Feuer angezundet haben mu?ten, wodurch sich einige neue Probleme ergaben.

Der Regen wurde bald einsetzen, so da? sie nicht ohne Fackeln marschieren konnten. Wenn vor ihnen tatsachlich Swifts Leute lagerten, begaben John und Nancy sich praktisch freiwillig in Gefangenschaft, falls sie sich ihnen mit einer Fackel naherten. Selbstverstandlich bestand die Moglichkeit, da? der Hauptling Fagins Angebot bereits angenommen hatte, so da? sie eigentlich Verbundete waren; aber weder John noch Nancy wollten dieses Risiko eingehen.

Im Grunde genommen hatten sie eigentlich keinen rechten Grund, sich der Lichtquelle uberhaupt zu nahern; schlie?lich befanden sie sich auf der Suche nach dem Bathyskaphen und sollten keineswegs nach Swifts Leuten Ausschau halten. Auf diesen Gedanken kam jedoch keiner der beiden. Vermutlich hatten sie selbst dann darauf bestanden, da? sie nicht bestimmt wissen konnten, ob der Lichtschein nicht doch von der Maschine kam. Jedenfalls uberlegten sie angestrengt, wie sie sich unbemerkt nahern konnten.

Nancy machte endlich einen Vorschlag, den John sofort ablehnte, weil er ihm nicht traute. Nancy wies darauf hin, da? sie in Physik und Chemie besser als er war, und da? er ihr ruhig glauben konne. John erwiderte, er sei vielleicht nur ein guter Mathematiker, aber trotzdem wisse er genug uber den Regen, um mi?trauisch zu werden. Nancy beendete die Diskussion, indem sie einfach losmarschierte, ohne sich darum zu kummern, ob John ihr folgte oder nicht. Naturlich kam er.

Raeker hatte sich uber diese Diskussion gefreut. Er hatte seine Schuler vollig willkurlich benannt, nachdem sie aus den gestohlenen Eiern geschlupft waren, und wu?te noch immer nicht, wer von ihnen mannlich oder weiblich war. Nancys weibliche Logik hatte ihn vermutlich davon uberzeugt, da? er sich zumindest in ihrem Fall bestimmt nicht geirrt hatte.

John sah unruhig zum Himmel auf, wahrend sie sich auf den Weg machten. Er wu?te zwar genau, da? der Regen erst spater zu erwarten war, aber seitdem Nancy sich so leichtfertig uber seine Befurchtungen hinweggesetzt hatte, konnte er an nichts anderes mehr denken. Als die ersten Tropfen hoch uber ihnen erschienen, hatten sie sich dem Licht soweit genahert, da? sie erkannten, da? etwas zwischen ihnen und der Lichtquelle lag — irgendein Hindernis, vermutlich ein Hugel.

„Wollen wir ihn nicht lieber umgehen?“ fragte John, als diese Tatsache feststand. „Wenn wir nach oben klettern, kommen wir um so eher in den Regen.“

„Das kann uns nur recht sein“, antwortete Nancy ungeruhrt. „Wenn dort wirklich die Hohlenbewohner sitzen, erwarten sie uns bestimmt nicht aus dieser Richtung, und du siehst gleich, da? ich recht gehabt habe. Au?erdem bin ich noch nie auf einem wirklich hohen Hugel gewesen — nach Nicks Beschreibung mu? er fast hundert Meter hoch sein. Komm!“ Sie ging bereits voran, ohne auf Johns Antwort zu warten.

Bereits wenige Minuten spater fiel ihnen auf, da? sich der Boden unter ihren Fu?en veranderte. Statt des sonst ublichen Granits, der reich an Feldspat und anderen mineralischen Einschlussen war, sahen sie jetzt ein dunkleres glattes Gestein. Allerdings erkannten sie nicht, worum es sich dabei handelte, denn sie hatten noch nie Lava gesehen, und Nick hatte keine Gesteinsproben mitgebracht.

Die Regentropfen sanken jetzt bis fast auf den Boden herab. Noch konnte man ihnen leicht ausweichen, denn das Licht beleuchtete sie ausgezeichnet; aber das Problem bestand darin, da? Nancy ihnen absichtlich nicht auswich. Theoretisch hatte sie recht, denn jeder Tropfen enthielt noch genugend Sauerstoff, aber John brauchte einige Zeit, bis er sich uberwand und ihrem Beispiel folgte.

Sie arbeiteten sich einen Abhang hinauf und stellten fest, da? die Lichtquelle tatsachlich nicht mehr weit von ihnen entfernt war. Nancy blieb stehen, um nachzudenken, denn ihr war aufgefallen, da? die Regentropfen nicht mehr senkrecht zu Boden sanken, sondern fast waagerecht daruber hinwegschwebten.

Das war leicht zu erklaren, wenn man an einen Aufwind dachte. Bemerkenswert war eigentlich nur die Geschwindigkeit, denn der Luftzug war zu spuren — und das war hier auf Tenebra bereits ein Orkan.

Wenn vor ihnen wirklich ein Feuer brannte, mu?te es gro?er als alles sein, was Fagins Schuler bisher gesehen hatten.

John und Nancy diskutierten uber dieses Phanomen. „Wenn Swifts Leute das Feuer angezundet haben, mussen sie den ganzen Landstrich in Brand gesetzt haben“, stellte John fest.

„Unmoglich!“ lautete Nancys Kommentar.

„Vielleicht doch nicht. Wir konnen uns ja selbst uberzeugen; ich glaube, da? es Swifts Leute waren.

Hast du deine verruckte Idee noch nicht aufgegeben?“

„Naturlich nicht. Nachdem der Wind die Tropfen vor sich hertreibt, ist sie sogar leichter durchzufuhren.“

„Hoffentlich hast du recht“, meinte John zweifelnd.

Nancy nickte zuversichtlich und ging weiter. Kurze Zeit spater hatten sie sich dem hochsten Punkt des Hugels bis auf zweihundert Meter genahert, so da? Nancy beginnen konnte, ihren Plan in die Tat umzusetzen.

Sie suchte sich einen gro?en Regentropfen, lie? sich von ihm einhullen und bewegte sich vorsichtig weiter. Ihre Korperwarme verdampfte einen Teil des riesigen Tropfens, aber trotzdem blieb noch genugend Flussigkeit ubrig, um sie vollig einzuhullen. John blieb vorlaufig zuruck, weil er zunachst abwarten wollte, wie das Experiment verlief, bevor er selbst den gleichen Versuch unternahm.

In gewisser Beziehung war das Unternehmen ein voller Erfolg; Nancy blieb bei Bewu?tsein, bis der Tropfen verdampfte. Andererseits verschwand er jedoch sehr plotzlich, so da? sie schutzlos im Freien stand.

Zum Gluck war das jedoch nicht mit der Katastrophe verbunden, die John in diesem Augenblick befurchtete.

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