Nancy blieb drei oder vier Sekunden lang unbeweglich stehen; dann wandte sie sich an ihren Begleiter und rief: „Johnny! Komm schnell!“
John rannte auf sie zu und verga? dabei fast, da? er sich wegen der Regentropfen vorsehen wollte.
Nancy stand kaum funf Meter von einem riesigen Krater entfernt, dessen Durchmesser fast drei Kilometer betragen mu?te. Sie begluckwunschte sich selbst zu der Tatsache, da? der Regentropfen rechtzeitig verdampft war; aber die Hitze, die aus dem Krater aufstieg, zeigte ihr, da? dies kein Zufall gewesen war, denn hier waren uberhaupt keine Tropfen mehr zu sehen. Der Boden des Kraters gluhte und schien an einigen Stellen sogar aus einer helleren Flussigkeit zu bestehen, die ein besonders starkes Licht ausstrahlte.
Raeker oder selbst Easy hatten einen Vulkan selbstverstandlich sofort erkannt, aber Fagins Schuler hatten noch nie davon gehort und starrten dieses Phanomen erstaunt an.
„Ist dir schon aufgefallen, da? das hier ein wunderbarer Platz fur ein Dorf ware?“ fragte John nach einigen Minuten. „Wir brauchten dann wenigstens keine Feuer anzuzunden.“
„Und wovon sollten wir leben?“ erkundigte sich Nancy. „Die Pflanzen, die auf diesem dunklen Gestein wachsen, sind ziemlich verschieden von denen, die wir kennen; vielleicht wurde das Vieh sie nicht fressen.“
„Das lie?e sich leicht feststellen…“
„Au?erdem hat das nichts mit unserem Auftrag zu tun. Das Licht hier ist zwar sehr interessant, aber vorlaufig unwichtig. Wir mussen an unsere Arbeit denken, John.“
„Es regnet aber“, stellte John fest, „und uns hat niemand gesagt, da? wir auch nachts suchen sollen.
Wir konnten wenigstens hier schlafen.“
„Richtig, denn…“ Nancy wurde plotzlich unterbrochen, als sie John zustimmen wollte. Etwa dreihundert Meter von den beiden entfernt brach ein riesiges Stuck der Kraterwand mit Donnergetose los und sturzte nach unten. Selbst die dichte Atmosphare von Tenebra vermochte den Fall nicht zu bremsen, so da? die ungefahr zehntausend Tonnen die dunne Schicht erstarrter Lava am Boden des Kraters ohne weiteres durchbrachen. Das Ergebnis lie? keinen Zweifel an dem flussigen Zustand des hei?en Materials — oder hatte keinen Zweifel daran gelassen, wenn die beiden Eingeborenen noch zugesehen hatten. John und Nancy hatten ihren Beobachtungsposten jedoch schon langst verlassen und befanden sich bereits auf der Flucht ins Tal, bevor die Felsmassen sich vollig gelost hatten.
Sie legten uber zwei Kilometer zuruck, bevor sie endlich haltmachten. Der Lichtschein hinter ihnen war so hell, da? sie sich ohne Muhe auf der Karte davon uberzeugen konnten, da? dies der Berg sein mu?te, von dem Nick gesprochen hatte. Als diese Tatsache feststand, mu?ten sie noch entscheiden, was jetzt zu tun war. Am liebsten waren sie sofort in das Lager zuruckgekehrt, um Fagin von ihrer Entdeckung zu berichten; andererseits lag noch eine Aufgabe unerledigt vor ihnen, bei der es um Leben oder Tod ging.
„Ich finde, wir warten lieber“, meinte John. „Wir konnen hier ubernachten, morgen das Gebiet absuchen und wie vereinbart den Ruckmarsch antreten.
Schlie?lich ware es Unsinn, wegen dieser neuen Entdeckung alles stehen und liegen zu lassen.“
„Wahrscheinlich hast du recht“, stimmte Nancy etwas zogernd zu, „aber hier konnen wir auf keinen Fall ubernachten. Auf diesem schwarzen Gestein wachst nicht genugend Holz, und die Regentropfen werden schon durchsichtig.“
„Das ist mir auch aufgefallen“, antwortete John.
„Am besten brechen wir gleich auf — nein, erst mussen wir eine Fackel haben. Vielleicht haben wir spater nicht mehr genugend Zeit.“
Nancy war einverstanden. Zehn Minuten spater traten sie den Weitermarsch an, wobei sie sich nach Suden wandten, wo in der Karte mehrere Hugel verzeichnet waren. Sie waren beide nicht vollig davon uberzeugt, da? man nachts marschieren konnte, obwohl Nick davon erzahlt hatte; aber schon bald darauf wurden sie abgelenkt.
Wieder war vor ihnen ein Lichtschein sichtbar geworden. Er war schwacher, weil die gluhenden Massen in dem Krater den Horizont hell beleuchteten, aber trotzdem konnte kein Zweifel daran bestehen, da? auf einem der Hugel vor ihnen ein Feuer brannte.
„Willst du es diesmal wieder mit deinem Spezialtrick versuchen?“ erkundigte sich John.
Nancy warf einen kurzen Blick auf die gefahrlich durchsichtigen Regentropfen und lie? sich nicht zu einer Antwort herab. Ihr Begleiter hatte allerdings auch keine erwartet und stellte nun statt dessen eine vernunftige Frage.
„Was fangen wir mit der Fackel an? Sie mu? von dort druben aus deutlich zu sehen sein. Soll ich sie gleich ausmachen?“
„Hm“, antwortete Nancy, „vielleicht ware das gar keine schlechte Idee. Hier ist es uberall noch so hell, da? wir den Regentropfen leicht ausweichen konnen.“
John warf die Fackel wortlos unter einen gro?en Tropfen, der eben vor ihm zu Boden sank. Die beiden gingen langsam nebeneinander weiter.
Wenige Minuten spater konnten sie jedoch bereits erleichtert aufatmen, weil sich das Feuer als harmlos erwies. Wahrend sie zuvor noch befurchtet hatten, sie konnten plotzlich auf Swifts Leute sto?en, sahen sie jetzt Dorothy und Oliver an dem Feuer sitzen; das muhsame Anschleichen war also zum Gluck uberflussig gewesen. Die Begru?ung verlief dementsprechend herzlich, denn auch Oliver und Dorothy freuten sich, da? sie plotzlich Gesellschaft bekommen hatten.
Als sie ihre Erfahrungen austauschten, stellte sich heraus, da? nicht nur John und Nancy von dem Vulkan in diese Gegend gelockt worden waren. Die beiden anderen hatten jedoch beschlossen, vorlaufig ein Lager zu beziehen und dort die Nacht abzuwarten, bevor sie dem Lichtschein nachgingen.
„Ich mochte wetten, da? Jim und Jane hier auftauchen, bevor die Nacht voruber ist“, meinte Nancy, als beide Teams ihre Erfahrungen ausgetauscht hatten.
„Ihr Gebiet liegt ganz in der Nahe, und wenn sie nicht eine falsche Richtung eingeschlagen haben, mussen sie das Licht ebenfalls gesehen haben.“
„Vielleicht haben sie sich aber strikt an ihren Auftrag gehalten“, warf John ein.
„Gehort die Suche nach einem hellen Lichtschein etwa nicht dazu?“ erkundigte sich Nancy. „Wenn die beiden nicht innerhalb der nachsten zwei oder drei Stunden hier auftauchen, fange ich allmahlich an, mir Sorgen zu machen. Dieser Feuerberg ist beim besten Willen nicht zu ubersehen, das wei?t du selbst ganz genau.“
Keiner der anderen hatte darauf eine passende Antwort, obwohl sie alle Nancys feste Uberzeugung keineswegs teilten, weil sie sich daran erinnerten, wie vorsichtig und langsam sie sich dem Berg genahert hatten. Die nachsten Stunden verstrichen, ohne da? Jim und Jane aufgetaucht waren. Falls Nancy sich Sorgen machte, merkte man sie ihr nicht an; die anderen machten sich jedenfalls keine.
Die Nacht war sehr ruhig und gab zu keinen Besorgnissen Anla?. Das Licht war ungewohnlich hell, aber daran war der Feuerberg schuld; der Regen wurde schwacher, aber das mochte ebenfalls auf den Vulkan zuruckzufuhren sein. Das Feuer verbrauchte mehr Holz als gewohnlich, aber davon gab es mehr als genug. Bestimmt war der Wind die Ursache dafur — keiner der vier hatte jemals eine so starke Luftbewegung erlebt, und ein Wind, den man tatsachlich spurte, konnte ohne Zweifel eigenartige Erscheinungen hervorrufen. Die vier Eingeborenen sa?en um das Feuer herum und dosten, wahrend der Wind starker wurde.
10
„Daddy! Doktor Raeker! ›Mina‹ hat recht gehabt; dort druben steht wirklich Nick!“ Easys Stimme hatte einen fast hysterischen Unterton. Die Manner an Bord der
„Wissen Sie bestimmt, da? Sie Nick vor sich haben, Easy?“ erkundigte er sich so gelassen wie moglich.
„Eigentlich sollte er namlich das Lager nicht verlassen. Sechs meiner Schuler suchen paarweise nach Ihnen; erkennen Sie dort drau?en zwei Eingeborene?“
„Nein“, antwortete Easy mit ruhiger Stimme. Ihr Vater atmete erleichtert auf und sank in seinen Sessel zuruck. „Es war nur einer, und ich habe ihn nicht langer als eine Sekunde gesehen. Warten Sie — jetzt taucht er wieder auf!“ Easy stand mit dem Rucken zur Kamera vor einem Bullauge. „Er versteckt sich hinter den Buschen, so