anwendet. Die Rate des Sauerstofftransportes hangt vom Konzentrationsunterschied zwischen dem Lungeninneren und der Au?enseite ab, und von der Flache der Schranke, durch welche die Diffusion stattfindet — in diesem Fall die kleinste Querschnittflache der Luftrohre. In diesem Fall reicht die Sauerstoffko nzentration um uns herum aus, um uns durch Diffusion uber die Luftrohre am Leben zu erhalten. Was die Kohlendioxyd-Ausscheidung betrifft, bin ich nicht so sicher, aber ich glaube, eure Theorie ist in diesem Punkt richtig. Sie wird bewerkstelligt, indem Kohlendioxyd an unlosliche Karbonate im Korperinneren gebunden und als feste Ausscheidung abgesondert wird. Wie gesagt, das alles kommt mir ein wenig merkwurdig vor, und ich habe das Gelesene vielleicht da und dort mi?verstanden. Wenn ich Zeit habe, werde ich tiefer in die Materie einsteigen. Ich bin kein Physiologe, doch hat mich der Stoff fasziniert, besonders die Geschichte dieser Entwicklung.“

„Aber warum diese komplizierten Vorgange? Eine weniger wirksame Sauerstoffschranke wurde es auch tun, solange frischer Nachschub in die Lungen gepumpt wird. Das ist der Grund, warum wir atmen!“ Marie war in diesem Augenblick gewi? nicht auf dem Hohepunkt ihrer Denkfahigkeit, denn sogar ich wu?te die Antwort darauf. Ich nahm Joey das Tafelchen ab — er reichte es mir mit der Andeutung eines Lachelns — und begann mit meinen Ausfuhrungen.

„Pumpt man eine noch dichtere Flussigkeit als Wasser durch die Luftrohre, wurde das eine gewaltige Anstrengung und wahrscheinlich gefahrlich hohen Lungendruck bedeuten. Ich versuchte es knapp nach der Umwandlung und wei?, da? es schmerzt. Es wurde mich nicht wundern, wenn dabei Risse im Lungengewebe auftraten. Es ist eine logische Kette: man fulle Korperhohlraume mit Flussigkeit, so da? der Au?endruck ohne nennenswerte Volumensanderung erreicht werden kann; sodann kann man die Flussigkeit mit der normalen Atemtatigkeit nicht einpumpen. Man mu? ihr eine genugend hohe Konzentration freien Sauerstoffes verpassen, um den notigen Nachschub durch die Kehle diffundieren zu lassen. Ganz einfach, wenn man es erst mal begreift. Was ist ubrigens die wichtigste Sauerstoffquelle, Joey?“

„Genau das, was man erwarten wurde. Photosynthese. Und dafur wird auch der Gro?teil der hier erzeugten Energie verwendet. Etwa drei Viertel des Sauerstoffes stammen von den genma?geschneiderten Algen an der Zwischenflache zwischen Meer und Atemflussigkeit. Der Rest stammt von den angebauten Pflanzen. Die Verlustrate ist im Meer wegen des gunstigen Teilungsverhaltnisses gering.“

Ich nahm wieder die Tafel zur Hand.

„Nun, wenigstens hatte ich recht mit meiner Vermutung, warum das Lachen hier gefahrlich ist und warum man den Hustenreflex ausschaltet. Beides konnte die Lungen zum Bersten bringen.“

„Klar“, sagte Joey. „Ich behaupte gar nicht, da? ich alles wei? — da? wei? nicht mal Bert, der viel langer hier ist. Was wir erfahren konnten, stammt aus den Buchern, und zwar aus denen, die zufallig in den uns bekannten Sprachen verfa?t waren. Die Menschen hier haben uns nichts davon gesagt. Es ist nicht nur unmoglich, sich mit ihnen auf dieser Stufe zu unterhalten, ich bin sogar ziemlich sicher, da? die meisten es selbst gar nicht wissen. Wie viele Menschen an der Oberflache sind schon Arzte, Physiologen oder Techniker?“

„Deswegen braucht man uns hier so dringend“, warf ich ein. „Bert mu? es dir gesagt haben.“

„Wer wurde Bert noch ein Wort glauben?“ stie? Marie hervor — wir hatten das Geschriebene immer so gehalten, da? sie mitlesen konnte, auch wenn es nicht ausdrucklich fur sie bestimmt war. Joey ubernahm jetzt das Schreiben.

„Du solltest ihm glauben. Da? diese Menschen alles tun wurden, um technisch ausgebildete Besucher hier unten festzuhalten, durfte stimmen. Was ich in den letzten Wochen hier beobachten konnte, verleitet mich zu folgender Annahme: wenn an dieser Anlage hier nicht in naher Zukunft weitreichende Verbesserungen und Erneuerungen vorgenommen werden, dann mussen zwolf- bis funfzehntausend Menschen an die Oberflache auswandern und ihren Anteil an der Energieration der nachsten Jahrzehnte fordern.“

„Das ware eine bodenlose Unverschamtheit!“ au?erte Marie wutend. „Die haben hier jahrzehntelang Energie verschleudert, die dem Welt-Verbundnetz verlorenging. Sie sind nicht besser als die alten franzosischen Aristokraten, die den um Brot bettelnden Armen rieten, sie sollten Kuchen essen. Blo? waren die Adeligen zu stolz gewesen, die Jakobiner um Brosamen anzubetteln, nachdem ihr eigener Reichtum dahin war.“

„Meine erste Reaktion war ahnlich“, schrieb Joey gelassen weiter. „Ich lie? mich aus denselben Grunden unter Druck setzen wie Bert und du“ — er nickte mir zu —, „ich wollte mich hier grundlich umsehen und dann an die Behorde einen Bericht schicken, auf Grund dessen man die Anlage in kurzester Zeit an die ubrige Welt angeschlossen hatte.

Doch als ich genugend Daten fur einen handfesten Bericht beisammen hatte, wurde mir klar, da? es zwecklos ware. Die Behorde wurde gar nichts unternehmen.“

„Das behauptet Bert“, warf ich ein. „Er sagt, solche Berichte hatte man schon vor Jahrzehnten unter den Tisch fallen lassen.“

Joey schnappte sich die Tafel.

„Mir sind solche Berichte nicht bekannt. Aber Bert und ich haben wohl nicht dasselbe Material durchgesehen. Mein Standpunkt besagt, da? die Behorde gar nichts unternehmen kann.“

„Warum nicht? Sieh doch, wie viel Energie hier verpra?t wird!“ wandte Marie ein.

„Uberleg doch mal, Madchen. Hier wird nicht mehr Energie vergeudet als jene Menge, die an der Oberflache von den naturlichen Pflanzen fur die Photosynthese verbraucht wird — tatsachlich aber viel weniger. Es ist richtig, da? man die Energieerzeugung dieser Anlage durch die Bevolkerungszahl dividieren kann und auf eine Pro-Kopf- Ziffer kommt, die ein Vielfaches der normalen Pro-Kopf-Energieration betragt. Der gro?te Teil dieser Energie wird jedoch zur Beleuchtung gebraucht. Wenn man nun die Beleuchtungsrate vermindert, senkt man die Rate der Photosynthese auf eine Stufe, auf der zuwenig Sauerstoff fur die gegenwartige Einwohnerzahl erzeugt wurde. Vermindert man wiederum die Bevolkerungszahl, dann wird auch der jetzige lasche Betrieb, der mit Muhe aufrechterhalten wird, zusammenbrechen, und die Anlage wird Schlu? machen mussen.

Man mag die vor mehreren Generationen getroffene Entscheidung der Vorfahren dieser Menschen kritisieren. Ich gebe zu, da? sie nach unseren heutigen Ma?staben unmoralisch war. Die Menschen hier unten tragen schwer an den Folgen, und sie zehren nicht vom planetarische n Versorgungsnetz.

Sie sind selbstandig, wenn auch nicht in intellektueller Hinsicht. Ich sehe es als meine Pflicht an, hier zu bleiben. Ihr mu?t nun eure Entscheidung allein treffen.“

Marie sagte gar nichts. Sie dachte nach. Und als sie sich wieder zu Wort meldete, sah es ganz so aus, als hatte sie das Thema gewechselt.

„Warum hat Bert mich belogen? Nichts von dem, was ihr jetzt erklart habt, hat eine Luge notig gemacht.“

Joey reagierte mit einem Achselzucken.

„Keine Ahnung. Er hat mir ja nicht mal gesagt, da? du hier bist. Ich wei? nicht, was er sich dabei dachte.“

Joeys und Maries Blicke konzentrierten sich auf mich. Das Madchen sagte: „Du wei?t es. Heraus damit.“

Ich griff mir die Tafel, die Joey mir reichte und machte es kurz.

„Er log dich aus demselben Grund an wie ich.

Ihm war es einerlei, was du der Behorde berichtest.

Er wollte blo? verhindern, da? du erfahrst, da? Joey noch am Leben ist. Er wollte, da? du an die Oberflache zuruckkehrst in der Meinung, Joey ware nur mehr eine Erinnerung. Er wollte mi t dir gemeinsam zuruck. Ich hatte es ubrigens ebenso gemacht.“

Joey nahm die Tafel, nachdem Marie gelesen hatte, loschte das Geschriebene und schrieb: „Danke, Kumpel.“ Das hielt er so, da? ich es sehen konnte, aber nicht Marie. Dann loschte er es schleunigst aus. Falls Marie es bemerkt hatte, verlor sie kein Wort daruber. Aber wahrscheinlich hatte sie nichts bemerkt, denn meine Mitteilung war ihr in die Glieder gefahren.

„Ich verstehe“, sagte sie nach einem mindestens zwei Minuten dauernden Schweigen. „Dami t erscheint die ganze Sache in einem vollig anderen Licht. Er ist nicht so einfach zu durchschauen wie andere Menschen.“ Dann fuhr sie fort: „Joey, ich wei?, es ist deine personliche Angelegenheit. Aber wurdest du mir genau und wahrheitsgema? sagen, warum du dich zum Hier bleiben entschlossen hast?“

Ein verneinendes Kopfschutteln war die Antwort.

„Und wie lange mochtest du bleiben?“

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