Wieder Verneinung.

„Betrachtest du dich noch als Beauftragter der Behorde?“

Noch immer keine Antwort. Ich war dabei ziemlich sicher, da? es Joey eigentlich gleichgultig war, ob Marie die Antwort auf diese Fragen erfuhr, besonders auf die erste. Doch gerade diese erste Frage wollte er ihr nicht selbst beantworten. Er war so nahe dran, ihr zu sagen, sie solle ihn endlich in Ruhe lassen, wie seine Natur es nur zulie?. Marie ist, wie ich schon mehrmals erklart habe, gescheiter als ich, trotz ihres einen schwarzen Punktes.

Nach seiner dritten Verneinung sah sie ihn nachdenklich an. Dann wandte sie sich unvermittelt an mich.

„Bleibst du hier?“

Ich wu?te es naturlich nicht. Mir blieb nichts ubrig, als ihr die Gegenfrage zu stellen. Sie wurde mir vielleicht unverblumter antworten, als Joey es ihr gegenuber getan hatte, aber ich war dafur gewappnet — das hoffte ich jedenfalls.

„Und du?“ schrieb ich. Da wurden wir von einer Druckwelle getroffen, die allerdings nicht allzu gewaltig ausfiel. Ich wei? nicht, ob sie mit der Faust auf etwas einhieb oder mit dem Fu? aufstampfte.

„Wurdest du wohl dieses eine Mal eine Entscheidung selbst treffen?“ fragte sie wutend.

Das war ungerecht, naturlich. Ich bin sehr wohl imstande, Entscheidungen zu treffen, und das wei? Marie. Sie hatte es sogar zugegeben. Ich treffe jedoch hochst ungern Entscheidungen, wenn es mir an relevanten Informationen ma ngelt. Sie wu?te genau, welche Information ich wollte und auch, da? sie eben dieselbe Information aus demselben Grund von Joey hatte haben wollen.

Ich unternahm den ehrlichen Versuch, ohne Rucksicht auf Marie zu einer Entscheidung zu gelangen und schaffte es nicht.

XXV

An der Oberflache gibt es Sonne und Gerausche.

Bis vor kurzem hatte ich beides nicht richtig geschatzt. Sonne auf Baumen und Seen, blauer Himmel, rote und orangefarbene Sonnenuntergange.

Madchenstimmen, Regentropfen, Gelachter, Scherze.

Hier unten hort man Herzklopfen, Maschinengesumme, das Klopfen und Hammern verschiedener Aktivitaten, daruber hinaus aber Stille — keine Musik, keine Stimmen, nicht mal ein Zungenschnalzen oder Fingerschnippen.

An der Oberflache herrscht Mangel. Jede Handlung wird von dem unterschwellig lauernden Bewu?tsein gelenkt, da? damit ein Verbrauch an Energie verbunden ist, an Energie, die Leben bedeutet. Wenn jemand zufallig eine Energiezelle mindert oder ein Feuer anzundet, fuhlt er sich so schuldig wie ein Madchen aus der viktorianischen Zeit, das sich mit ihrem Anbeter zuviel herausgenommen hat. Die Tatsache, da? die Ehefrau in einem funf Meilen entfernten Krankenhaus im Sterben liegt, ist ein Grenzfall fur die Benutzung eines energiebetriebenen Fahrzeuges. Ein Flug, sei es in der Luft oder ins All, wird nur in direktem Zusammenhang mit Energiegewinnung oder Forschungsprogrammen uberhaupt in Betracht gezogen.

Hier unten herrscht eine vollig andere Haltung, obwohl die Energieerzeugung pro Kopf nur um ein Geringes hoher liegt. Niema nd fuhlt sich getroffen oder ist gar neidisch, nur weil der andere mehr als den ihm zustehenden Anteil an Energie verbraucht.

Ich hatte es nicht fassen konnen, da? man in der Bibliothek die Leselampen sorglos brennen lie? und kein Mensch sich deswegen aufregte.

Und warum konnte es hier unten keine Musik geben? Ich hatte keine gehort, und Gesang war hier unmoglich. Aber mit Saiteninstrumenten lie? sich sicher etwas anfangen. Vielleicht mu?te man sie ein wenig den Gegebenheiten anpassen, aber sie mu?ten eigentlich funktionieren. Zumindest die elektrischen. Und wenn es keine geeigneten gab, konnte ich ja welche entwickeln.

Und wenn es auch keine Madchenstimmen gab, so gab es doch Madchen. Ein sehr hubsches hielt sich nicht weit von mir entfernt auf und sah uns zu, als hatte sie eine Ahnung davon, was hier vorging.

Aber es war hier alles so anders. Wurde ich mich hier ohne Energiebeschrankung wohl fuhlen, nachdem ich mein Leben lang unter ihren Bedingungen gelebt hatte? Wurde der Gedanke an den schwarzen, druckenden Ozean zwischen mir und allem, war mir lieb war, nicht zu bedrohlich werden? Und wenn ich nicht blieb — wurde der Gedanke an das, was ich hier unten hatte erreichen ko nnen, sich nicht zu oft zwischen mich und das normale Leben drangen?

Ich konnte es nicht entscheiden. Auch wenn ich versuchte, samtliche personlichen Faktoren — nicht nur die mit Marie zusammenhangenden, sondern alle, die im weitesten Sinn als selbstsuchtig zu bezeichnen waren — auszuschalten, schaffte ich es nicht.

Da war beispielsweise me ine Arbeit fur die Behorde. Sie war nutzlich, ja sogar wichtig, und sie befriedigte mich. Aber ich konnte auch hier unten nutzliche Arbeit leisten, und sie wurde mir fast sicher ebenso gefallen. Der Lohn bedeutete hier wie dort nicht viel. Reichtum im herkommlichen Sinn war seit dem Beginn der Energierationierung bedeutungslos geworden, und hier unten hatte ich ebenfalls keine Anzeichen einer Plutokratie entdecken konnen. Obwohl ich zugeben mu?, da? sie mir vielleicht entgangen waren — ich wu?te ja so wenig uber die Anlage.

Naturlich konnte ich mehr daruber in Erfahrung bringen. Keine Entscheidung war widerruflich. Das einzig Unwiderrufliche war bereits geschehen.

Mein Hustenreflex war fur immer dahin, und ich wurde beim Essen fur den Rest me ines Lebens Vorsicht walten lassen mussen, egal wo ich mich aufhielt.

Vielleicht konnte ich hier bleiben, mir das Leben hier naher ansehen und spater wieder nach oben gehen. Schlie?lich gab es keinen Grund, warum die zwei Welten nicht in Verbindung treten sollten. Ich sah auf und wollte schon eine Antwort fur Marie aufschreiben, als meine Gedanken wieder zu arbeiten anfingen.

Wurde es eine solche Verbindung jemals geben?

Joey hatte mehrere einleuc htende Grunde dafur angefuhrt, warum die Behorde das Wissen um diese Anlage nicht verbreiten wurde, obwohl er sich nicht so ausgedruckt hatte.

Hier war ein Ort, an dem Energierationierung, obwohl mathematisch gerechtfertigt, keine Rolle im taglichen Leben spielte. Die Bevolkerung war, wie Marie gesagt hatte, ahnlich einer Gruppe franzosischer Aristokraten in einer Welt der Jakobiner.

Die allgemeine Moral verlangte eine strenge Einhaltung der Energierationierung, eine Haltung, die diesen Menschen fremd war, ja die sie vermutlich gar nicht begreifen wurden.

Wenn hier nun zu viele Besucher aus der Oberflachenwelt kamen und sich die Kunde von den hiesigen Lebensgewohnheiten verbreitete, wurde es Schwierigkeiten geben. Auch wenn die ganze Wahrheit bekannt wurde, was unwahrscheinlich war, wurden viele Bewohner der Oberflachenwelt nach unten auswandern wollen oder fur den Bau von weiteren Vulkan-Energie-Anlagen eintreten, damit endlich alle mehr bekamen. Das alte „Warumhatermehralsich“-Gefuhl wurde die Menschen nach dem modernen Aquivalent des Steins der Weisen rufen lassen, um ein Bild aus jenen Tagen zu gebrauchen, als Reichtum an Metall und nicht an Energie gemessen wurde.

Der Durchschnittsburger wurde imstande sein einzusehen, warum die Behorde das nicht tun konnte — namlich mehr Kraftwerke zur Ausnutzung der gewaltigen Hitze im Erdinneren zu bauen. Ich mochte hier nicht als Zyniker auftreten, doch wei? ich, da? die Behorde eines niemals tun wurde: Sie wurde nie zulassen, da? die Energiebewirtschaftung abgeschafft wird.

Zynismus beiseite — sie hat recht damit. Die vor Jahrzehnten getroffene Entscheidung, da? Wasserstoff- Fusion die einzige echte Hoffnung der Menschheit darstelle, war mit Sicherheit richtig und vernunftig. Wir wissen inzwischen, da? die Losung dieses Problems nicht allein von der technischen Bewaltigung der Einzelheiten abhangt, wie man zunachst glaubte. Zu viele der beteiligten Faktoren sind von Natur aus von gro?ter Instabilitat, sofern ihnen nicht mindestens die Masse eines kleinen Sterns Einhalt gebietet. Da? wir samtliche Probleme losen werden, ist eine Sache des Glaubens. Wenn es uns glucken soll, mussen wir jegliche Anstrengung auf uns nehmen — und

Вы читаете Unternehmen Tiefsee
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×