doch meinte die Priesterin, seinen Worten eine gewisse Erleichterung daruber herauszuhoren, da? sie sich nicht in der Lage fuhlte, das Haus zu verlassen. So verabschiedete er sich schlie?lich und lie? Samu auf ihrem Krankenlager zuruck. 

In der Nacht hatte die Priesterin keinen Schlaf mehr finden konnen. Ihre Angst hatte sich als starker erwiesen als die Kraft des Schlafmittels, das man ihr verabreicht hatte. Kurz vor Morgengrauen hatte sie gehort, wie man von au?en leise die Keile entfernte, mit denen ihre Tur verriegelt worden war.

Auch vernahm Samu die leisen Schritte der Sklavinnen, als diese in das Gemach vor ihrem Zimmer zuruckkehrten. Den Frauen rechnete sie ihren Verrat nicht an. Sie hatten keine Wahl. Als Eigentum Elagabals waren sie dem Willen des Handelsherren ausgeliefert, auch wenn er sie formal Samu zum Geschenk gemacht hatte.

Vertrauen wurde die Priesterin ihnen allerdings nicht mehr.

Den ganzen Tag uber erhob sie sich kaum von ihrer Kline, scheuchte die Sklavinnen hin und her und versuchte, ein wenig des verlorenen Nachtschlafs nachzuholen.

Am spaten Nachmittag schlie?lich schickte sie die Frauen in die Kuche, um dort bei der Vorbereitung des Abendmahls zu helfen. So hatte Samu Zeit, sich fur ihre Flucht bereit zu machen. Das dunne Priesterinnengewand und ihren Schmuck wurde sie zurucklassen mussen. Es galt, so wenig Aufsehen wie moglich zu erregen. Wenn die Kleider und der Schmuck noch auf ihrem Zimmer waren, dann mochte sie vielleicht ein oder zwei Stunden gewinnen, in denen Elagabal daruber im Zweifel war, ob sie lediglich einen Spaziergang in die Stadt machte oder aber versuchte, ihm zu entkommen.

Samu legte einen schlicht verarbeiteten, beigefarbenen Chitonion an und drapierte daruber ein dunkelbraunes Himation. Ihre Haare lie? sie glatt uber die Schultern fallen, und auch auf Schminke verzichtete die Priesterin ganz. So wurde sie unter den Syrerinnen auf dem Markt und in der Stadt nicht sonderlich auffallen. Unter ihren Gewandern, direkt auf dem Leib, trug sie einen dunnen Ledergurtel, in den sie funf Goldstucke eingenaht hatte. Au?erhalb der Stadt wollte Samu sich zu den Truppen des Marcus Antonius oder aber zu Aulus Gabinius durchschlagen. Die Romer mu?ten wissen, was hier in Tyros geschah! Doch als Frau mochte diese Reise gefahrlich werden. Allein, ohne mannlichen Schutz, wurde sie vermutlich einige Aufmerksamkeit erregen. Wahrscheinlich wurde man sie fur eine Hetaire halten und sie auch so behandeln, doch es konnte auch noch Schlimmeres geschehen. Unter dem Himation verborgen trug sie einen kleinen Dolch, doch machte sie sich keine Illusionen. Die zierliche Waffe wurde in den meisten Fallen nicht ausreichen, um sich gegen Zudringlichkeiten zu erwehren.

So verlie? Samu das Haus des Elagabal. Dem Torsklaven erklarte sie, sie wolle noch auf den Markt, um fur das Nachtmahl einzukaufen. Doch statt in Richtung des Hafens zu gehen, schlug sie einen Weg ein, der sie zu dem Stadttor brachte, das sich am Damm befand. Dort streifte sie ziellos durch die Gassen, betrachtete die Auslagen der kleinen Laden und a? in einer kleinen Taberna einen gegrillten Fisch. Erst als das Horusauge im Westen im Meer versunken war und die Stadt in graues Zwielicht getaucht wurde, wagte sie es, sich auf den Weg zum Hafen zu machen. Samu hatte sich geschworen, Tyros nicht ohne einen Beweis fur die Verbrechen Elagabals zu verlassen. Sie erinnerte sich noch genau an das Abendessen an jenem Tag, an dem sie sich zum ersten Mal getroffen hatten, und daran, wie der Kaufmann damals erzahlte, sein Kapitan Oiagros sei erst vor wenigen Tagen aus Ephesos zuruckgekehrt. Seitdem hatte sie von keinem anderen tyrenischen Schiff gehort, das in der fraglichen Zeit nach Ephesos gesegelt war. Auch die Andeutungen, die Elagabal uber Berenike gemacht hatte, sprachen dafur, da? er eher die tyrannische Prinzessin unterstutzte als den rechtma?igen Pharao. Er hatte ein Interesse daran, da? Ptolemaios nicht mehr nach Agypten zuruckkehrte. Alles, was sie jetzt noch brauchte, war ein schriftlicher Beweis. Damit konnte sie Elagabal den Romern ausliefern. Samu war sicher, da? sie diesen Beweis im Hafenkontor des Kaufmanns finden wurde. Dort wurde ein Tontafelarchiv gefuhrt, in dem alle Schiffs- und Warenbewegungen registriert wurden. Jetzt, nach Einbruch der Dammerung, wurde dort mit Sicherheit niemand mehr anzutreffen sein, und sie konnte ungestort die Aufzeichnungen durchgehen.

Mit klopfendem Herzen durchquerte Samu das Hafenviertel mit seinen verrufenen Schenken. Unter dem Himation verborgen hielt sie den Dolch in der Hand, bereit, sich nicht nur mit Worten zur Wehr zu setzen. Doch abgesehen von einer Begegnung mit einer Gruppe von betrunkenen Seeleuten, die sie wohl mit einer Hetaire verwechselten und mit allerlei unflatigen Kosenamen bedachten, kam es zu keinem nennenswerten Zwischenfall.

Als sie schlie?lich bei den Lagerhausern Elagabals im Hafen anlangte, fand sie die gro?en holzernen Pforten, die auf die Anlegestellen hinauswiesen, allesamt verriegelt. Keines der Tore hatte sich ohne weiteres offnen lassen. Enttauscht umrundete Samu die Lagerhallen, doch auch alle anderen Tore und Turen waren sorgfaltig verschlossen. Sie wu?te genau, da? auf der Ruckseite des gro?ten der Lagerhauser in einem Anbau das Archiv lag, doch so, wie die Dinge standen, mu?te sie die Hoffnung wohl begraben, an eine der verraterischen Tontafeln zu gelangen.

Resignierend lief sie noch einmal um die gro?te Lagerhalle herum. Es war jenes Gebaude, vor dem sich am vorangegangenen Tag der Unfall ereignet hatte. Die Dachluke im Giebel, durch welche die gro?e Amphore herabsturzte, war auch jetzt unverschlossen. Dunkel klaffte sie dort oben im hellen Sandstein, so wie der Eingang zu einer Schatzhohle. Samu fluchte leise. Jetzt konnte sie Philippos gebrauchen. Der Grieche wurde sich vielleicht darauf verstehen, mit Hilfe eines Seils nach dort oben zu gelangen. Sie jedoch wu?te nicht, was sie machen sollte.

Der schwere Marschtritt einer romischen Streife lie? Samu Zuflucht in einer finsteren Gasse zwischen zwei der machtigen Lagerhauser suchen. Einige Herzschlage lang uberlegte sie, ob sie den Decurion, der die Patrouille befehligte, ansprechen solle. Wenn der Mann ihr glaubte und sie mit zum Stadtkommandanten nahm, dann wurde sie die Intrige Elagabals vielleicht noch rechtzeitig aufdecken konnen. Doch wie gut standen schon die Aussichten, da? man ihr glaubte? Sie hatte keine Beweise, und, was noch schlimmer war, sie war nur eine Frau. Vermutlich wurde nicht einmal der Decurion auf sie horen, und bis zum Stadtkommandanten wurde man sie erst gar nicht vorlassen. Nein, sie mu?te zu Marcus Antonius oder Aulus Gabinius. Die beiden Manner kannten sie. Sie wurden sie nicht nur empfangen, nein, sie wurden ihren Rat auch ernst nehmen!

Die Schritte der Soldaten verhallten in der Finsternis. Samu wollte gerade die Gasse verlassen, als sie mit dem Fu? gegen etwas Langliches stie?, das auf dem Boden lag. Vorsichtig tastete sie in die Finsternis und stie? dann, als sie erkannte, was sie gefunden hatte, einen halberstickten Freudenschrei aus. Die Lastentrager hatten hier die Leiter abgelegt, die sie benutzt hatten, um die Amphoren in das oberste Gescho? des Lagers hinauf zu bringen. Isis allein mochte wissen, warum die Leiter nicht im Schuppen verschlossen worden war. War es vielleicht die Gottin selbst gewesen, die das Schicksal so gefugt hatte, da? sie doch noch einen Weg in das Lagerhaus finden wurde? uberlegte Samu. Mit einem inbrunstigen Gebet dankte sie der Zauberreichen fur das Geschenk. Dann schaffte sie die Leiter aus der Gasse und blickte sich im Hafen um. Im Augenblick war niemand zu sehen. Also riskierte sie es, die lange Leiter vor dem Einstieg zum Giebel anzulehnen. Auch Horus schien ihr gnadig gesonnen zu sein. Er hatte sein silbernes Auge hinter Wolken verborgen, so da? man in der Finsternis kaum zehn Schritt weit sehen konnte. Nur das Feuer auf dem Leuchtturm machte ihr Sorgen. Seine Flammen warfen tanzende Schatten auf den Hafen.

Mit klopfendem Herzen erklomm Samu die Sprossen der Leiter. Oben angekommen, blickte sie noch einmal zum Himmel.

Es herrschte ein starker Wind, und die Wolken zogen schnell weiter. Womoglich wurden schon in wenigen Augenblicken die Schleier vor dem Horusauge zerrei?en, so da? man schon von weitem die Leiter sehen konnte, die an der Vorderfront des Lagerhauses lehnte. Sie mu?te verschwinden! Wenn Samu sie einfach umstie? und sich keine Moglichkeit fand, die Tore des Lagers von innen zu offnen, dann ware sie gefangen. Sie konnte es sich nicht leisten, auf die Leiter zu verzichten! Es blieb ihr keine andere Wahl, als sie hinaufzuziehen. Wieder fluchte sie leise vor sich hin und wunschte sich Philippos an ihrer Seite. Seit ihrer Begegnung im Hafen hatte sie den Griechen nicht mehr gesehen und hatte es auch nicht gewagt, nach ihm zu fragen, um seine Sicherheit nicht zu gefahrden. Wahrscheinlich lag er wieder in den Armen einer Frau! Bevor sie die Stadt verlie?, sollte sie bei Simon eine Nachricht fur den Arzt hinterlassen. Dem Griechen wurde der romische Stadtkommandant eher glauben als ihr.

Als Samu es geschafft hatte, die Leiter durch das Giebelfenster zu ziehen, lie? sie sich erschopft auf den

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