und stellte ihn dicht neben mich. Dann wagte ich zum ersten Mal einen Blick uber die Mauer. Es war nun schon ziemlich hell, und das erste, was ich erkennen konnte, war der wei?e Esel, der sich genau auf der gegenuberliegenden Seite befand. Unmittelbar neben ihm erkannte ich das blasse Gesicht der kleinen Flossie, die genau da sa?, wie der Spaher es beschrieben hatte; namlich etwa zehn Schritt von der Mauer entfernt. Sie war umringt von schlafenden Masaikriegern. Uber den ganzen Kraal verstreut befanden sich die Uberreste von Lagerfeuern. Um jede dieser Feuerstellen herumgruppiert lagen je ungefahr funfundzwanzig Masai und schliefen. Die meisten von ihnen hatten sich furchterlich den Bauch mit Rinderfleisch vollgeschlagen. Bisweilen reckte sich da und dort einer der Krieger, setzte sich auf, gahnte, blickte zum ostlichen Horizont, der inzwischen bereits eine bla?gelbe Farbung angenommen hatte, und legte sich wieder hin. Ich beschlo?, noch funf Minuten zu warten; und zwar aus zwei Grunden: zum einen wurde es bis dahin so hell geworden sein, da? man exakt zielen konnte; zum zweiten, um Good und seiner Gruppe - von der ich nichts horen oder sehen konnte - genug Zeit zu lassen, bis sie losschlagen konnten.
Die stille Dammerung begann, ihren immer gro?er werdenden Mantel uber Feld und Wald zu legen -schon schaute der machtige Mount Kenia aus seiner Hulle ewigen Schnees uber das Land -, bis mit einem Male ein Strahl der noch nicht aufgegangenen Sonne seinen in den Himmel ragenden Gipfel traf und ihn in blutiges, purpurnes Rot tauchte; der Himmel uber uns wurde allmahlich blau; sanft wie das Lacheln einer Mutter schaute er auf uns herab. Ein Vogel stimmte sein Morgenlied an, und eine leichte Brise wehte durch das Buschwerk, um mit Millionen herabfallender Tautropfen die erwachende Welt zu erquicken. Uberall war Friede, kundigte die Natur das Erwachen ihrer gewaltigen Kraft an, uberall erhob sich das Gluck des heranbrechenden Tages. Uberall -nur nicht in den Herzen grausamer Menschen!
Plotzlich - ich wartete gespannt auf das Signal zum Angriff und hatte mir schon meinen Mann herausgesucht, auf den ich zuerst das Feuer eroffnen wollte -ein gro?er Bursche, der nur drei Fu? neben der kleinen Flossie ausgestreckt auf der Erde lag - begannen Alphonses Zahne wieder zu klappern wie die Hufe einer galoppierenden Giraffe. Es machte in der Stille einen entsetzlichen Larm. Er hatte vor lauter Angst den oligen Lappen aus dem Mund fallen lassen. Sofort wachte ein Masai, der nur drei Schritte von uns entfernt lag, auf, rakelte sich hoch und schaute mit verschlafenem Blick um sich, um nach der Ursache des Gerausches zu suchen. Au?er mir vor Wut, hieb ich dem Franzosen den Kolben meines Gewehrs in die Magengrube. Das hatte zwar zur Folge, da? das Geklappere mit einem Schlag aufhorte; aber als er sich vor Schmerz krummte, brachte er es zu allem Uberflu? auch noch fertig, sein Gewehr so fallen zu lassen, da? sich ein Schu? loste. Die Kugel pfiff nur knapp einen Zoll an meinem Ohr vorbei.
Nun bedurfte es keines Signals mehr. Von beiden Seiten des Kraals donnerte eine wogende Feuerlinie los. Ich selbst hielt genau auf meinen Masai, der direkt neben Flossie lag, und erwischte ihn gerade in dem Augenblick, als er aufspringen wollte. Im selben Moment ertonte vom anderen Ende des Kraals her ein markerschutternder Schrei, in dem ich zu meiner Freude Goods Stimme wiedererkannte, die laut gellend den Kampfeslarm ubertonte. Und dann spielte sich eine Szene ab, wie ich sie nie zuvor gesehen hatte und auch wohl nie wieder sehen werde und sehen mochte. Unter panischen Entsetzensschreien sprangen die Masaikrieger auf die Fu?e. Es war ein einziges Knauel wirbelnder, sehniger Gliedma?en, aus dem sich einer nach dem anderen loste. Viele von ihnen sturzten, getroffen vom Kugelhagel unseres wohlgezielten Feuers, sofort wieder zu Boden, noch bevor sie auch nur einen Schritt tun konnten. Einen Moment lang standen sie unschlussig da. Aber als sie die Schreie und Fluche horten, die unablassig vom anderen Ende des Kraals heruberschallten, sturzten sie vollig verwirrt und von dem Kugelhagel, der einen nach dem anderen von ihnen zu Boden ri?, in wilde Panik versetzt, wie aus einem Impuls auf den dornenbewehrten Eingang zu. Wahrend sie liefen, feuerten wir, was die Gewehre hergaben, in den immer dichter werdenden Pulk und rissen tiefe Lucken in die Reihen der Masai. Wir schossen so schnell wir nachladen konnten. Ich hatte die zehn Schusse meines Repetiergewehrs abgefeuert und begann gerade mit dem Nachladen, als mir der Gedanke an Flossie durch den Kopf scho?. Ich blickte auf und sah den wei?en Esel mit zuckenden Gliedma?en am Boden liegen. Entweder hatte eine unserer Kugeln ihn getroffen oder der Speer eines Masaikriegers. Es war kein lebendiger Masai in der Nahe. Das schwarze Kindermadchen kniete vor Flossie auf der Erde und zerschnitt ihr mit einem Speer die Fu?fesseln. In der nachsten Sekunde schon rannte das Kindermadchen auf die Mauer des Kraals zu und schickte sich an, die-se zu uberklettern. Das kleine Madchen wollte seinem Beispiel folgen. Aber offensichtlich waren Flossies Beine durch die Fesseln steif geworden und eingeschlafen. Sie konnte nur sehr langsam auf die Mauer zuhinken. Plotzlich wurden zwei Masai, die auf den Vordereingang zurannten, ihrer gewahr und sturzten auf das kleine Madchen los, um es zu toten. Der erste der beiden Burschen erreichte das Madchen in dem Moment, als es nach einem verzweifelten Versuch, die Mauer zu erklimmen, wieder herunterfiel und auf dem Boden landete. Ich sah, wie der Masai seinen gro?en Speer hob, und noch wahrend er ausholte, fuhr ihm die Kugel aus meinem Gewehr zwischen die Rippen, und er kippte vornuber.
Aber hinter ihm kam der andere Mann, und ich bemerkte zu meinem Entsetzen, da? ich keine Patrone mehr im Magazin hatte! Flossie hatte sich inzwischen hochgerappelt und sah nun den zweiten Mann mit hoch erhobenem Speer auf sich zueilen. Ich wandte mein Gesicht ab und wurde von einem Gefuhl ohnmachtiger Wut ergriffen. Mir war zum Sterben elend. Ich wollte nicht zuschauen, wie der Masai das arme kleine Madchen abschlachtete. Doch unwillkurlich blickte ich noch einmal auf, und da sah ich zu meinem gro?en Erstaunen, da? der Speer des Masai am Boden lag. Der Mann selbst wankte hin und her und hielt sich mit beiden Handen den Kopf. Im selben Moment sah ich ein Rauchwolkchen, das offenbar aus Flossies Richtung kam, und der Mann schlug der Lange nach auf den Boden. Mir fiel der Derringer ein, den sie immer bei sich trug! Sie hatte beide Kugeln der kleinen Pistole auf den Masai abgefeuert! Das hatte ihr das Leben gerettet. Dann lief sie wieder zu der Mauer, und mit einer erneuten Anstrengung gelang es ihr, mit Hilfe des Kindermadchens, das auf der Mauerkrone lag und ihr die Hande reichte, uber die Mauer zu klettern und sich vorerst einmal in Sicherheit zu bringen.
Es dauert eine Weile, dies alles zu erzahlen, aber ich glaube, da? es in Wirklichkeit nur eine Sache von vielleicht funfzehn Sekunden war. Bald hatte ich das Magazin meiner Winchester wieder mit Patronen gefullt und eroffnete erneut das Feuer. Doch diesmal nicht auf die brodelnde schwarze Masse, die sich am Vordereingang des Kraals drangte, sondern auf einzeln herumirrende Masai, die uber die Mauer entkommen wollten. Ich erscho? mehrere von ihnen, wahrend ich langsam an der Mauer entlang zum vorderen Ende des Kraals hinuberging. Ich wollte sehen, wie der Kampf dort stand, und den funfen mit meinem Gewehr zur Seite stehen. Bald hatte ich die Ecke, oder besser gesagt, die spitze Rundung des Ovals, erreicht. Vor meinen Augen spielte sich eine unbeschreibliche Szene ab.
Ungefahr zweihundert Masai - etwa funfzig hatten wir bis zu dem Zeitpunkt schon getotet - drangten sich inzwischen vor dem dornenbewehrten Eingang zusammen, getrieben von unseren Schussen und von den Speeren von Goods Mannern, die sie offensichtlich fur eine gewaltige Streitmacht zu halten schienen. In ihrer Verwirrung war ihnen gar nicht aufgefallen, da? es sich blo? um eine zehn Mann starke Gruppe handelte. Aus unerfindlichen Grunden war keiner von ihnen auf die Idee gekommen, einen Ausbruch uber die Mauer zu versuchen, was ein verhaltnisma?ig leichtes Unterfangen gewesen ware. Statt dessen drangelten sie sich alle in einem dichten Klumpen vor dem Zaun aus Dornengestrupp, der sich in der Tat als eine nur schwer zu uberwindende Barriere erwies. Der erste versuchte, mit einem Riesensprung hinuberzusetzen, aber noch bevor seine Fu?e auf der anderen Seite den Boden beruhrten, sah ich Sir Henrys Axt emporschwingen und mit furchterlicher Wucht auf seinen federgeschmuckten Kopf niederfallen. Der Masai sank mitten in das Dornengestrupp. Mit wutendem Geheul drangten die hinteren nach. Sie versuchten verzweifelt, mit einem Ruck durchzubrechen. Aber jedesmal, wenn einer die Barriere uberwunden hatte, erhob sich Sir Henrys riesige Axt, und Inkosi-kaas zuckte wie ein Blitz herab, und ein Masai nach dem anderen sank todlich verwundet in die Dornen-busche. Bald hatte sich eine zusatzliche Barriere aus toten Leibern gebildet, die es den nachruckenden Kriegern immer schwerer machte, ins Freie zu gelangen. Gelang es einmal einem, heil an den beiden Axten vorbeizukommen, dann wurde er unweigerlich ein Opfer des Askari und der beiden Kaffern von der Missionsstation. Wer auch diesen unversehrt entkam, den nahmen Mackenzie und ich unter Feuer.
Das Kampfgeschehen wurde immer heftiger und wutender. Jetzt sprangen einzelne Masaikrieger auf den Berg von toten Leibern und griffen von dort aus mit ihren langen Speeren die Axtkampfer an. Doch dank der Panzerhemden war das Resultat jedesmal dasselbe. Sofort sauste mit machtigem Schwung die Axt herab, und wieder sank ein Masai todlich getroffen zu Boden. Das hei?t, sofern er es mit Sir Henry zu tun hatte. Wenn einer mit Umslopogaas kampfte, war das Ergebnis zwar dasselbe; es kam jedoch auf andere Weise zustande. Nur selten gebrauchte der Zulu den wuchtigen, mit beiden Handen ausgefuhrten Hieb, bei dem die Schneide der Axt krachend in den Schadel des Kontrahenten fuhr. Im Gegenteil; er tat kaum mehr, als unaufhorlich auf den Kopf seines Gegners zu klopfen, wobei er mit dem Dorn der Axt pickte wie ein Specht auf verrottetes Holz. Der letzte,