Dann traten wir ins Haus, legten unsere Kleider ab und verarzteten unsere Wunden. Ich bin froh, sagen zu konnen, da? ich selbst keine hatte. Und die von Sir Henry und Good waren dank der nicht in Gold aufzuwiegenden Kettenhemden vergleichsweise harmlos; mit ein paar Stichen und ein wenig Heftplaster hatten wir sie schnell versorgt. Mackenzies Verletzung war hingegen recht schwerwiegend; wir konnten von Gluck reden, da? der Speer keine gro?ere Arterie durchschlagen hatte. Danach nahmen wir ein Bad. Ich kann gar nicht beschreiben, was fur ein herrliches Vergnugen das bereitete! Nachdem wir uns wieder in normale Kleider gehullt hatten, gingen wir ins E?zimmer, wo wie gewohnlich schon der gedeckte Fruhstuckstisch auf uns wartete. Es war ein seltsames Gefuhl, sich dort hinzusetzen und wie ein zivilisierter Mensch des neunzehnten Jahrhunderts Tee zu trinken und Toast zu essen, so als hatten wir nicht die fruhen Stunden des Tages mit einer regelrecht primitiven, mittelalterlich anmutenden Schlacht verbracht. Wie Good sagte; die ganze Sache erschien einem jetzt eher wie ein boser Alptraum vor dem Wecken, als ein Ereignis, das wirklich stattgefunden hatte. Wir hatten das Fruhstuck fast beendet, als die Tur aufging und die kleine Flossie hereintrat. Sie war noch ziemlich bla? und ein wenig wacklig auf den Beinen, aber ansonsten vollig unversehrt. Sie gab uns allen einen Ku? und bedankte sich. Ich begluckwunschte sie zu der Geistesgegenwart, die sie bewiesen hatte, als sie den Masaikrieger mit ihrer Derrin- gerpistole erscho? und dadurch ihr Leben rettete.

»Oh, bitte, sprechen Sie nicht davon!« sagte sie und fing sofort an zu weinen. »Ich werde nie sein Gesicht vergessen, als er sich vor mir im Kreis drehte und hinfiel - nie! Ich werde es immer genau vor mir sehen.«

Ich sagte ihr, so solle zu Bett gehen und ein bi?chen schlafen. Sie gehorchte, und als sie am Abend aufwachte, war sie wieder einigerma?en hergestellt, zumindest physisch. Es mutete mir irgendwie seltsam an, da? ein Madchen, das die Nerven besa?, einen riesigen schwarzen Burschen, der mit einem Speer auf sie losging zu erschie?en, hinterher von dem Gedanken daran derma?en aufgewuhlt werden konnte. Aber das ist wohl charakteristisch fur das weibliche Geschlecht. Arme Flossie! Ich furchte, da? sie noch viele Jahre dazu brauchen wird, jene Ereignisse in dem Masailager zu verarbeiten. Spater sagte sie mir, das Schlimmste sei die Ungewi?heit gewesen; Stunde um Stunde wahrend jener endlos lang erscheinenden Nacht dort zu sitzen und nicht zu wissen, ob man nun einen Versuch wagen wurde, sie zu befreien, oder nicht. Und eigentlich habe sie auch gar nicht mehr damit gerechnet, wohl wissend, wie wenige wir waren und wie viele die Masai - die au?erdem alle paar Minuten zu ihr kamen und sie anstarrten. Die meisten von ihnen hatten noch nie in ihrem Leben eine Wei?e gesehen, und sie fingerten pausenlos mit ihren dreckigen Pfoten an ihren Armen und Haaren herum. Auch sagte sie mir, sie sei fest entschlossen gewesen, sich zu erschie?en, sobald die ersten Strahlen der Morgensonne den Kraal erreichten und bis dahin noch keine Hilfe eingetroffen war. Das Kindermadchen hatte namlich den Lygonani sagen horen, da? man sie zu Tode foltern wollte, sobald die Sonne aufging, wenn nicht bis dahin an ihre Stelle einer der wei?en Manner getreten ware. Es war ein schrecklicher Entschlu? gewesen, aber sie hatte die feste Absicht gehabt, ihn auch in die Tat umzusetzen, und ich zweifle keinen Moment daran, da? sie es auch getan hatte. Obwohl sie in einem Alter war, in dem in England die Madchen noch die Schulbank drucken und brav zum Mittagessen erscheinen, hatte dieses >Kind der Wildnis< mehr Courage, Besonnenheit und Geistesgegenwart als manch eine Frau reiferen Alters, die in Bequemlichkeit und Luxus aufgewachsen ist; deren Geist sorgfaltig gedrillt und geschliffen wurde, fernab jeglicher Originalitat und geistiger Wendigkeit, mit der die Natur sie vielleicht ausgestattet hatte.

Nach dem Fruhstuck begaben wir uns alle ins Bett und schliefen fest bis zum Dinner. Danach machten wir uns zusammen mit allen verfugbaren Kraften -Mannern, Frauen, Knaben und Madchen - erneut auf den Weg zu dem Orte unserer morgendlichen Schlacht, mit der Absicht, unsere Toten zu begraben; die Leichen der Masai wollten wir loswerden, indem wir sie in den Tana warfen, der nur etwa funfzig Yards an dem Kraal vorbeiflo?. Als wir die Stelle erreichten, scheuchten wir Tausende von Aasgeiern und ganze Schwarme von braunen Buschadlern auf, die sich aus allen Himmelsrichtungen zum Festmahl eingestellt hatten. Schon oft hatte ich die Gelegenheit, diese riesigen, widerwartigen Vogel zu beobachten, und die Geschwindigkeit, mit der sie am Ort einer Schlacht eintreffen, hatte mich immer in Erstaunen versetz. Kaum hat man einen Bock mit dem Gewehr erlegt, da taucht schon, oft innerhalb von nur einer Minute, ein dunkler Fleck hoch oben im blauen Ather auf, der sich rasch als Geier entpuppt. Und schon kommt der nachste, und blitzschnell ist ein ganzer Schwarm von ihnen da. Ich habe viele Theorien uber die wundersame Wahrnehmungsfahigkeit gehort, die die Natur diesen Vogeln mitgegeben hat. Meine eigene Theorie, die sich zum gro?ten Teil auf Beobachtungen grundet, ist folgende: Die Geier, die meiner Ansicht nach mit einer Wahrnehmungsfahigkeit ausgestattet sind, wie sie vom Menschen selbst mit dem scharfsten Fernglas nicht erreicht werden kann, teilen untereinander den Himmel in verschiedene, etwa gleich gro?e Abschnitte auf. Dann schweben sie in riesigen Hohen uber der Erde - wahrscheinlich zwischen zwei und drei Meilen hoch -, und jeder von ihnen halt sorgsam uber ein gewaltiges Gebiet hinweg standig Ausschau. Sobald nun einer von ihnen irgendwo Nahrung sieht, la?t er sich sofort an der betreffenden Stelle herabsinken. Daraufhin folgt sein nachster Nachbar, der vielleicht in einem Abstand von ein paar Meilen gemachlich durch die luftigen Hohen segelt, seinem Beispiel, da er nun wei?, da? Nahrung gesichtet worden ist. Und schon schie?t er herab, und all die anderen Geier in seiner Sichtweite folgen ihm, und desgleichen tun wiederum die, welche die letzteren hinabschie?en sehen. Auf diese Weise konnen alle Geier in einem Umkreis von zwanzig Meilen in Minutenschnelle zum Festmahl zusammengerufen werden.

Wir begruben unsere Toten in feierlicher Stille. In Abwesenheit von Mr. Mackenzie, der ans Bett gefesselt war, wurde Good dazu ausersehen, den Totengottesdienst fur sie zu lesen, da er nach der Meinung aller die beste und eindrucksvollste Stimme besa?. Die Andacht war in hochstem Ma?e melancholisch, aber, wie Good sagte, es hatte schlimmer kommen konnen; denn nur zu leicht hatten wir >uns selbst zu Grabe tragen< konnen. Ich wies darauf hin, da? dies ein furwahr schwieriges Kunststuck gewesen ware, aber ich wu?te naturlich, was er damit sagen wollte.

Als nachstes luden wir die Leichen der Masai auf einen Ochsenkarren, den wir eigens zu diesem Zweck von der Missionsstation mitgebracht hatten, nicht ohne jedoch zuvor die Speere, Schilde und die anderen herumliegenden Waffen eingesammelt zu haben. Funfmal mu?ten wir den Karren, auf dem jeweils funfzig Masai Platz fanden, beladen, zum Flu? ziehen und dort ausleeren. Hieraus kann man ersehen, da? nur wenige Masai geflohen sein konnten. Die Krokodile mussen sich in jener Nacht meilenweit vollig uberfressen haben. Eine der letzten Leichen, die wir auf den Karren luden, war die des Wachtpostens vom anderen Ende des Kraals. Ich fragte Good, wie er es geschafft hatte, den Mann auszuschalten, und er antwortete mir, er sei ahnlich wie Umslopogaas ganz nahe an den Posten herangeschlichen und habe ihn dann mit dem Schwert niedergestochen. Der Mann habe noch eine ganze Weile ziemlich laut gestohnt, aber zum Gluck hatte niemand ihn gehort. Wie Good glaubhaft versicherte, hatte er bei der Sache ein abscheuliches Gefuhl gehabt, denn noch niemals hatte er jemanden so kaltblutig ermorden mussen.

Mit der letzten Leiche, die von der Stromung des Tana fortgetrieben wurde, war auch dieser Zwischenfall mit unserem Angriff auf das Masailager beendet. Die Speere, Schilde und sonstigen Waffen nahmen wir mit zur Missionsstation, wo sie ein ganzes Lagerhaus fullten. Ein Ereignis jedoch mu? ich unbedingt noch erzahlen. Als wir von dem Leichenbegrabnis wieder zur Missionsstation zuruckkehrten, kamen wir an dem hohlen Baum vorbei, in dem Alphonse sich am Morgen wahrend der Schlacht verkrochen hatte. Zufallig war der kleine Mann gerade in meiner Nahe. Er hatte uns bei unserer hochst unangenehmen Aufgabe mit weit besserem Willen assistiert als dem, den er am Morgen, als es sich noch um hochst lebendige Masai handelte, an den Tag gelegt hatte. In der Tat, fur jede Leiche, die er aufladen half, hatte er eine passende hohnische Bemerkung parat. Der Alphonse, der tote Masai in den Flu? warf, war ein vollig anderer Mensch als der Alphonse, der vor einem lebendigen, speerschwingenden Masai um sein Leben rannte. Er war lustig und guter Dinge, und jedesmal, wenn einer der toten, grimmigen Krieger mit einem lauten >platsch< im Wasser landete, um die Botschaft von Tod und Vernichtung zu seiner Verwandtschaft hundert Meilen flu?abwarts zu tragen, klatschte er in die Hande und trallerte lauthals ein paar Takte. Da ich der Ansicht war, da? er dringend einmal einen Dampfer brauchte, machte ich den anderen den Vorschlag, ein Kriegsgericht uber ihn abzuhalten wegen seines Verhaltens vom Morgen.

Wir brachten ihn also zu dem Baum, in dem er sich versteckt hatte, und schickten uns an, uber ihn zu Gericht zu sitzen. Sir Henry hielt ihm in bestem Franzosisch seine unerhorte Feigheit vor und fuhrte ihm eindringlich sein unverzeihliches Verhalten vor Augen, besonders die Tatsache, da? er den oligen Lappen aus dem Mund hatte fallen lassen, was beinahe zur Folge gehabt hatte, da? er mit seinem Zahneklappern das gesamte Masailager aufgescheucht und damit unsere Plane zum Scheitern gebracht hatte. Er beendete seine Anklage mit der Aufforderung an Alphonse, eine Erklarung abzugeben.

Aber wenn wir geglaubt hatten, Alphonse zerknirscht und vor Scham am Boden zerstort zu sehen, dann hatten wir uns gewaltig geirrt. Er verbeugte sich tief, machte einen Kratzfu? und gab charmant lachelnd zu, da?

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