sein Verhalten auf den ersten Blick wohl merkwurdig erscheinen konne, es in Wirklichkeit jedoch nicht im geringsten so ware. Schlie?lich hatte er nicht vor Angst mit den Zahnen geklappert -oh, lieber Himmel, nein! Doch deswegen nicht! Er wundere sich, wie die >Messieurs< auch nur im entferntesten an so etwas denken konnten - sondern die Kalte der Morgenluft hatte ihn dazu gebracht. Und was den Lumpen anbetrifft, wenn Monsieur selbst seinen gra?lichen Geschmack hatte probieren konnen - der sich in der Tat zusammensetzte aus einer Mischung von muffigem Paraffinol, Fett und Schie?pulver -, so hatte Monsieur ihn selbst auf der Stelle ausgespien. Aber er, Alphonse, hatte das nicht getan! Er hatte fest entschlossen den Lappen im Mund behalten bis - o weh! - sein Magen >revoltiert< und den Lappen in einem Anfall von entsetzlicher Ubelkeit gleichsam hinauskatapultiert habe.
»Und was haben Sie dazu zu sagen, da? Sie sich in dem hohlen Baum versteckten?« fragte Sir Henry, der nur mit Muhe die Fassung bewahren konnte.
»Aber, Monsieur, die Erklarung ist einfach; oh, ganz einfach! Es war so: Isch stand dort 'inter der Kraalmauer, und der kleine graue Monsieur schlug mir in den Magen, so da? mein Gewehr losging; und die Schlacht begann. Isch beobachtete die Schlacht genau, wahrend isch misch von Monsieurs grausamem Schlag erholte. Und dann, Messieurs, begann in meine Adern wieder das 'eroische Blut von meine Gro?vater zu kochen. Der Anblick der Schlacht machte misch verruckt. Isch knirschte mit den Zahnen! Aus meine Augen schossen Blitze! Isch schrie: >En avant!< Es durstete misch nach Blut! Vor meine Augen er'ob sisch die Vision von meine 'eroische Gro?vater! Kurz, isch war rasend! Isch war in der Tat ein schrecklicher Krieger! Aber dann, in meinem 'erzen, da 'orte isch eine leise Stimme. Sie sagte: >Al-phonse, ma?ige disch! Gib dieser bosen Leidenschaft nischt nach! Diese Manner sind Bruder, auch wenn es Schwarze sind! Und du willst sie abschlachten? Grau-samer Alphonse!< Die Stimme 'atte rescht. Isch wu?te es. Isch war kurz davor gewesen, die abscheulichsten Grausamkeiten zu bege'en: zu verwunden! Zu massakrieren! Arme und Beine abzurei?en! Aber wie sollte isch misch ma?igen? Isch blickte misch um; isch sah den Baum; isch erblickte das Loch. >Schlie?e disch ein!< sagte die Stimme, >und 'alte aus! Nur so kannst du die grausame Versuchung widerstehen! Nur dursch brutale Gewalt gegen disch selbst.< Es war bitter, wo doch gerade das 'eroische Blut von meine Gro?vater auf dem Siedepunkt war. Aber dennoch ge'orschte isch! Isch zog meinen unwilligen Leib zu dem Baum; meine Beine wollten mir kaum ge'orchen! Isch schlo? misch ein! Dursch das Loch beobachtete isch die Schlacht! Mit gewaltigen Worten schleuderte isch Fluch um Fluch auf den Feind hinab! Mit Befriedigung sa' isch, wie einer nach dem anderen fiel! Warum nischt? Isch 'atte ihnen ja nischt ihr Leben geraubt! Isch 'atte meine 'ande ja nischt mit ihrem Blut befleckt. Das Blut von meine 'eroische Gro?vater -«
»Ach, hor auf, du kleiner Halunke!« platzte Sir Henry mit schallendem Gelachter heraus und versetzte ihm einen kraftigen Hieb auf die Schulter, der ihn mit klaglichem Gesichtsausdruck auf dem Boden landen lie?.
Am Abend hatte ich eine Unterredung mit Mr. Mackenzie, dem seine Wunden schwer zu schaffen machten. Good, der zwar ein unqualifizierter, aber dennoch geschickter Arzt war, behandelte ihn so gut er konnte. Mackenzie eroffnete mir, dieser Zwischenfall hatte ihn dazu bewogen, die Missionsstation, sobald er wieder gesund sei an einen jungeren Mann zu ubergeben und nach England zuruckzukehren. Der junge Mann sei im ubrigen schon auf dem Weg zur Station, wo er sich erst noch eine Weile unter seiner, Mackenzies, Fuhrung einarbeiten wolle.
»Sehen Sie, Quatermain«, sagte er, »heute morgen, als wir uns an jene unwissenden Wilden heranschlichen, habe ich mich zu diesem Schritt entschlossen. >Wenn wir das hier uberstehen und Flossies Leben retten sollten<, sagte ich mir, >dann werde ich heim nach England gehen. Ich habe genug von den Wil-den.< Nun, zu jenem Zeitpunkt hatte ich nicht im Traum daran gedacht, da? wir heil aus der Sache herauskommen wurden; aber mit Gottes Hilfe und der Hilfe von euch haben wir nun doch uberlebt; und ich habe die Absicht, zu meinem Entschlu? zu stehen, damit uns nicht eines Tages noch etwas Schlimmeres passiert. Noch ein solches Ereignis, das wurde meine arme Frau nicht uberstehen. Und, unter uns gesagt, Quatermain, ich bin recht wohlhabend: Ich besitze heute gut drei?igtausend Pfund, und jeden Penny davon habe ich ehrlich erworben, durch ehrbaren Handel und durch die Zinsen meiner Ersparnisse, die auf der Bank von Sansibar liegen. Ich habe sehr viel sparen konnen, weil mich das Leben hier fast nichts kostet. Und so schwer es mir auch fallen mag, diesen Ort zu verlassen, den ich wie eine Rose in der Wildnis zum Bluhen gebracht habe, und so hart es auch sein mag, diese Menschen, die ich lehrte und heranwachsen sah, allein zu lassen; ich habe die feste Absicht, nach England zuruckzugehen.«
»Ich begluckwunsche Sie zu Ihrem Entschlu?!« antwortete ich. »Und zwar aus zwei Grunden: zum einen, weil ich glaube, da? Sie das Ihrer Frau und Ihrer Tochter schuldig sind, und insbesondere der letz-teren, die eine gute Schulausbildung erhalten und auch unter Madchen ihrer eigenen Rasse kommen sollte. Wenn sie weiter in der Wildnis aufwachst, wird sie sonst noch eines Tages ihren gleichaltrigen Geschlechtsgenossinnen aus dem Wege gehen. Der andere Grund ist der, da?, so wahr ich hier stehe, die Masai fruher oder spater den Versuch unternehmen werden, sich fur die vernichtende Niederlage von heute morgen zu rachen. Zweien oder dreien von ihnen ist es mit Sicherheit gelungen, in dem allgemeinen Wirrwarr unbemerkt zu entkommen, und sie werden ihrem Stamm alles erzahlen, und sicherlich wird man eines Tages eine riesige Expedition gegen Sie aussenden, um Sie zu vernichten. Vielleicht dauert es langer als ein Jahr, bis sie so weit sind, doch fruher oder spater werden sie auf jeden Fall wiederkommen. Schon allein aus diesem Grund wurde ich an Ihrer Stelle gehen. Wenn sie erst einmal in Erfahrung gebracht haben, da? Sie nicht mehr hier sind, lassen sie die Missionsstation vielleicht in Frieden[8].«
»Sie haben vollig recht«, antwortete der Geistliche. »Ich werde diesem Ort in einem Monat den Rucken kehren. Aber es wird weh tun, glauben Sie mir. Es wird sehr weh tun.«
9
Eines Abends sa?en wir alle zusammen beim Essen im Speisezimmer der Missionsstation. Inzwischen war eine Woche verstrichen. Unsere Stimmung war sehr gedruckt, denn am darauffolgenden Morgen wollten wir unseren lieben Freunden, den Mackenzies, Lebewohl sagen und uns auf unsere Reise ins Unbekannte aufmachen. Von den Masai hatten wir nichts mehr gesehen oder gehort, und au?er ein paar Speeren, die wir ubersehen hatten, und die nun langsam im Gras verrosteten und ein paar leeren Patronenhulsen, die noch an der Au?enmauer lagen, da, wo wir gestanden hatten, gab es nichts mehr, aus dem noch hatte hervorgehen konnen, da? der alte Viehkraal am Fu?e des Hugels noch vor kurzem der Schauplatz eines so blutigen Gemetzels gewesen war. Mackenzie erholte sich, hauptsachlich dank der Tatsache, da? er von so gesunder Natur war, sehr rasch von seiner Verwundung. Inzwischen konnte er schon wieder auf Krucken herumlaufen. Von den anderen Verwundeten war einer am Wundbrand gestorben, wahrend der Rest auf dem raschen Wege der Besserung war. Mr. Mackenzies Karawane war inzwischen von der Kuste zuruckgekehrt, und somit war die Missionsstation wieder weitgehend vollzahlig.
Unter diesen Umstanden waren wir zu dem Entschlu? gekommen, so herzlich und drangend man uns auch zum Bleiben einlud, weiterzuziehen; zuerst zum Mount Kenia, und von dort aus weiter ins Un-bekannte, wo wir die geheimnisvolle wei?e Rasse zu entdecken hofften, die es uns so sehr angetan hatte. Dieses Mal wollten wir mit Hilfe des anspruchslosen, aber nichtsdestoweniger au?erst nutzlichen Esels vorwartskommen. Wir hatten uns nicht weniger als ein Dutzend Tiere besorgt, die unser Hab und Gut und, wenn notig, auch uns selbst tragen sollten. Uns waren nur noch zwei Wakwafi als Diener geblieben, und es stellte sich alsbald heraus, da? es so gut wie unmoglich war, weitere Eingeborene zu bekommen, die sich gemeinsam mit uns in das unbekannte Gebiet wagen wurden, das wir erforschen wollten. Wir machten keinem einen Vorwurf daraus. Schlie?lich war es in der Tat, wie Mr. Mackenzie bemerkte, schon mehr als ungewohnlich, da? drei Manner, von denen jeder viele der Dinge besa?, die das Leben lebenswert machen sollen - Gesundheit, gesicherte Existenz, gesellschaftliches Ansehen etc., zu ihrem eigenen Vergnugen in so ein Abenteuer ziehen wollten, von dem sie hochstwahrscheinlich nie wieder zuruckkehren wurden - zumindest war die Chance nicht sehr gro?. Aber so ist der Englander nun einmal - ein Abenteurer bis ins Mark. Und unsere gesamte prachtige Stammrolle von Kolonien, von denen jede einst eine gro?e Nation sein wird, legt Zeugnis ab von dem au?ergewohnlichen Wert des Abenteurergeistes, der auf den ersten Blick manchmal wie eine gelinde Form des Irrsinns erscheint. »Abenteurer« - das ist der, der hinausgeht, um zu meistern, was auch immer ihm begegnet. Nun, das tun wir alle auf der Welt auf diese oder jene Weise, und was