Kenia voruber, den die Masai >Donyo Egere< nennen, was soviel hei?t wie >der gesprenkelte Berg<; und zwar bezeichnen sie ihn so wegen der zahlreichen schwarzen Punkte, die auf seiner machtigen Kuppe erscheinen. Das sind die Stellen, an denen die Abhange so steil sind, da? der Schnee nicht darauf liegenbleibt, so da? der nackte Fels zum Vorschein kommt. Danach zogen wir weiter, vorbei an dem einsam gelegenen Baringosee. Hier trat einer unserer beiden ubriggebliebenen Askari unglucklicherweise auf eine Puffotter und starb kotz all unserer Rettungsversuche an dem Bi? dieser uberaus giftigen Schlange. Von da aus marschierten wir weiter, bis wir nach etwa hundertfunfzig Meilen einen anderen gro?artigen, ebenfalls schneebedeckten Berg erreichten, den Leka-kisera. Soweit ich wei?, waren noch nie Europaer bis hierher gelangt. Es war ein grandioser Berg, doch leider kann ich mich nun nicht mit seiner Beschreibung aufhalten. Vierzehn Tage verweilten wir dort, und dann brachen wir auf in den dichten und unbewohnten Wald des riesigen Gebietes, das Elgumi genannt wird. Allein in diesem Wald gab es mehr Elefanten, als ich jemals zuvor gesehen hatte. Diese riesigen Saugetiere tauchen dort buchstablich in Schwarmen auf, da sie dort vom Menschen vollig in Ruhe gelassen werden; ihrer Vermehrung wird nur Einhalt geboten durch jenes Gesetz der Natur, das dafur sorgt, da? kein Lebewesen die Zahl ubersteigt, die das Gebiet, das es bewohnt, verkraften kann. Ich brauche wohl nicht zu erwahnen, da? wir nur wenige von ih-nen abschossen. Zum einen, weil wir es uns nicht leisten konnten, unsere kostbare Munition zu vergeuden, die ohnehin gefahrlich knapp geworden war (der Esel, den wir mit ihr beladen hatten, war beim Durchwaten eines uberfluteten Flusses von der Stromung fortgerissen worden); zum anderen, weil wir keine Moglichkeit hatten, das Elfenbein fortzuschaffen. Und einfach um des Totens willen zu schie?en lehnten wir selbstverstandlich ab. Also lie?en wir die riesigen Tiere in Frieden; nur zweimal sahen wir uns gezwungen, eines zu erschie?en, weil es uns angriff. In dieser Gegend, in der die nichtsahnenden Elefanten dem Jager auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert sind, kann man sich ihnen auf offenem Felde unbekummert bis auf etwa zwanzig Yards nahern. Dann standen sie da, die gro?en Ohren gespitzt wie ein verwirrter Riesenhund, und starrten auf dieses neue, au?ergewohnliche Phanomen - den Menschen. Gelegentlich, wenn die Musterung nicht zu ihrer Zufriedenheit ausfiel, endete das Anstarren mit einem lauten Trompeten und einem Angriff; dies passierte jedoch nur selten. Und wenn es doch einmal geschah, dann griffen wir zu unseren Gewehren.
Die Elefanten waren indessen nicht die einzigen wilden Tiere, die den riesigen Wald von Elgumi bevolkerten. Da gab es alle Arten von Wild im Uberflu?, nicht zuletzt auch Lowen - zum Teufel mit ihnen! Seit mich einmal einer ins Bein gebissen und mich fur mein ganzes Leben zu einem hinkenden Kruppel gemacht hatte, ha?te ich den Anblick dieses Tieres. Was ebenfalls in riesigen Mengen herumschwirrte, war die verfluchte Tsetsefliege; ihr Stich ist fur Haustiere todlich. Man sagt, da? sich Esel - ebenso wie der Mensch -einer besonderen Immunitat gegenuber ihren Attacken erfreuen; ich kann dazu nichts weiter sagen, als da? unsere - sei es aufgrund ihrer erbarmlichen Allgemeinverfassung, sei es, weil die Tsetsefliege in jener Gegend giftiger als anderswo ist, oder aus welchen Grunden auch immer - unter ihrem Angriff zusammenbrachen. Das geschah glucklicherweise jedoch erst zwei Monate nachdem sie von der Fliege gebissen worden waren; plotzlich - es hatte zwei Tage lang heftig geregnet - starben sie alle gleichzeitig. Ich zog mehreren von ihnen die Haut ab und entdeckte bei allen ubereinstimmend die langen, gelben Streifen auf dem Fleisch, die als charakteristisches Zeichen fur den Tod durch den Bi? der Tsetsefliege genau an der Stelle auftreten, an der das Insekt seinen Russel in die Haut hineinsticht.
Sobald wir den Wald von Elgumi durchquert hatten und wieder in relativ freies Gebiet gekommen waren, schlugen wir, nachdem wir Richtung Norden marschiert waren - gema? den Informationen, die Mr. Mackenzie von dem unglucklichen Wanderer, der sich zu ihm durchschlug, um dann so tragisch zu enden, erhalten hatte -, genau zum rechten Zeitpunkt den Weg zu dem gro?en See ein, den die Eingeborenen Laga nennen. Er sollte - nach dem Bericht des Wanderers - ungefahr funfzig Meilen lang und etwa zwanzig Meilen breit sein. Von dort aus durchquerten wir in einem Marsch, der fast einen Monat in Anspruch nahm, ein gewaltiges, wellenformiges Hochland; es ahnelte ein wenig der Landschaft, die mir von Transvaal her bekannt war; im Gegensatz zu jener war sie jedoch hie und da mit Flecken von Buschland durchsetzt, die die Einode ein wenig auflockerten.
Die ganze Zeit uber befanden wir uns in einem kontinuierlichen Anstieg von etwa hundert Fu? pro zehn Meilen. Das Land machte in der Tat eine Steigung, die in der Ferne in einer Kette schneebedeckter Berge zu enden schien. Diese Bergkette steuerten wir nun an; dort sollten wir auch erfahren, wo der zweite See, von dem der Wanderer als einem >See ohne Grund< gesprochen hatte, gelegen war.
Endlich erreichten wir die Stelle, und als wir uns versichert hatten, da? oben in den Bergen tatsachlich ein See existierte, stiegen wir weiter, bis wir in etwa dreitausend Fu? Hohe an einen steilen Felsabsturz kamen. Etwa funfzehnhundert Fu? unter uns erstreckte sich ein See von ungefahr zwanzig Quadratmeilen Oberflache, der offensichtlich einen erloschenen Krater von riesigen Ausma?en fullte. Da wir am Ufer dieses Sees Dorfer erkennen konnten, wagten wir den gefahrlichen Abstieg, der uns durch Nadelwalder fuhrte, die nun die steilen Innenabhange des Kraters bedeckten. Unten wurden wir freundlich empfangen. Die Bevolkerung, einfache, unkriegerische Leute, die noch nie etwas von Wei?en gehort, geschweige denn gesehen hatten, behandelten uns mit gro?er Ehrfurcht und Zuvorkommenheit und versorgten uns mit soviel Nahrung und Milch, wie wir essen und trinken konnten. Dieser gro?artige, wunderschone See lag nach Auskunft unseres Aneroidbarometers nicht weniger als 11 450 Fu? uber dem Meeresspiegel; das Klima hier oben war ziemlich kuhl, fast so wie in England. Und in der Tat - in den ersten drei Tagen unserer Anwesenheit sahen wir nur wenig oder so gut wie gar nichts von der Landschaft, weil ein dichter, typisch schottischer Nebel alles einhullte. Und hier fiel auch der Regen, der das Gift der Tsetsefliegen in den Korpern unserer restlichen Esel zur Wirkung brachte, worauf sie alle tot umfielen.
Dieses Ungluck brachte uns in eine arge Klemme, hatten wir doch nun keinerlei Transportmittel mehr. Zum Gluck gab es aber auch nicht mehr soviel zu transportieren. Auch unsere Munition war au?erst knapp geworden; wir verfugten lediglich noch uber hundertfunfzig Schu? Gewehrmunition und zirka funfzig Schrotpatronen.
Wir wu?ten nicht, wie wir weiterkommen sollten; es sah in der Tat ganz so aus, als waren wir mit unserem Latein am Ende. Selbst wenn wir den Entschlu? gefa?t hatten, das Ziel unserer Reise aufzugeben (woran, sosehr es auch im Dunkeln lag, keiner von uns auch nur im Traum dachte), so schien es lacherlich, auch nur mit dem Gedanken zu spielen, in unserem gegenwartigen Zustand die Reise von siebenhundert Meilen zuruck zur Kuste zu wagen. Sosehr wir nachdachten; es gab nur eine Entscheidung: erst einmal da zu bleiben, wo wir waren; die Eingeborenen waren uns wohlgesonnen, und zu essen gab es in Hulle und Fulle. Im Augenblick gab es nichts anderes zu tun, als zu warten, der Dinge zu harren, die da kamen, und soviel wie moglich Informationen uber die angrenzenden Gebiete zu sammeln.
Wir kauften also ein gro?es Holzkanu, das Platz genug fur uns alle und unser Gepack bot, von dem Hauptling des Dorfes, in dem wir untergekommen waren (als Zahlungsmittel dienten uns drei leere, kaltgezogene Patronenhulsen aus Messing, uber die er hochst erfreut war), und begaben uns auf eine Rundfahrt am Ufer des Sees entlang, um einen moglichst gunstigen Lagerplatz fur uns zu suchen. Da wir nicht wu?ten, ob wir noch einmal in das Dorf zuruckkehren wurden, packten wir unsere gesamte Habe in das Kanu, dazu einen halben gekochten Wasserbuffel (der, wenn er noch jung ist, eine wahre Kostlichkeit darstellt) und lie?en das Kanu zu Wasser. Mehrere Eingeborene waren schon in leichten Booten vorausgefahren, um den Bewohnern der anderen Dorfer unser Nahen anzukundigen.
Wie wir so gemachlich dahinpaddelten, machte uns Good auf das au?erordentlich tiefe Blau des Wassers aufmerksam und sagte, er habe von den Eingeborenen, die erfahrene Fischer waren - Fisch bildete das Hauptnahrungsmittel der hiesigen Bevolkerung -, gehort, da? der See ungeheuer tief sei und auf dem Grunde ein Loch habe, durch das das Wasser abflie?e und sich weit unten uber ein tosendes Feuer ergie?e.
Ich wies darauf hin, da? das, was er da gehort hatte, sicherlich auf einer uralten Legende beruhte, die man sich seit Generationen unter der Bevolkerung erzahlte. Wahrscheinlich ware diese Legende auf die Zeit zuruckzufuhren, in der noch einer der erloschenen parasitaren Vulkanschlote aktiv war. Wir sahen mehrere von ihnen rund um das Ufer des Sees, von denen ohne Zweifel mindestens einer noch zu einer Zeit aktiv gewesen war, als der Hauptvulkan, der jetzt das Becken des Sees selbst bildete, schon langst erloschen gewesen sein mu?te. Als auch dieser schlie?lich erlosch, waren die Leute wahrscheinlich in dem Glauben gewesen, das Wasser des Sees sei hinuntergeflossen und habe das gro?e Feuer unten geloscht, insbesondere weil der See, obwohl er standig von dem Wasser gespeist wurde, das von den schneebedeckten Gipfeln ringsum herabflo?, keinen sichtbaren Abflu? hatte.
Als wir uns dem anderen Ufer des Sees naherten, stellten wir fest, da? es aus einer riesigen, senkrecht hochragenden Felswand bestand und nicht, wie an den anderen Ufern, aus einem allmahlich ansteigenden Strand. Wir paddelten also parallel zu dieser Wand weiter am Ufer entlang, in einem Abstand von etwa hundert Schritt, und steuerten das Ende des Sees an, wo - wie wir wu?ten - ein Dorf lag.