Nach einer Weile tauchte vor uns im Wasser eine betrachtliche Ansammlung von treibenden Binsen, Unkraut, abgerissenen Baumasten und ahnlichem Zeug auf. Irgendeine Stromung, die Good im hochsten Ma?e erstaunte, und fur die er keine Erklarung fand, mu?te das Zeug hierhergetrieben haben. Wahrend wir noch daran herumratselten, machte uns Sir Henry auf einen Schwarm gro?er wei?er Schwane aufmerksam, die kurz vor uns in der Stromung trieben und nach Nahrung suchten. Ich hatte schon mehrfach Schwane vom Ufer aus uber den See fliegen sehen, und da ich noch nie zuvor welchen in Afrika begegnet war, war ich naturlich au?erst begierig darauf, ein Exemplar davon zu erwischen. Ich hatte die Eingeborenen nach der Herkunft der Tiere gefragt, und dabei hatte ich erfahren, da? sie von jenseits der Berge kamen, und zwar immer zu bestimmten Jahreszeiten und immer morgens in der Fruhe, wenn man sie leicht fangen konnte, weil sie vollig erschopft waren. Als ich sie fragte, aus welchem Lande die Schwane kamen, zuckten sie die Achseln und sagten, oben auf dem gro?en schwarzen Felsen sei steiniges, unbewohnbares Land, und dahinter befanden sich schneebedeckte Gebirge, wo keine Menschenseele wohne, und die von wilden Tieren bevolkert sei, und hinter dem Gebirge sei auf Hunderten von Meilen dichter Dornenwald, der so dick sei da? sogar die Elefanten ihn nicht durchdringen konnten, geschweige denn der Mensch. Auf die Frage, ob sie schon einmal etwas von einem wei?en Volk gehort hatten, das hinter dem Gebirge und dem Dornenwald lebe, antworteten sie mit lautem Gelachter. Aber spater kam dann eine uralte Frau zu mir und sagte, ihr Gro?vater habe ihr, als sie noch ein ganz kleines Madchen gewesen sei erzahlt, sein Gro?vater habe ihm erzahlt, da?, als er klein war, sein Gro?vater die Wuste und das Gebirge durchwandert hatte, durch den dichten Dornenwald hindurchgedrungen ware und ein wei?es Volk gesehen hatte, welches jenseits des Waldes in steinernen Kraalen lebte.
Diese Information, die ihren Ursprung in einem Ereignis hatte, das schon etwa zweihunderfunfzig Jahre zurucklag, war naturlich au?erst vage. Aber immerhin; einen Anhaltspunkt zumindest gab es, und als ich mir das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen lie?, gelangte ich immer mehr zu der Uberzeugung, da? an diesem Gerucht irgend etwas Wahres sein mu?te. Und je mehr ich dessen gewi? wurde, desto fester war ich entschlossen, dieses Geheimnis zu luften. Wenn ich geahnt hatte, auf welch wundersame Weise mein Wunsch bald in Erfullung gehen sollte!
Nun, jedenfalls pirschten wir uns langsam an die Schwane heran, die, wahrend sie fra?en, immer naher an die Felswand herantrieben. Schlie?lich, als wir nur noch vierzig Yards von ihnen entfernt waren, lenkten wir das Kanu hinter einem Haufen Treibgut in Dek-kung. Sir Henry hielt das Schrotgewehr im Anschlag und wartete auf eine gunstige Schu?position. Schlie?lich hatte er gleich zwei auf einmal im Schu?feld; er hielt auf ihre Halse und traf beide mit einem Schu?. Sofort erhob sich der Rest - es waren mehr als drei?ig - unter lautem Geplatsche und Flugelschlagen aus dem Wasser. Sofort schickte Sir Henry die Ladung aus dem zweiten Lauf hinterher. Ein Bursche trudelte mit gebrochenem Flugel herunter, und bei einem anderen sah ich, wie er kurz zusammenzuckte, und wie sich ein paar Ruckenfedern losten und herabsegelten; aber er flog mit kraftigem Flugelschlag weiter. Hoher und hoher stiegen die Schwane, immer im Kreis, bis sie nur noch als Punkte, etwa auf gleicher Hohe mit dem oberen Rand der finsteren Felswand, zu erkennen waren; dann bildeten sie einen Schwarm in Form eines Dreiecks und verschwanden nach Nordwesten, in das unbekannte Gebiet. Mittlerweile hatten wir die beiden toten Schwane aufgelesen - es waren prachtige Tiere; jedes von ihnen wog sicherlich mehr als drei?ig Pfund - und die Verfolgung des dritten, der am Flugel verletzt war, aufgenommen. Er krabbelte uber einen Berg von Treibgut und lie? sich in das freie Wasser dahinter plumpsen. Da es relativ schwierig war, sich mit dem Kanu einen Weg durch das treibende Geast zu bahnen, das uns mittlerweile wie ein Ring umschlo?, befahl ich unserem einzigen ubriggebliebenen Wakwafi, ins Wasser zu springen, unter dem Treibgut hinwegzutauchen und den Schwan zu fangen. Er war, wie sich schon einige Male gezeigt hatte, ein ausgezeichneter Schwimmer, und da sich in dem See keine Krokodile befanden, wu?te ich, da? ihm nichts geschehen konnte. Der Mann, dem die Sache augenscheinlich selbst Spa? zu machen schien, zogerte nicht lange, und bald glitt er mit kraftigen Zugen hinter dem angeschossenen Schwan her. Dabei naherte er sich immer mehr der Felswand, an die nun schon die Wellen schlugen, die er beim Schwimmen verursachte.
Urplotzlich jedoch lie? er von der Verfolgung des Vogels ab und schrie laut zu uns heruber, etwas zoge ihn unwiderstehlich fort. Und tatsachlich - obwohl er versuchte, mit aller Kraft zum Kanu zuruckzuschwimmen, sahen wir, da? er ganz langsam auf die Felswand zutrieb. Mit ein paar verzweifelten Paddelschlagen zwangen wir das Kanu durch den Wall aus Treibgut und ruderten mit aller Kraft auf den Mann zu. Jedoch - so schnell wir auch vorwartskamen - er wurde immer schneller auf die Felswand zugetrieben. Auf einmal sah ich vor uns in der Felswand eine Offnung; sie verlief bogenformig etwa achtzehn Zoll uber dem Wasserspiegel und sah aus wie die obere Rundung eines uberschwemmten Kellergewolbes oder Eisenbahntunnels. Aus der Wasserlinie, die deutlich auf dem Felsen zu erkennen war, und die mehrere Fu? oberhalb der au?ersten Krummung der Offnung verlief, war einwandfrei ersichtlich, da? die Offnung normalerweise unter der Wasseroberflache liegen mu?te; aber es hatte eine lange Trockenheit geherrscht, und bedingt durch die au?ergewohnliche Kalte, war von den Bergen nicht soviel Schmelzwasser wie gewohnlich in den See geflossen, so da? der Wasserstand sehr niedrig; war und die Wolbung an der Oberflache des Sees hervortrat. Diese Offnung saugte nun unseren armen Diener mit beangstigender Geschwindigkeit an. Er war nunmehr hochstens noch zehn Klafter von ihr entfernt; wir etwa zwanzig. Ohne da? wir noch stark zu rudern brauchten, scho? das Kanu nun blitzschnell hinter ihm her.
Er wehrte sich tapfer gegen die Stromung, und ich dachte schon, wir hatten es geschafft, als ich plotzlich einen Ausdruck panischen Entsetzens auf sein Gesicht treten sah. Und vor unseren Augen wurde er in den grausamen, wirbelnden Schlund hinabgezogen und war in Sekundenschnelle verschwunden. Im selben Moment hatte ich das Gefuhl, als hatte eine machtige Faust unser Kanu gepackt; und schon ri? uns eine unwiderstehliche Kraft auf die Wand zu.
Augenblicklich erkannten wir die Gefahr, in der wir schwebten, und ruderten, oder besser gesagt, paddelten, was das Zeug hielt, um wieder aus dem Sog herauszukommen. Vergeblich! Im nachsten Moment flogen wir schon wie ein Pfeil geradewegs auf die Offnung zu, und ich glaubte, nun ware das Ende gekommen. Zum Gluck war ich noch geistesgegenwartig genug, laut zu schreien: »Runter mit euch -runter!« Ich warf mich auf den Boden des Kanus. Die anderen reagierten blitzschnell und folgten meinem Beispiel. Im gleichen Augenblick ertonte ein Knirschen, und das Boot wurde so tief heruntergedruckt, da? Wasser uber den Rand ins Innere schwappte. Nun glaubte ich endgultig, wir seien verloren.
Doch dann horte ganz plotzlich das Knirschen wieder auf, und ich fuhlte, da? das Kanu wieder ungehindert dahinscho?. Ich drehte meinen Kopf ein wenig - ihn zu heben wagte ich nicht - und blickte nach oben. In dem schwachen Licht, das noch immer von der Offnung her zu uns drang, erkannte ich dicht uber unseren Kopfen die Wolbung eines Felsentunnels. Das war alles, was ich sehen konnte. Eine Minute spater konnte ich nicht einmal diese mehr erkennen; denn das schwach hereindringende Licht war inzwischen von volliger Finsternis verschluckt worden.
Eine Stunde - vielleicht langer - hatten wir nun schon auf diese Weise liegend im Boot verbracht. Wir wagten nicht, die Kopfe zu heben, aus Angst, sie wurden gegen die Felsen schmettern. Wir waren kaum in der Lage, uns zu verstandigen, denn das machtige Rauschen des dahinschie?enden Wassers erstickte unsere Stimmen. Uns war uberdies auch nicht sehr nach reden zumute; die Aussichtslosigkeit unserer Lage und die lahmende Angst vor einem raschen Tod zogen uns vollig in den Bann. Wir konnten entweder ganz plotzlich gegen den Rand der Tunnelwolbung geschmettert werden, oder gegen einen Felsen, oder wir konnten hinabgezogen werden in die tosende Flut; vielleicht wurde uns auch allmahlicher Sauerstoffmangel ein qualvolles Ende bereiten. Diese und viele andere Todesarten geisterten durch meine Phantasie, wahrend ich auf dem Boden des Kanus lag und bang dem Brausen des dahinschie?enden Wassers lauschte, das uns mit sich ins Unbekannte fortri?. Es gab nur noch ein einziges anderes Gerausch, das ich vernehmen konnte: das Schreckensgeheul von Alphonse, das aus der Mitte des Kanus zu mir drang; aber selbst das schien unendlich fern und unwirklich. Das Ganze wurde in der Tat langsam zuviel fur mein gemartertes Hirn, und ich glaubte allmahlich, ich ware das Opfer eines qualenden, bosen Alptraums.
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Weiter flogen wir dahin, fortgerissen von der machtigen Stromung, bis ich nach einer Weile bemerkte, da? das Rauschen des Wassers nicht einmal mehr halb so ohrenbetaubend war wie am Anfang; daraus schlo? ich, da?