werden wir noch alle verruckt!« Wir zogerten nicht lange, diesen Rat zu befolgen. Wir schoben das Kanu, um das die Biester nun zu Hunderten herumkrabbelten und vergeblich versuchten, uber den Rand ins Innere zu klettern, von den Steinen, sprangen hinein und dirigierten es in die Mitte des Flusses. Hinter uns lie?en wir die Reste unserer Mahlzeit zuruck und die kreischende, geifernde und stinkende Masse von widerlichen Kreaturen, die nun mit ihren Leibern das ganze Ufer bedeckten.

»Das sind die Teufel dieses schaurigen Ortes«, sagte Umslopogaas mit der Miene dessen, der ein Problem gelost hat. Ich mu? gestehen, ich war geneigt, ihm recht zu geben.

Umslopogaas Bemerkungen waren wie seine Axt -scharf und treffsicher.

»Was tun wir jetzt?« fragte Sir Henry.

»Wir lassen uns treiben, denke ich«, gab ich zur Antwort, und wir lie?en uns also erst einmal wieder treiben. Den ganzen Nachmittag hindurch, bis weit in den Abend hinein, glitten wir so in der Dusternis dahin, hoch uber uns die unendlich ferne Linie blauen Himmels. Wir wu?ten kaum, wann die Nacht angebrochen war, denn unten in dem tiefen Schlund machte sich der Unterschied zwischen Tag und Nacht uberhaupt nicht bemerkbar. Schlie?lich, nachdem eine wahre Unendlichkeit vergangen war, zeigte Good plotzlich mit dem Finger auf einen Stern, der direkt uber uns stand. Da wir ohnehin nichts Besseres zu tun hatten, beobachteten wir ihn mit gro?em Interesse. Mit einem Mal war er verschwunden. Die Dunkelheit wurde vollig undurchdringlich, und ein sattsam bekanntes Rauschen erfullte die Luft. »Wir sind wieder unter der Erde«, sagte ich mit einem Seufzen und hob die Lampe. Ich konnte sogar das Felsdach erkennen. Der Spalt war zu Ende, und der Tunnel hatte wieder begonnen. Und wieder begann eine lange Nacht des Schreckens und der Gefahr. All die schlimmen Ereignisse, die sie mit sich brachte, zu beschreiben ware zu muhsam; so will ich hier nur kurz erwahnen, da? wir etwa gegen Mitternacht auf einen flachen, aus der Flu?mitte herausragenden Felsen aufliefen und beinahe mit dem Kanu umschlugen. Wir waren unweigerlich ertrunken, doch wir retteten uns mit knapper Not und fuhren auf unserem ungleichma?igen, nervenaufreibenden Kurs weiter.

Und so vergingen die Stunden, bis es fast drei Uhr war. Sir Henry, Good und Alphonse waren vollig erschopft eingeschlafen. Umslopogaas kniete wieder im Bug mit der Stange, und ich sa? achtern und hielt das Paddel. Plotzlich kam es mir so vor, als hatte sich unsere Geschwindigkeit erheblich vergro?ert. Im selben Moment horte ich, wie Umslopogaas aufschrie, und eine Sekunde spater kam ein Gerausch, wie wenn Zweige auseinandergeschoben wurden. Es wurde mir bewu?t, da? das Kanu durch herunterhangende Busche oder Ranken trieb. Noch ein paar Sekunden, und dann strich mir eine Brise wurziger, kuhler Luft uber das Gesicht, und ich spurte, da? wir aus dem Tunnel heraus waren und nun auf offenem Fahrwasser dahinglitten. Ich sage deshalb >spurte<, weil ich absolut nichts sehen konnte. Die Dunkelheit war vollig undurchdringlich, wie es oft unmittelbar vor der Dammerung der Fall ist. Aber selbst das konnte meine Freude kaum truben. Endlich waren wir aus diesem schrecklichen Flu? heraus, und wo immer wir auch jetzt waren - dafur zumindest konnten wir dankbar sein. Ich setzte mich hin, atmete in tiefen Zugen die kuhle Nachtluft ein und wartete ungeduldig auf die Morgendammerung.

11

Die finster blickende Stadt

Eine Stunde oder langer hatte ich dagesessen und gewartet (Umslopogaas hatte sich mittlerweile ebenfalls schlafen gelegt), als sich schlie?lich der Osten grau farbte und riesige Nebelschwaden uber das Wasser schwebten, wie Geister aus langst vergangenen Zeiten. Es waren die Dampfe, die sich aus dem Wasser erhoben, um die herannahende Sonne zu begru?en. Das Grau verwandelte sich in ein blasses Gelb, und das blasse Gelb wurde zu einem leuchtenden Rot. Als nachstes sprangen herrliche Balken von Licht am ostlichen Horizont empor, und zwischen ihnen schossen die leuchtenden Pfeile, jene strahlenden Boten des heranruckenden Tages hervor, die den Dunst verscheuchten und die Berge mit ihrem su?en Ku? zum Leben erweckten. Weiter und weiter flogen sie, von Berg zu Berg, von Langengrad zu Langengrad. Im nachsten Moment schwangen die goldenen Tore weit auf, und die Sonne selbst trat hervor wie die Braut aus ihrem Gemache, mit Glanz und Pracht und dem Aufblitzen von Millionen von goldenen Speeren, und sie umarmte die Nacht und deckte sie mit ihrem Glanze zu. Es war Tag!

Aber noch konnte ich nichts erkennen au?er dem wunderbaren blauen Himmel uber uns, denn uber dem Wasser lagen dichte Nebelbanke, als hatte man die gesamte Oberflache des Sees mit dicker Watte bedeckt. Nach und nach saugte jedoch die Sonne den Nebel auf, und bald konnte ich erkennen, da? wir auf einer prachtig blauen Wasserflache schwammen, deren Ufer ich nicht sehen konnte. Etwa acht bis zehn Meilen hinter uns erstreckte sich jedoch, soweit das Auge reichte, eine lange Kette steiler Felswande, die gleichsam die Stutzmauer des Sees bildeten. Ohne Zweifel trat in irgendeiner Spalte zwischen diesen Felsen der unterirdische Flu? ans Tageslicht und flo? in den See. Es zeugte nur von der au?ergewohnlichen Starke der Stromung des geheimnisvollen Flusses, da? unser Kanu selbst jetzt noch, da wir schon meilenweit von der Felswand entfernt waren, darauf reagierte und langsam vorwarts trieb. Und kurz darauf fand Umslopogaas, der inzwischen aufgewacht war, noch einen weiteren Hinweis auf die Starke der Stromung des Flusses - und zwar einen, der alles andere als angenehm war. Er sah einen wei?lich schimmernden Gegenstand auf dem Wasser treiben und lenkte meine Aufmerksamkeit mit einer Handbewegung darauf. Mit ein paar Paddelschlagen brachten wir das Kanu in die Nahe des Gegenstandes. Zu unserem Schrecken stellten wir fest, da? es sich um die Leiche eines Mannes handelte, die mit dem Gesicht nach unten auf dem Wasser trieb. Das war an sich schon schlimm genug, aber stellt euch mein Entsetzen vor, als ich, nachdem Umslopogaas die Leiche umgedreht hatte, in dem eingefallenen Gesicht die Zuge von niemand anderem als unserem armen Diener wiedererkannte, der zwei Tage vorher in dem Strudel des unterirdischen Flusses versunken war. Mir lief ein Schauder uber den Rucken! Ich hatte gedacht, wir hatten ihn fur immer und ewig aus den Augen verloren, und - siehe da! Mitgerissen von der Stromung, hatte er die schreckliche Reise gemeinsam mit uns gemacht, und gemeinsam mit uns hatte er auch das Ziel erreicht! Er war grausam zugerichtet; sein Au?eres deutete darauf hin, da? er mit seinem Korper die Stichflamme beruhrt hatte - ein Arm war vollig zusammengeschrumpft, und sein ganzes Haar war weggebrannt. Sein Gesicht war eingefallen, aber dennoch hatte es den Ausdruck panischen Entsetzens bewahrt, den ich zuletzt auf seinem lebendigen Gesicht gesehen hatte, kurz bevor der arme Kerl unterging. Der Anblick erschutterte mich zutiefst, mude und ausgelaugt wie ich war nach allem, was wir durchgemacht hatten, und ich war heilfroh, als plotzlich der Leichnam zu versinken begann, gerade so, als habe er eine Mission zu erfullen gehabt, und nun, da er sie erfullt hatte, ging er unter. Der wahre Grund fur das plotzliche Absinken der Leiche war naturlich der, da? das Gas, nun, da er auf dem Rucken schwamm, aus dem offenen Mund entweichen konnte. Da sank er nun hinunter in die transparenten Fluten - Klafter um Klafter konnten wir seinen Weg in die Tiefe verfolgen, bis schlie?lich nur noch eine lange Reihe von Luftblasen nach oben stieg, die letztes Zeugnis daruber ablegten, wohin er gegangen war. Schlie?lich waren auch die Blasen verschwunden, und das war das Ende unseres armen Dieners. Umslopogaas schaute gedankenvoll dem Toten nach.

»Warum folgte er uns?« fragte er. »Es ist gewi? ein boses Omen fur dich und mich, Macumazahn.« Dann lachte er.

Ich warf ihm einen wutenden Blick zu; denn ich hasse solche obskuren Andeutungen. Wenn jemand solche aberglaubischen Ideen hat, dann sollte er sie meiner Meinung nach gefalligst fur sich behalten. Ich kann Menschen nicht ausstehen, die einem mit ihren verdrie?lichen Vorahnungen auf die Nerven gehen, oder die, wenn sie getraumt haben, da? man als Verbrecher gehangt wurde, oder sonst etwas Scheu?liches, einem das gleich in aller Ausfuhrlichkeit beim Fruhstuck auf die Nase binden mussen, selbst wenn sie dazu fruher als sonst aufstehen mussen.

Nun wachten auch die anderen auf und stellten voller Freude fest, da? wir aus dem schrecklichen Flu? heraus waren und wieder offenen blauen Himmel uber uns hatten. Als nachstes redeten alle wirr durcheinander und au?erten alle moglichen Vorschlage, was wir als erstes tun sollten. Das Ergebnis war, da? wir, hungrig, wie wir waren (das einzige, was wir noch hatten, waren ein paar dunne Streifen Biltong, das ist eine Art getrocknetes Wildbret - unsere ganzen ubrigen Vorrate hatten wir ja jenen furchterregenden Su?wasserkrebsen zum Fra? uberlassen mussen), erst einmal beschlossen, irgendwo an Land zu gehen. Doch nun tauchte eine neue Schwierigkeit auf. Wir wu?ten ja uberhaupt nicht, wo das nachste Ufer war. Abgesehen von den Klippen, durch die der unterirdische Flu? in den See trat, konnten wir nichts als eine ausgedehnte, glanzende Flache blauschimmernden Wassers sehen. Aber nachdem wir festgestellt hatten, da? die gro?en Schwarme von

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