selbst darstellt, wie er im Traum von der schonen Frau an der Stirn beruhrt wird, und er lie? es in der gro?en Halle des Palastes aufstellen, wo es bis zum heutigen Tage zu sehen ist.
Das also war die gro?e Treppe von Milosis mit der dahinter liegenden Stadt. Kein Wunder, da? sie >die finster blickende Stadt< genannt wurde; schienen doch jene machtigen Bauwerke aus solidem roten Granit stirnrunzelnd in ihrem dusteren Glanz auf unsere vergangliche Kleinheit herabzublicken. Das war sogar der Fall, wenn die Sonne schien; aber wenn sich erst die finsteren Wolken des Sturmes uber ihrer gebieterischen Stirn zusammenballten, dann sah Milosis eher aus wie die Wohnstatte des Ubernaturlichen oder wie die phantastische Ausgeburt eines Dichterhirns, als das, was sie in Wirklichkeit ist - eine vergangliche Stadt, von dem geduldigen Genius von Generationen aus der roten Stille der Berge gemei?elt.
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Das gro?e Ruderboot glitt nun in die kunstliche Bucht hinein, die fast bis zum Fu? der riesigen Treppe reichte, und legte an einem Steg an, von dem ein paar Stufen zum Landeplatz fuhrten. Hier stieg der alte Mann vom Schiff und bedeutete uns mit einer Geste, es ihm gleichzutun, was wir, da wir gar keine andere Moglichkeit hatten und au?erdem schon bald dem Hungertode nahe waren, auch ohne zu zogern taten -nicht ohne jedoch unsere Gewehre mitzunehmen. Jedesmal, wenn einer von uns auf den Landesteg trat, legte unser Fuhrer zum Gru?e Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand uber die Lippen und machte eine tiefe Verbeugung. Gleichzeitig gemahnte er die Masse, die sich schon versammelt hatte, um uns anzustarren, zuruckzutreten. Als letzte verlie? das Madchen, das wir aus dem Wasser gefischt hatten, das Kanu. Ihr Gefahrte erwartete sie schon. Bevor sie ging, ku?te sie meine Hand, vermutlich als ein Zeichen ihrer Dankbarkeit, da? ich sie in letzter Sekunde vor dem wutend zuschnappenden Maul des Flu?pferdes gerettet hatte. Die Angst, die sie moglicherweise vor uns gehabt hatte, schien sie inzwischen uberwunden zu haben, und keineswegs wild darauf zu sein, allzu eilig zu ihren rechtma?igen Eigentumern zuruckzukehren. Jedenfalls schickte sie sich gerade an, auch noch Goods Hand zu kussen, als der junge Mann einschritt und sie davonfuhrte.
Kaum waren wir an Land, als sich auch schon ein paar von den Mannern, die das gro?e Boot gerudert hatten, unserer Sachen bemachtigten und sie flink die riesige Treppe hinauftrugen. Unser Fuhrer deutete uns sogleich mit einer Geste an, da? die Sachen in sicherer Obhut seien. Dann wandte er sich nach rechts und schritt zu einem kleinen Haus, das, wie ich bald herausfand, ein Gasthof war. Wir wurden in einen gro?en Raum gefuhrt, in dem schon ein holzerner Tisch gedeckt war, vermutlich fur uns. Unser Fuhrer gab uns ein Zeichen, da? wir uns auf die Bank setzen sollten, die langs des Tisches stand. Es bedurfte furwahr keiner zweiten Einladung, sofort fielen wir hei?hungrig uber die Kostlichkeiten her, die man uns da auf holzernen Tabletts serviert hatte. Es war kaltes Ziegenfleisch, eingewickelt in wurzige Blatter, die ihm einen delikaten Geschmack verliehen; dazu gab es einen grunen Salat, ahnlich unserem Kopfsalat, dunkles Brot und Rotwein, der aus einem Schlauch in Hornbecher geschenkt wurde. Dieser Wein war mild und hervorragend; er ahnelte im Geschmack ein wenig dem Burgunder. Nach zwanzig Minuten erhoben wir uns von jener gastlichen Tafel und fuhlten uns wie neugeboren. Nach allem, was wir durchgemacht hatten, brauchten wir vor allem zwei Dinge: Nahrung und Ruhe. Die Nahrung allein war fur uns schon eine herrliche Wohltat. Zwei Madchen, die den gleichen Liebreiz in ihren Gesichtszugen hatten wie die Frau, die wir als erste gesehen hatten, bedienten uns wahrend des Essens; sie machten es auf eine sehr angenehme Weise. Auch sie waren auf die gleiche Art gekleidet, wie wir es schon bei den anderen gesehen hatten: ein wei?er Leinenunterrock, der bis zum Knie reichte, und daruber das togaahnliche Gewand aus braunem Tuch, das die rechte Brust und den rechten Arm unbedeckt lie?. Spater erfuhr ich, da? es sich hierbei um die nationale Tracht handelte. Sie richtete sich nach strengen Regeln, variierte jedoch in einem gewissen Rahmen. Wenn zum Beispiel der Unterrock wei? war, bedeutete das, da? die Tragerin unverheiratet war. War er wei? mit einem purpurfarbenen Streifen langs des Saumes, dann war sie verheiratet und war erste oder gesetzliche Frau. War er wei? mit einem wellenformigen Purpurstreifen, dann war sie zweite oder Nebenfrau. War der Streifen schwarz, dann bedeutete das, da? es sich um eine Witwe handelte. Auch die Toga, oder der >Kaf<, wie sie es nennen, kam in zahlreichen Farben vor; je nach dem sozialen Rang gingen die Farbschattierungen vom reinsten Wei? bis zum tiefsten Braun; die Enden waren auf die verschiedensten Arten mit Stickereien geschmuckt. Das gleiche traf auch auf die >Hemden< oder besser, Kittel zu, die die Manner trugen; sie variierten in Material und Farbe. Die Rocke jedoch waren immer die gleichen; sie unterschieden sich hochstens in der Qualitat voneinander. Eines jedoch trug jeder im Lande, gleich ob Mann oder Frau, gewisserma?en als nationales Signum: das dicke Goldband um den rechten Oberarm und den linken Unterschenkel. Leute von sehr hohem Rang trugen auch noch einen goldenen Ring um den Hals. Unser Fuhrer zum Beispiel gehorte zu dieser Gruppe.
Als wir das Mahl beendet hatten, verbeugte sich unser ehrwurdiger Begleiter, der die ganze Zeit neben uns gestanden und uns neugierig betrachtet hatte, insbesondere unsere Gewehre, die er mit kaum verhohlener Furcht bestaunte, soweit das sein Stolz eben zulie?, vor Good, den er aufgrund seiner prachtigen Staffage offensichtlich fur den Anfuhrer unserer Gruppe hielt, und dann geleitete er uns wieder zur Tur hinaus und fuhrte uns zum Fu? der gro?en Treppe. Dort verweilten wir einen Augenblick, um die beiden gewaltigen, jeweils aus einem einzigen Block reinen schwarzen Marmors gehauenen Lowen zu bewundern, die hoch aufgerichtet am Ende der beiden Balustraden des Treppenaufgangs standen. Diese Lowen waren von hervorragender Ausfuhrung. Auch sie waren das Werk von Rademas, dem beruhmten Prinzen, der die Treppe erbaut hatte, und der zweifelsohne, den zahlreichen wunderschonen Zeugnissen seiner Kunst nach zu urteilen, die wir spater noch sehen sollten, einer der hervorragendsten Bildhauer war, die jemals auf dieser Erde gelebt haben.
Danach stiegen wir mit einem fast ehrfurchtigen Gefuhl die gewaltige Treppe hinauf, jenes Meisterwerk, das, fur die Unendlichkeit gebaut, ohne Zweifel noch in Tausenden von Jahren von den nachfolgenden Generationen bewundert werden wird, wenn es nicht vorher einem Erdbeben zum Opfer fallen sollte. Selbst Umslopogaas, dem es in der Regel gegen die Ehre ging, unverhullt Verbluffung und Erstaunen zu zeigen (er fand, das sei eines Kriegers nicht wurdig), war buchstablich hingerissen und fragte mich, ob die Brucke >das Werk von Menschen oder von Teufeln< sei, womit er auf seine Weise auf alles ihm ubernaturlich Erscheinende anzuspielen pflegte. Einzig Alphonse schien vollig unbeeindruckt. Die wuchtige Pracht des Bauwerks schien den kleinen Franzosen eher unangenehm zu beruhren. Er gestand zwar, da? alles >tres magnifique< sei, fand aber gleichzeitig, da? es >triste, tres triste< wirkte und da? das Bauwerk weit eleganter und schoner ware, wenn man die Balustraden
Bald hatten wir die hundertfunfundzwanzig Stufen der ersten Flucht hinter uns gebracht und erreichten erschopft die breite Plattform, die sie mit der zweiten Flucht verband. Hier hielten wir fur einen Augenblick an, um aus luftiger Hohe den herrlichen Anblick zu genie?en, den einer der schonsten Landstriche, den diese Welt wohl besitzt, dem Auge des Betrachters darbot. Das Ganze war eingerahmt von dem herrlich blauen Wasser des Sees. Alsdann begaben wir uns zum Anstieg auf die zweite Treppenflucht, und schlie?lich erreichten wir die Spitze, wo wir eine gro?e Flache vorfanden, zu der es drei Zugange gab, die alle recht klein waren. Zwei davon fuhrten auf schmale Galerien oder Fahrwege, die man in die Vorderseite des Felsens gehauen hatte. Sie verliefen langs der Palastmauern und mundeten in die Hauptverkehrswege der Stadt. Sie wurden von den Bewohnern benutzt, die zwischen den Hafenanlagen und dem Palast verkehrten. Sie waren mit gro?en Toren aus Bronze gesichert; daruber hinaus war es, so erfuhren wir spater, moglich, ganze Abschnitte der Fahrwege selbst hinunterzulassen, indem man bestimmte Riegel und Schlie?haken loste. Auf diese Weise konnte man etwaigen Angreifern den Zugang versperren. Der dritte Zugang bestand aus einer Treppenflucht aus zehn halbkreisformigen schwarzen Marmorstufen, die zu einer Pforte in der Palastmauer fuhrten. Die Mauer war fur sich genommen schon ein Kunstwerk; sie bestand aus riesigen, an die vierzig Fu? hohen Granitblocken und war so gebaut, da? die Au?enseite eine Konkavwolbung aufweist, was ein Erklimmen der Mauer unmoglich macht.
Unser Fuhrer geleitete uns nun zu dieser Pforte. Die Tur aus massivem Holz, die zusatzlich noch durch ein Au?entor aus Bronze geschutzt wurde, war geschlossen. Als wir uns ihr jedoch naherten, wurde sie von innen geoffnet. Es erscholl der Anruf eines Wachtpostens. Gleichzeitig stellte dieser sich uns in den Weg, und wir hatten die Gelegenheit, ihn uns naher zu betrachten. Er war bewaffnet mit einem schweren Speer, dessen Spitze, ahnlich