Eingangen unserer Gemacher lag. Good und ich belegten zusammen eines davon, das andere nahmen Sir Henry und Alphonse. Wir zogen uns aus bis auf unsere Kettenhemden, die wir der Sicherheit halber anlassen wollten, und warfen uns todmude auf die niedrigen, luxuriosen Betten. Kaum hatte ich die seidenbestickte Decke uber mich gezogen, als ich auch schon in tiefen Schlaf sank. Goods Stimme weckte mich sogleich wieder auf.
»Quatermain, hast du jemals zuvor solche Augen gesehen?«
»Augen!« knurrte ich murrisch. »Was fur Augen?«
»Die der Konigin naturlich! Ich meine Sorais - so ist doch, glaube ich, ihr Name.«
»Ach, ich wei? nicht«, erwiderte ich gahnend, »ich habe nicht sonderlich darauf geachtet. Ich glaube, sie hat recht hubsche Augen.« Und sogleich schlief ich wieder ein.
Funf Minuten waren vielleicht verstrichen, als ich wieder aufwachte.
»Du, Quatermain!« meldete sich Goods Stimme.
»Was ist denn nun schon wieder los?«
»Hast du ihre schlanken Fesseln gesehen? Ihre Form ... «
Das war zuviel fur mich. Neben meinem Bett standen die >Veldtschoonen<, die ich getragen hatte. Au?er mir vor Wut beugte ich mich uber den Bettrand und angelte nach ihnen. Als ich sie erwischt hatte, warf ich sie Good an den Kopf - und traf!
Bald schlief ich den Schlaf der Gerechten. Er war tief und fest. Ich wei? nicht, ob Good auch endlich schlief, oder ob er sich noch den Rest der Nacht damit um die Ohren schlug, indem er sich in seiner Vorstellung samtliche Vorzuge Sorais' vor Augen fuhrte. Ich mu? gestehen, verehrter Leser, das war mir damals vollig egal.
13
Und nun senkt sich der Vorhang fur ein paar Stunden, und die Akteure dieses neuen Dramas sind fur eine Weile in tiefen Schlummer versunken, ausgenommen vielleicht Nylephta, von der der Leser sich vielleicht, so er poetische Neigungen hat, vorstellen mag, wie sie, umgeben von eifrigen Kammerzofen, geschwatzigen Frauen, Leibwachtern und all den anderen Hofschranzen, die gemeinhin um einen Thron herumschwirren, in ihrem prunkvollen, koniglichen Bette liegt und keinen Schlaf finden kann, da sie unablassig an jene Fremden denken mu?, die da so plotzlich in ihrem Lande aufgetaucht sind, in dem noch nie zuvor solche Fremden gewesen waren, und wie sie sich, wahrend sie so wachliegt, immer wieder die Frage stellt, wer diese Fremden wohl sind und welche Vergangenheit sie wohl haben, und ob sie, Konigin Nylephta, wohl ha?lich ist im Vergleich zu den Frauen jenes Landes, in dem diese Fremden geboren sind. Ich hingegen, der ich keine solchen poetischen Neigungen habe, will diese kurze Atempause, welche der Lauf der Ereignisse uns gewahrt, dazu nutzen, einiges uber dieses Volk, in dessen Mitte uns der Zufall geleitet hatte, zu berichten. Ich brauche wohl nicht besonders hervorzuheben, da? ich das, woruber ich jetzt berichten will, erst im weiteren Verlaufe unseres Aufenthalts erfahren sollte.
Um gleich an Anfang zu beginnen: der Name dieses Landes ist Zu-Vendis. Dieser Name ist entstanden aus Zu, >gelb<, und Vendis, was soviel bedeutet wie >Land< oder >Landschaft<. Warum diese Gegend >das gelbe Land< genannt wird, habe ich niemals genau herauskriegen konnen. Auch die Einwohner selbst haben nur vage Vermutungen uber den Ursprung des Namens. Drei Vermutungen gibt es jedoch, die mir einigerma?en plausibel erscheinen: Die erste besagt, da? der Name seinen Ursprung darin hat, da? das Land uber betrachtliche Goldvorkommen verfugt. Zu-Vendis ist in der Tat ein wahres Eldorado; uberall kann man Gold finden. Zum gegenwartigen Zeitpunkt fordert man es in erster Linie aus den reichlich vorhandenen Schwemmablagerungen (von denen wir einige spater zu Gesicht bekamen), welche eine Tagesreise von Milosis entfernt sind. Man findet das kostbare Metall dort in Klumpen, die haufig bis zu sieben Pfund schwer sind. Aber es existieren auch noch mehrere Erzgruben, die au?erst ertragreich sind. Daruber hinaus habe ich selbst an vielen Stellen des Landes dicke Adern goldhaltigen Quarzes gesehen, die man abzubauen gar nicht der Muhe wert befunden hatte. In Zu-Vendis kommt Gold weitaus haufiger vor als Silber. Dadurch ist es zu der uns recht seltsam anmutenden Situation gekommen, da? Silber und nicht Gold das Zahlungsmittel des Landes darstellt.
Die zweite, durchaus in Betracht zu ziehende Erklarungsmoglichkeit fur den Ursprung des Namens ist die, da? das im ubrigen au?erst saftige und uppig wachsende Gras des Landes zu bestimmten Jahreszeiten die goldgelbe Farbe reifen Korns annimmt. Die dritte grundet sich auf eine Tradition, welche besagt, da? die Bevolkerung ursprunglich gelbe Hautfarbe hatte, die jedoch allmahlich wei? wurde, nachdem sie uber viele Generationen hinweg im Hochland gelebt hatte.
Zu-Vendis hat ungefahr die Gro?e Frankreichs und ist, grob betrachtet, von ovaler Form. Von den umliegenden Gebieten ist es ringsum durch eine naturliche Grenze riesiger undurchdringlicher Dornenwalder abgeschnitten. Jenseits dieser Walder sollen sich noch einmal uber Hunderte von Meilen hinweg gewaltige Landstriche mit Sumpfen, Wusten und Gebirgen erstrecken. Das Land liegt sozusagen auf einer riesigen, tafelformigen Hochebene, die sich etwa im Zentrum des schwarzen Kontinents erhebt, und die vergleichbar ist mit den Tafelbergen des sudlichen Afrikas, die aus dem umliegenden Steppenland herausragen. Milosis selbst liegt nach den Angaben meines Aneroidbarometers etwa neuntausend Fu? uber dem Meeresspiegel. Der gro?te Teil des Landes liegt jedoch noch hoher; die gro?te Erhebung des Landes ist etwa in elftausend Fu? uber dem Meeresspiegel gelegen. Das Klima ist folglich vergleichsweise kuhl; es ahnelt sehr dem Klima Sudenglands, nur ist es heller und weniger regnerisch. Das Land ist ungeheuer fruchtbar; alle Getreidearten und Fruchte und Baume gema?igter Klimazonen gedeihen hier prachtig. In den niedriger gelegenen Regionen wachst sogar eine kraftige, gegen kuhle Temperaturen unempfindliche Gattung des Zuckerrohrs. An Bodenschatzen verfugt das Land au?er dem Gold noch uber Kohle, die teilweise sogar im Tagebau gewonnen werden kann, sowie uber reinen Marmor, schwarzen wie wei?en. Das gleiche gilt, mit Ausnahme von Silber, fur fast alle anderen Metalle. Silber kommt, wie bereits erwahnt, nur in sehr geringen Mengen vor, und zwar in den Bergen des Nordens, wo es unter erheblichen Muhen gefordert wird.
Zu-Vendis verfugt in seinen Grenzen uber eine Vielzahl verschiedener Landschaften, darunter zwei Ketten schneebedeckter Gebirge, von denen sich die eine an der Westgrenze jenseits des undurchdringlichen Dornenwaldgurtels befindet und die andere das Land von Norden nach Suden durchzieht. Sie ist nur etwa achtzig Meilen von der Hauptstadt entfernt, und von der Stadt aus kann man ihre hochsten Erhebungen deutlich erkennen. Diese Gebirgskette bildet die Hauptwasserscheide des Landes. Au?erdem gibt es drei gro?e Seen - der gro?te davon, namlich der, auf dem wir auftauchten, hei?t nach der Stadt ebenfalls Milosis und bedeckt eine Flache von ungefahr zweihundert Quadratmeilen - und daruber hinaus zahlreiche kleinere, von denen einige salzig sind.
Die Bevolkerungsdichte dieses vom Klima so begunstigten Landes ist vergleichsweise hoch; das Land zahlt grob geschatzt etwas zehn bis zwolf Millionen Einwohner. Es ist fast ausschlie?lich Agrarland, und die Bevolkerung zerfallt wie uberall in mehrere Klassen. Da ist einmal der Landadel, dann eine betrachtliche Mittelschicht, die sich in erster Linie aus Kaufleuten, Armeeoffizieren etc. zusammensetzt, und schlie?lich die Mehrheit der Bevolkerung, hauptsachlich wohlhabende Bauern, die in Lehnspacht die Guter der Landedelmanner bewirtschaften. Die Bevolkerung besteht, wie ich schon erwahnte, ausschlie?lich aus Wei?en; einige davon wirken vom Typ her durchaus mitteleuropaisch, wohingegen die Masse der Bevolkerung einen mehr sudlandischen Einschlag hat, jedoch keinerlei negroide oder sonstwie geartete afrikanische Charakteristiken aufweist. Uber ihren Ursprung kann ich keine eindeutige Information geben. Aus ihren schriftlichen Uberlieferungen, die teilweise bis ins neunte Jahrhundert zuruckdatieren, geht nichts uber ihre Abstammung hervor. Einer ihrer fruhesten Chronisten spricht zwar im Zusammenhang mit einer uralten Tradition, die zu seiner Zeit existiert haben mu?, davon, da? sie wahrscheinlich mit den Leuten von der Kuste heraufgekommen sind<, aber das kann alles mogliche bedeuten. Kurz, der Ursprung der Zu-Vendi liegt im Dunkel der Vergangenheit. Woher sie stammen oder welcher Rasse sie sind, wei? keiner. Ihre Architektur und einige ihrer Skulpturen deuten auf agyptischen oder vielleicht auch assyrischen Einflu? hin; aber es ist historisch klar und deutlich zuruckzuverfolgen, da? ihr gegenwartiger bemerkenswerter Baustil erst innerhalb der vergangenen achthundert Jahre entstanden ist. Au?erdem lassen sich keinerlei Spuren agyptischer Theologie oder Brauche feststellen. Eher wurde man sie aufgrund ihrer au?eren Erscheinung und einiger ihrer Brauche fur judische Abkommlinge halten; aber es ist kaum denkbar, da? sie dann alle Einflusse der judischen Religion so vollig abgelegt hatten.
Vielleicht sind sie eines jener zehn verloren geglaubter Volker, nach deren Spuren man heute auf der ganzen Welt so eifrig forscht. Ich wei? es nicht, und daher mu? ich mich darauf beschranken, sie so zu schildern,