Die Gesetze des Landes sind im gro?en und ganzen mild und gerecht, unterscheiden sich jedoch in verschiedener Hinsicht von den Gesetzen unserer zivilisierten Lander. In England zum Beispiel sind die Gesetze fur Versto?e gegen das personliche Eigentum weit harter als die, die Versto?e gegen Menschen ahnden. So ist es wohl bei jedem Volk, in dem in erster Linie das Geld und der Besitz regieren. Ein Mann, der seine Frau halb totschlagt, oder der seine Kinder qualt, kann damit rechnen, in unserem Land weit milder bestraft zu werden, als hatte er ein Paar alte Stiefel geklaut. In Zu-Vendis ist das nicht so; hier zahlt in jeder Hinsicht der Mensch mehr als Geld und Besitz. Er ist nicht wie in England ein notwendiges Anhangsel des letzteren. Auf Mord steht die Todesstrafe, ebenso auf Landesverrat. Auch Betrug eines Waisenkindes oder einer Witwe, Gotteslasterung und Religionsfrevel, sowie der Versuch, das Land zu verlassen (was ebenfalls als Sakrileg betrachtet wird), werden mit dem Tode bestraft. Die Methode der Exekution ist in jedem Falle dieselbe, und zwar eine uberaus schreckliche: der Delinquent wird bei lebendigem Leibe in einem der Flammenofen, die sich unter den Altaren im Tempel befinden, verbrannt. Fur alle anderen Gesetzesversto?e, einschlie?lich des Mu?iggangs, besteht die Strafe in Zwangsarbeit an einem der offentlichen Gebaude, von denen immer in irgendeinem Teil des Landes eines gerade im Entstehen begriffen ist. Au?erdem wird der zur Zwangsarbeit Verurteilte je nach der Schwere des Verbrechens noch zusatzlich in bestimmten Abstanden ausgepeitscht.

Das Gesellschaftssystem der Zu-Vendi raumt dem Individuum betrachtliche Freiheit ein, vorausgesetzt, es mi?braucht diese nicht zu Versto?en gegen die Gesetze und die Sitten des Landes. Die Polygamie ist gestattet; die meisten Zu-Vendi haben jedoch aus Kostengrunden nur eine Frau. Der Ehemann ist gesetzlich verpflichtet, jeder seiner Frauen einen eigenen Haushalt einzurichten. Die erste Frau ist auch die rechtma?ige Ehefrau, und ihre Kinder sind die Kinder >aus dem Haus des Vaters<. Die Kinder der anderen Ehefrauen sind die Kinder aus dem Hause ihrer jeweiligen Mutter. Dies bedeutet jedoch nicht, da? diese Frauen oder Kinder irgendwie benachteiligt sind. Die Erstfrau hat die Moglichkeit, sobald sie in den Ehestand getreten ist, mit ihrem Mann einen Vertrag abzuschlie?en, in dem er sich verpflichtet, keine weitere Frau zu ehelichen. Dies kommt jedoch nur in den seltensten Fallen vor, sind es doch gerade die Frauen, die die Polygamie am scharfsten verteidigen; denn diese sorgt nicht nur dafur, da? sie in der Uberzahl sind, sondern gibt der Erstfrau auch eine gro?ere Wichtigkeit: sie ist so praktisch das Oberhaupt mehrerer Haushalte. Die Ehe ist in erster Linie ein Zivilkontrakt, in dem verschiedene Bedingungen, so zum Beispiel eine ordentliche Erziehung und Versorgung der Kinder, festgelegt werden. Sie ist auflosbar, vorausgesetzt, beide Vertragsparteien sind damit einverstanden. Der Scheidungsakt wird formal vollzogen mit einer Zeremonie, in der man die einzelnen Schritte des Hochzeitsaktes ruckwarts ablaufen la?t.

Die Zu-Vendi sind im gro?en und ganzen ein sehr freundliches, liebenswurdiges und frohliches Volk. Sie sind keine gro?en Kaufleute und machen sich wenig aus Geld; im allgemeinen arbeiten sie gerade soviel, da? sie ein ausreichendes Auskommen haben in der Klasse, in die sie hineingeboren wurden. Sie sind au?erst konservativ und betrachten alle Anderungen mit Unbehagen und Mi?trauen. Ihr gesetzliches Zahlungsmittel ist - das erwahnte ich bereits - Silber, welches man in kleine viereckige Plattchen von unterschiedlichem Gewicht geschnitten hat. Es gibt auch Goldmunzen; sie sind jedoch von geringerem Wert. Ihr Wert ist etwa so hoch wie der unseres Silbers. Man benutzt jedoch Gold, dessen Schonheit man sehr schatzt, fur Ornamente und zu vielen anderen dekorativen Zwecken. Der gro?te Teil des Handels wird jedoch eigentlich in Form von Tauschgeschaften abgewickelt, das hei?t, es wird mit Naturalien bezahlt. Das Land lebt, wie schon erwahnt, hauptsachlich von der Agrarwirtschaft, und somit stellt der Handel mit Agrarprodukten naturlich den Hauptanteil des gesamten nationalen Wirtschaftslebens. Der Ackerbau ist hochentwickelt und sehr ertragreich; der gro?te Teil des verfugbaren Ackerlandes ist kultiviert. Gro?e Aufmerksamkeit la?t man auch der Vieh- und Pferdezucht angedeihen. Die Pferde, die ich dort gesehen habe, ubertreffen alles, was es sonst in Afrika oder Europa gibt.

Das Land befindet sich theoretisch im Besitz der Krone, und darunter der gro?en Landadeligen. Diese wiederum verteilen es an kleinere Junker usw. bis hinunter zum Kleinbauern, der seine vierzig >Reestu< (Morgen) bewirtschaftet und sich nach dem System des Halbprofits den Ertrag mit seinem unmittelbaren Lehnsherrn teilt. Wie ich schon sagte, ist das System ausgesprochen feudal, und wir fanden es hochst interessant, diesem alten Bekannten aus Europa mitten im tiefsten, unbekannten Afrika zu begegnen.

Die Steuern sind sehr hoch. Der Staat zieht ein Drittel des Gesamteinkommens ein, und die Priesterschaft noch einmal funf Prozent vom Rest. Kommt jedoch andererseits jemand aus irgendeinem Grund unverschuldet in eine Notlage, dann unterstutzt der Staat ihn nach Ma?gabe der sozialen Klasse, der er zugehort. Ist er jedoch arbeitsscheu, dann wird er zur Arbeit an einem der Regierungsvorhaben herangezogen, und der Staat ubernimmt die Versorgung seiner Frauen und Kinder. Der Stra?en- und Wohnungsbau ist vollstandig in der Hand des Staates. Er la?t ihm au?erste Sorgfalt angedeihen und uberla?t den Familien die Wohnungen zu sehr geringen Mieten. Der Staat unterhalt auch eine stehende Armee von ungefahr zwanzigtausend Mann Starke und sorgt fur die offentliche Sicherheit. Als Gegenleistung fur ihre funf Prozent bestreiten die Priester die Instandhaltung der Tempel und die Aufwendungen fur den Gottesdienst; au?erdem fuhren sie alle religiosen Zeremonien kostenlos aus. Au?erdem unterhalten sie Schulen, in denen das gelehrt wird, was sie fur erstrebenswert halten; und das ist nicht sehr viel. Einige der Tempel verfugen uber Privateigentum; der Priester als Individuum ist jedoch mittellos.

Und nun komme ich zu einer Frage, die nur sehr schwer zu beantworten ist: Sind die Zu-Vendi ein zivilisiertes oder ein primitives, unkultiviertes Volk? Manchmal neige ich mehr zu dem einen, dann wieder mehr zu dem anderen. Auf eigenen Gebieten der Kunst zum Beispiel sind sie zu hochster Meisterschaft und Vollkommenheit gelangt. Man betrachte nur ihre Gebaude oder ihre Skulpturen. Ich glaube nicht, da? die letzteren in Perfektion und Schonheit irgendwo auf der Welt auch nur annahernd erreicht werden, und was die ersteren betrifft, so fallt mir hochstens die Baukunst der alten Agypter ein, die vielleicht einem Vergleich standhalten konnte; seitdem jedoch hat es wohl auf der Welt nichts mehr gegeben, was der Architektur der Zu-Vendi gleichkommt. Auf der anderen Seite jedoch sind ihnen viele Techniken, die uns seit Jahrhunderten gelaufig sind, vollig unbekannt. So waren sie zum Beispiel nicht in der Lage, Glas herzustellen, bis ihnen Sir Henry, der zufallig etwas davon versteht, zeigte, wie man es macht, indem er Kieselerde und Kalk miteinander vermengte. Ihre Topferwaren sind ziemlich primitiv. Die Uhrzeit bestimmen sie mit der Wasseruhr. Als sie zum ersten Mal unsere Uhren sahen, waren sie vollig aus dem Hauschen. Unbekannt sind ihnen auch die Dampfkraft, die Elektrizitat und das Schie?pulver, und zu ihrem - wie ich meine - gro?en Gluck haben sie auch die Buchdruckerkunst noch nicht erfunden. Dadurch bleibt ihnen viel Kummer erspart, denn unser Jahrhundert hat uns meiner Ansicht nach nur allzu deutlich gelehrt, da? das uralte Sprichwort >Je mehr man wei?, desto mehr Sorgen hat man auch< nichts von seiner Gultigkeit verloren hat.

Was ihre Religion anbetrifft, so ist es nichts weiter als eine Naturreligion fur phantasiereiche Menschen, die es nicht anders wissen, und von denen man daher nichts anderes erwarten kann, als da? sie sich der Sonne als dem allmachtigen Vater zuwenden und sie als solchen verehren und anbeten. Man kann sie jedoch nicht als erhebend oder geistlich ihm religiosen Sinne bezeichnen. Sie bezeichnen zwar manchmal die Sonne als das >Kleid des Geistes<, aber das ist nur ein sehr vager Begriff; was sie in Wirklichkeit anbeten, ist nichts weiter als der feurige Himmelskorper selbst. Sie bezeichnen ihn auch als >Hoffnung auf die Ewigkeit^ aber auch hier haben sie wieder nur au?erst unklare Vorstellungen, und ich bezweifle, da? sie mit diesem Begriff einen klaren Eindruck verbinden. Einige von ihnen glauben in der Tat an ein Weiterleben nach dem Tode - ich wei? es zum Beispiel von Nylephta, aber das ist nur ein privater Glaube, der aus der Eingebung des Geistes herruhrt, und kein wesentlicher Bestandteil ihrer Religion. Insgesamt betrachtet wurde ich also nicht sagen, da? ich diesen Sonnenkult als eine Religion ansehe, die auf ein zivilisiertes Volk deuten wurde, so prachtig und beeindruckend auch seine Rituale erscheinen und so moralisch und hehr auch die Maximen seiner Priester klingen mogen, von denen viele, wie ich ganz sicher glaube, ihre eigene Meinung zu der ganzen Sache haben. In der Offentlichkeit sind sie naturlich voll des Lobes uber ein System, das sie im Uberflu? mit all den guten Dingen versorgt, die unsere Erde zu bieten hat.

Noch zwei Themen mochte ich ansprechen: namlich die Sprache und die Schrift. Was die erstere betrifft, so hat sie einen sehr weichen Klang und zeichnet sich durch gro?e Vokalfulle und Geschmeidigkeit aus. Sir Henry sagt, sie ahnelte in ihrem Klang ein wenig dem Neugriechischen; sie hat jedoch damit keinerlei Verwandtschaft. Sie ist leicht zu erlernen, da sie recht einfach aufgebaut ist. Das Bemerkenswerteste an ihr ist jedoch die besondere Bedeutung, die der jeweiligen Klangfarbe des Wortes zukommt. Das Wort pa?t sich in seiner Betonung gewisserma?en der intendierten Bedeutung an. Lange bevor wir die Sprache beherrschten, waren wir schon haufig in der Lage, die ungefahre Bedeutung eines Satzes anhand der speziellen Tonhohe und Satzmelodie zu erkennen, die der Sprecher ihm gegeben hatte. Aus diesem Grunde ist die Sprache auch so uberaus gut zur poetischen Deklamation geeignet, einer Kunst, die in diesem bemerkenswerten Lande sehr gepflegt wird. Das Zu- Vendi-Alphabet ist anscheinend, wie ubrigens jedes andere bekannte Buchstabensystem auch, phoni-zischen Ursprungs und mithin, geht man noch weiter zuruck, aus dem agyptischen Hieroglyphensystem entstanden. So

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