wie ich sie angetroffen habe, und es weiseren Kopfen als dem meinigen uberlassen, sich daruber Gedanken zu machen - wenn sie tatsachlich einmal diesen Bericht in die Hande bekommen sollten, was ich jedoch fur hochst unwahrscheinlich halte.
Und nachdem ich dies nun alles niedergeschrieben habe, werde ich schlie?lich doch noch meine eigene, wiewohl sehr laienhafte und spekulative Theorie uber den Ursprung der Zu-Vendi zum Besten geben. Diese Theorie grundet sich auf eine Legende, die ich bei den Arabern an der Ostkuste hie und da gehort habe. Dieser Legende nach gab es >vor mehr als zweitausend Jahren< Unruhen in dem Land, das als Babylonien bekannt war. Daraufhin kam eine riesige Menge von Persern bis herunter nach Bushire. Sie fuhren mit Schiffen und Booten aufs offene Meer hinaus und wurden vom Nordost-Monsun an die Ostkuste Afrikas getrieben. Hier gerieten - so die Legende -diese >Sonnen- und Feueranbeter< (!) in Konflikt mit den Arabern, die schon damals dort ansassig waren. Schlie?lich gelang es den Persern, die Sperrlinien der Araber zu durchbrechen. Sie verschwanden im Innern des Landes, und man horte und sah nie wieder etwas von ihnen. Ich frage nun: Besteht nicht zumindest die Moglichkeit, da? die Zu-Vendi die Abkommlinge jener >Sonnen- und Feueranbeter< sind, die in grauer Vorzeit die Linien der Araber durchbrachen und dann spurlos verschwanden? Und in der Tat; in ihrem Charakter und ihren Gebrauchen liegt etwas, das sich mit meinen etwas vagen Vorstellungen, die ich von den Persern habe, in etwa deckt. Naturlich haben wir keine Bucher hier, in denen wir die Geschichte jener Zeit nachlesen konnten, aber auch Sir Henry sagt, soweit ihn die Erinnerung nicht truge, habe es ungefahr im funften Jahrhundert vor Christi Geburt einen gewaltigen Aufstand in Babylon gegeben, in dessen Folge ein gro?er Teil der Bevolkerung aus der Stadt vertrieben wurde. Jedenfalls ist es eine historisch dokumentierte Tatsache, da? es mehrere Auswanderungswellen von Persern gegeben hat, die die Gegend um den Persischen Golf verlie?en und an der Ostkuste Afrikas ansassig wurden. Diese Auswanderungswellen hielten bis in das zwolfte Jahrhundert nach Christi Geburt an. Es gibt recht gut erhaltene Graber von Persern in Kilwa, an der Ostkuste, aus deren Daten hervorgeht, da? sie nicht alter als siebenhundert Jahre sind.
Obwohl die Zu-Vendi ein Agrarvolk sind, sind sie erstaunlicherweise au?erst kriegerisch veranlagt. Da ihnen jedoch die geographische Lage ihres Landes nicht erlaubt, andere Lander mit Krieg zu uberziehen, bekriegen sie sich untereinander wie die beruhmten Katzen von Kilkenny, mit dem Resultat, da? die Bevolkerung niemals so gro? wird, da? das Land sie nicht mehr ernahren konnte. Diese kriegerische Haltung erwachst wohl in erster Linie aus den politischen Verhaltnissen des Landes: die Monarchie von Zu-Vendis ist, zumindest nominell, eine absolute. Ihre unumschrankte Macht wird lediglich im Zaume gehalten von dem Einflu? der Priesterschaft und durch den gesetzlich nicht verankerten Rat der Landadeligen. Jedoch, wie es in vielen Institutionen dieser Art haufig der Fall ist, reicht der Arm des Hofes nicht unbedingt in jeden Winkel des Landes. Kurz, es herrscht ein Feudalsystem (obwohl vollige Leibeigenschaft oder Sklaverei unbekannt sind), in dem alle gro?en Landadeligen offiziell der Krone unterstehen, wobei einige jedoch praktisch unabhangig vom Konigshof sind. Sie verfugen uber die absolute richterliche Gewalt und konnen nach eigenem Gutdunken Kriege erklaren und Frieden mit ihren Nachbarn schlie?en, gerade so, wie es in ihre Interessenlage pa?t. Einige von ihnen haben sich auch dann und wann schon in offener Rebellion gegen ihren koniglichen Herrn oder ihre konigliche Herrin erhoben und haben aus dem sicheren Schutz ihrer Burgen und ihrer befestigten Stadte heraus jahrelang gegen die Regierungstruppen, die so weit entfernt von der Hauptstadt operieren mu?ten, erfolgreich Widerstand geleistet.
Zu-Vendis hat, ebenso wie England, seine Konigsmacher gehabt. Die Tatsache, da? innerhalb der vergangenen tausend Jahre allein acht verschiedene Dynastien einander ablosten, spricht eine deutliche Sprache. Jede dieser Dynastien ging aus einer adeligen Familie hervor, der es irgendwann einmal gelungen war, die Herrschaft nach einer blutigen Fehde an sich zu rei?en. Zu der Zeit, als wir in Zu-Vendis auftauchten, befand sich das Land gerade in einer Periode relativer Stabilitat. Der letzte Konig, der Vater von Nylephta und Sorais, war ein au?ergewohnlich fahiger und energischer Regent gewesen, der mit starker Hand die Macht der Priester und der Adeligen in Grenzen gehalten hatte. Nach seinem Tode, der ihn erst zwei Jahre vor unserem Eintreffen in Zu- Vendis ereilt hatte, wurden, in Anlehnung an einen Jahrhunderte zuruckliegenden Prazedenzfall, die Zwillingsschwestern, seine Tochter, auf den Thron gehoben. Hatte man eine von beiden von der Thronfolge ausgeschlossen, dann ware unweigerlich nach kurzer Zeit ein blutiger Burgerkrieg ausgebrochen; aber man hatte uberall im Lande das Gefuhl, da? diese Losung nur sehr unbefriedigend war; keiner glaubte daran, da? sie von sehr langem Bestand sein wurde. Und tatsachlich hatten auch die zahlreichen Intrigen, die immer wieder von ehrgeizigen Adeligen angezettelt wurden, die eine der beiden Koniginnen zur Frau haben wollten, das Land schon mehrmals in Unruhe versetzt, und die allgemeine Auffassung war die, da? es uber kurz oder lang daruber zu einem Blutvergie?en kommen wurde.
Ich mochte nun einiges uber die Religion der Zu-Vendis erzahlen; diese Religion ist eigentlich nichts anderes als Sonnenverehrung von stark ausgepragtem, hochentwickeltem Charakter. Dieser Sonnenkult ist der Mittelpunkt des gesamten sozialen Systems von Zu-Vendis. Er wirkt sich in jeder Institution und fast allen Sitten und Gebrauchen des Landes mehr oder weniger stark ausgepragt aus. Von der Wiege bis zum Grab folgt der Zu-Vendi der Sonne, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Als Kleinkind halt man ihn feierlich in ihr Licht und weiht ihn dem >Symbol des Guten, dem Ausdruck aller Macht und der Hoffnung auf die Ewigkeit<. Diese Zeremonie entspricht unserer Taufe. Schon als kleines Kind lehren die Eltern ihn, da? die Sonne der sichtbare und allmachtige Gott sei, und er betet zu ihr, wenn sie aufgeht, und wenn sie versinkt. Und eines Tages, noch immer im Kleinkindalter, geht er dann, das kleine Handchen fest an den herabhangenden Togazipfel der Mutter geklammert, zum ersten Mal zum Sonnentempel in die nachste Stadt und hort dort, wenn zur Mittagsstunde die hellen Strahlen auf den goldenen Hauptaltar fallen und das Feuer, das auf ihm brennt, uberstrahlen, wie die Priester in ihren wei?en Roben ihre Stimmen zu feierlichen Lobgesangen erheben, und sieht, wie die Menschen betend auf die Knie fallen, und dann wird er zum ersten Mal Zeuge jenes Spektakels, bei dem unter dem Schall der goldenen Fanfaren das Opfer in den Flammenofen unterhalb des Altars geworfen wird. Und dann, zum Jungling herangewachsen, kommt er wieder an diesen Ort, wo ihn die Priester zum Manne weihen und ihn segnen, auf da? er seinen Mann im Kriege und bei der Arbeit stehen moge; und vor denselben heiligen Altar fuhrt er eines Tages seine Braut; und ebenfalls an diesem Orte wird, sofern Zwietracht sich erhebt, seine Ehe wieder geschieden.
Und so schreitet er sein ganzes Leben lang weiter in diesen Tempel, bis zu seinem letzten Gang; dann kommt er wieder, bewaffnet zwar noch immer, jedoch als Toter. Sie tragen seinen Leichnam in den Tempel und stellen seine Totenbahre auf die Messingfalltur vor dem Ostaltar, und wenn der letzte Strahl der untergehenden Sonne auf sein bleiches Gesicht fallt, dann werden die Bolzen herausgezogen, und er verschwindet fur immer in den tosenden Flammen des Ofens unter dem Altar.
Die Priester der Sonne sind unverheiratet. Ihr Nachwuchs rekrutiert sich aus den Reihen junger Manner, die von ihren Eltern schon fruhzeitig ganz dieser Aufgabe geweiht und vom Staat unterstutzt werden. Das Recht zur Ernennung in hohere Amter innerhalb der Priesterschaft liegt in den Handen der Klone; einmal ernannt, konnen die Priester jedoch nie wieder ihres Amtes enthoben werden. Es ist nicht ubertrieben, wenn man sagt, da? sie die eigentlichen Herrscher des Landes sind. Sie bilden eine festgefugte, unerschutterliche Gemeinschaft, in der strikter Gehorsam und absolute Verschwiegenheit herrschen. Erla?t zum Beispiel der Hohepriester in Milosis eine Order, so wird diese auf der Stelle und widerspruchslos von dem Priester einer kleinen Provinzstadt, die vielleicht drei- oder vierhundert Meilen von der Hauptstadt entfernt liegt, ausgefuhrt. Sie sind gleichzeitig die Richter des Landes, sowohl im zivilen, als auch im strafrechtlichen Bereich. Eine Berufung kann nur beim obersten Lehnsherr des Bezirkes eingereicht werden, und von dort aus wird sie weitergeleitet zum Konig. Naturlich verfugen die Priester auch uber die praktisch uneingeschrankte Rechts-sprechung in religiosen und moralischen Angelegenheiten; desgleichen steht ihnen das Recht der Ex-kommunizierung zu, ein Recht, das, wie auch in Landern hoherer Zivilisation, eine au?erst wirksame Waffe darstellt. Und so uben sie in der Tat fast uneingeschrankte Macht aus. Ich mochte jedoch hier der Gerechtigkeit halber anmerken, da? die Priester, zumindest die der jetzigen Generation, uberaus klug in ihren Entscheidungen sind und die Dinge nicht zu weit treiben. Es kommt wirklich nur hochst selten vor, da? sie gegen jemand zum au?ersten Mittel greifen. In der Regel neigen sie eher dazu, sich vom Gedanken der Gnade leiten zu lassen, als da? sie das Risiko eingehen, das machtige und streitbare Volk so sehr zu reizen, da? es eines Tages das Joch ihrer fast unumschrankten Herrschaft zerbrechen konnte.
Eine andere Quelle ihrer gewaltigen Macht liegt in ihrer Monopolstellung im Bereich der Wissenschaft begrundet und in ihren betrachtlichen Kenntnissen auf dem Gebiete der Astronomie. Mit diesen Kenntnissen sind sie stets in der Lage, die offentliche Meinung zu steuern, indem sie zum Beispiel Sonnenfinsternisse oder sogar Kometen exakt voraussagen. In Zu-Vendis konnen lediglich ein paar Mitglieder der Oberschicht lesen und schreiben; von den Priestern hingegen konnen das bis auf ein paar Ausnahmen alle. Sie gelten daher in der Offentlichkeit als gebildete Manner.