sich allein auf einer Gartenflache von etwa acht Morgen Ausdehnung auf dem Gipfel der Anhohe steht, umgeben von den Wohnstatten der Priester), hat die Form einer Sonnenblume. Den Mittelpunkt bildet eine Halle mit einem Kuppeldach, von der aus zwolf Hofe, die die Form eines Blutenblattes haben, strahlenformig abgehen. Jeder dieser Hofe ist einem der zwolf Monate gewidmet. Sie dienen als Aufbewahrungsort fur die Statuen, die man zu Ehren beruhmter Verstorbener geschaffen hatte. Die Lange des Kreisbogens unterhalb der Kuppel betragt dreihundert Fu?, die Hohe der Kuppel betragt vierhundert Fu?. Die Strahlen sind einhundertfunfzig Fu? lang, und in der Hohe messen sie vom Boden bis zum Dach dreihundert Fu?, so da? sie exakt wie die Blutenblatter einer Sonnenblume in den kuppelbedachten Saal einmunden. So betragt die Entfernung vom Hauptaltar in der Mitte des Saales bis zur au?ersten Spitze jedes einzelnen Blutenblattes exakt dreihundert Fu? (das entspricht genau der Lange des Kreisbogens um den Kuppelsaal), oder, in der Totale gemessen, also vom au?ersten Punkt eines Blattes bis zum au?ersten Punkt des ihm gegenuberliegenden Blattes, genau sechshundert Fu?.

Das Gebaude besteht aus purem, geschliffenem wei?en Marmor, der sich in einem gro?artigen Kontrast von dem roten Granit der Stadt abhebt, uber der es glitzernd prangt wie ein herrschaftliches Diadem auf der Stirn einer geheimnisvoll dusteren Konigin. Die Oberflache der Kuppel und die Dacher der zwolf blutenblattformigen Hofe sind mit hauchdunnem Blattgold uberzogen. Und auf der au?ersten Spitze jedes einzelnen Hofdaches steht eine goldene Statue mit ausgebreiteten Flugeln und einer Fanfare in der Hand, die die Figur eines Engels darstellt, der im Begriff ist, sich in die Lufte zu erheben. Ich mu? es wirklich dem Leser uberlassen, sich eine Vorstellung zu machen von dem zauberhaften Glanz, der von diesen Dachern ausgeht, wenn sie von den Strahlen der Sonne gebadet werden. Es ist furwahr, wie wenn tausend Feuer auf einem Berg aus poliertem Marmor aufleuchteten; die Sonnenstrahlen werden so stark reflektiert, da? man das Aufblitzen der Dacher noch klar und deutlich vom Gipfel eines der Berge der hundert Meilen entfernten Gebirgskette wahrnehmen kann.

Es ist einfach ein traumhafter Anblick - diese goldene Blume, die da erwachst aus den kalten wei?en Marmorwallen. Ich bezweifle, da? die Welt desgleichen noch einmal zu bieten hat. Die gro?artige Wirkung dieses genialen Zusammenspiels von kunstlerischer Form, goldenem Licht und edlem Marmelstein wird noch verstarkt durch einen hundertfunfzig Fu? breiten Gurtel rings um den Tempel, der bepflanzt ist mit einer einheimischen Sonnenblumenart; zu dem Zeitpunkt, als wir den Tempel zum ersten Mal sahen, standen diese Blumen gerade in voller Blute und bildeten einen goldenen Teppich rings um die wei?e Tempelmauer.

Der Haupteingang dieses herrlichen Gebaudes befindet sich zwischen den zwei nach Norden ausgerichteten Strahlen oder blattformigen Hofen. Zuerst kommt ein gro?es Tor aus Bronze, und dahinter liegen Turen aus massivem Marmor. Sie sind wunderschon verziert mit allegorischen Motiven und mit Blattgold uberzogen. Wenn man diese durchschritten hat, trennt einen vom Inneren nur noch die machtige Au?enwand aus Marmor, die eine Starke von sage und schreibe funfundzwanzig Fu? aufweist (die Zu-Vendi bauten in der Tat fur die Ewigkeit). Danach kommt noch eine Tur, ebenfalls aus wei?em Marmor, die man in die Wand eingelassen hat, um von innen her den Eindruck eines sichtbaren Spaltes in der fugenlosen Innenwand aus Marmor zu vermeiden. Und dann steht man in der kreisformigen Halle, direkt unter der gewaltigen Kuppel. Geht man weiter auf den Hauptaltar zu, dann offenbart sich dem Auge ein solch schoner Anblick, wie er die Vorstellungskraft des Menschen schier ubersteigen mu?. Man befindet sich genau in der Mitte der heiligen Statte, und hoch uber einem wolbt sich die wei?e Marmorkuppel (die Innenhaut besteht ebenso wie die au?ere aus poliertem, wei?em Marmor), die in ihrer anmutig; geschwungenen Form an die St. Pauls Kathedrale in London erinnert, nur da? der Kreiswinkel ein wenig kleiner ist. Und aus einer luftschachtahnlichen Offnung genau im Apex der Kuppel flutet das goldene Licht der Sonne herein und ergie?t sich uber den golden schimmernden Altar. Auf der Ost- und Westseite der Halle stehen ebenfalls Altare, deren Lichtstrahlen mit dem weihevollen Dammerlicht um die Vorherrschaft ringen. In alle Richtungen offnen sich wei?, mystisch und wunderbar die strahlenformigen Hofe; und durch jeden von ihnen bohrt sich ein einzelner Pfeil wei?en Lichtes, der die erhabene Stille in fahlen Schimmer taucht und die Monumente der Toten mit blassem Schein der volligen Dusternis abringt.

Uberwaltigt von diesem ehrfurchtseinflo?enden Anblick, dessen kalter und dennoch in den Bann ziehender Liebreiz die Nerven erzittern la?t wie der Blick aus dem Auge der Gottin der Schonheit selbst, wendet man sich ab und wird sogleich erneut in den Bann gezogen von dem goldenen Hauptaltar, in dessen Mitte, bei Tageslicht dem Auge des Betrachters verborgen, eine ewige Flamme brennt, uber der sich sanft eine Krone fahlblauen Rauches erhebt. Der Altar besteht aus golduberzogenem Marmor. Er ist rund wie die Sonne; der Kreisbogen mi?t sechsunddrei?ig Fu?; die Hohe des Altars betragt vier Fu?. Am Fu?e des Altars befinden sich ebenfalls zwolf Blutenblatter; sie sind aus purem Blattgold und mit Scharnieren versehen. Des Nachts und tagsuber (mit Ausnahme einer Stunde) bilden diese Blutenblatter einen geschlossenen Kelch uber dem Altar, genau wie die Blutenblatter, die sich bei sturmischem Wetter um das Haupt der Wasserrose schlie?en. Wenn jedoch zur Mittagsstunde die Strahlen der Sonne durch den Luftschacht oben hereinfallen und auf die goldene Blume treffen, dann offnet sich der Kelch und enthullt das in ihm schlummernde Geheimnis, nur, um sich sofort wieder zu verschlie?en, sobald der letzte Strahl sich verloren hat.

Aber das ist noch nicht alles. Auf der Nord- und der Sudseite der heiligen Statte stehen, halbkreisformig angeordnet und in gleichem Abstand zueinander aufgestellt, zehn goldene Engel, oder vielmehr Frauenfiguren mit weit ausgebreiteten Schwingen; sie sind hervorragend geformt, und selbst der Faltenwurf ihrer Gewander ist bis ins kleinste Detail perfekt gestaltet. Diese Engelsfiguren, die leicht uberlebensgro? sind, stehen mit gebeugten Hauptern in andachtiger Pose da, die Gesichter halb in den Schatten der Schwingen getaucht. Sie sind in der Tat von eindrucksvoller Schonheit und bewegender Anmut.

Dieser Altar weist noch eine weitere Einzelheit auf, die einer kurzen Beschreibung bedarf: namlich der Fu?boden direkt vor dem Altar, und zwar auf der Ostseite desselben; er besteht nicht, wie sonst uberall in dem Bauwerk, aus reinem wei?em Marmor, sondern aus solidem Messing. Ahnliche Bodenplatten befinden sich auch vor den anderen beiden Altaren.

Die Altare auf der West-, beziehungsweise Ostseite der Halle, die die Form eines Halbkreises haben und dicht vor der Wand des Gebaudes stehen, sind weit weniger beeindruckend als der Hauptaltar; sie sind auch nicht von goldenen Blutenkelchen umschlossen wie jener. Jedoch sind auch sie ganz aus Gold, und auch auf jedem von ihnen brennt die heilige Flamme, und je zwei Engelsfiguren aus Gold stehen zu ihrer Seite. Je zwei goldene Strahlen gehen von ihnen aus und ziehen sich uber die Wand hinter ihnen schrag nach oben.

An der Stelle, wo man den dritten Strahl vermuten sollte, also genau zwischen den beiden anderen, befindet sich eine Offnung in der Wand, die auf der Au?enseite recht breit ist, innen jedoch nur noch ein schmaler Schlitz, etwa wie eine sich nach innen allmahlich verjungende Schie?scharte. Durch den Schlitz auf der Ostseite der Halle fallen des Morgens die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne quer durch die Halle und treffen, wahrend die Sonne nach Westen wandert, auf den goldenen Blutenkelch des Hauptaltars, bis sie schlie?lich auch auf den Altar zur Westseite fallen. Desgleichen ruhen zur Abenddammerung die letzten, durch den Schlitz auf der Westseite hereinfallenden Strahlen der untergehenden Sonne noch eine Weile auf dem Ostaltar, bevor sie schlie?lich in der Dunkelheit versinken. Dies symbolisiert das Versprechen der Morgen- an die Abenddammerung, und das der Abend- an die Morgensonne.

Mit Ausnahme dieser drei Altare und der um sie herumgruppierten Engelsfiguren ist der gesamte Raum unter der gewaltigen wei?en Kuppel bar jeglichen weitem Schmucks, was erheblich zu seiner Erhabenheit und Gro?e beitragt.

Dies also ist die kurze Beschreibung dieses gro?artigen, wunderbaren Bauwerkes, und ich wunschte mir von Herzen, ich besa?e die Fahigkeit, seinem Glanze, der meiner Meinung nach zum gro?en Teil seiner verbluffenden Einfachheit zu verdanken ist, mit dem ach so unzulanglichen Mittel meiner Feder gerecht zu werden. Aber ich kann es nicht, und so ist es sinnlos, noch mehr Worte daruber zu verlieren. Und wenn ich dieses geniale Meisterwerk vergleiche mit einigen der flitterhaften, wertlosen Gebaude und dem unecht glanzendem Talmi, der in unseren Tagen so haufig von europaischen Kirchenarchitekten hervorgebracht wird, dann habe ich das Gefuhl, da? auch die hochzivilisierte Kunst noch etwas von den Meisterwerken der Zu-Vendi lernen kann. Ich kann nur sagen, da? mir, als meine Augen sich zum ersten Mal an das dustere Licht jenes gro?artigen Bauwerkes, an seine wei?e, anmutig geschwungene Schonheit, die so perfekt und erregend ist wie die einer nackten Gottin, gewohnt hatten, spontan der Ausruf uber die Lippen kam: »Sogar einen Hund wurden hier religiose Gefuhle uberkommen.« Das mag zwar banal oder vulgar klingen, aber vielleicht verdeutlicht es meine Meinung weit besser als irgendwelche geschliffenen Au?erungen.

Vor den Toren des Tempels wurde unsere Gruppe von einer Abteilung Wachsoldaten empfangen, die offensichtlich der Befehlsgewalt eines Priesters unterstand. Die Soldaten fuhrten uns in einen der >Bluten- hofe< (so nennen die Priester die >Strahlen<) und lie?en uns dort erst einmal eine halbe Stunde lang

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