An dieser Stelle unterbrach Agon seinen feierlichen Gesang, der, auch wenn er sich nur noch sehr arm und dunn ausmacht, nachdem ich ihn durch die Muhle meiner Ubersetzung gedreht habe, im Original wirklich wunderschon und au?erst beeindruckend ist. Und dann, nach einem kurzen Moment der Stille, hob er den Blick zu der Offnung in der Kuppel des Tempels und rief -
Wahrend er noch sprach, geschah etwas Wunderbares: Von der Hohe der Kuppel blitzte ein herrlicher Strahl goldenen Lichtes herab und zerschnitt das dustere Zwielicht in der Halle wie ein Flammenschwert. Es fiel direkt auf die Sitze des goldenen Blutenkelches uber dem Altar, und wie von Geisterhand bewegt offnete sich die herrliche Blume, und die goldenen Blatter sanken ringsum auf den Boden um den Altar, in dessen Mitte die ewige Flamme loderte. Im selben Moment bliesen die Priester einen hallenden Fanfarensto?, und aus tausend Mundern zugleich erklang ein Ausruf der Lobpreisung, der sich in dem Kuppeldach brach und von den Marmorwanden zuruckhallte. Und nun schien das Licht der Sonne voll auf die emporzungelnde heilige Flamme; sie flackerte, sank in sich zusammen und verschwand in der Tiefe des Altars, aus der sie sich erhoben hatte. Als sie ganzlich versunken war, hallte erneut der Ton der Fanfaren durch die Halle, und wieder erhob der greise Priester die Hande und rief -
Ich blickte aus den Augenwinkeln hinuber zu Nyle-phta; ihr Blick war auf die Messingplatte geheftet.
»Aufgepa?t!« rief ich. Gleichzeitig sah ich, wie Agon sich nach vorn beugte und etwas an dem Altar beruhrte. Im selben Moment trat ein roter Schimmer auf das wei?e Meer von Gesichtern um uns herum, dann wurden die Gesichter wieder ganz bleich, und die Menge hielt den Atem an. Nylephta beugte sich vor und schlug unwillkurlich die Hande vors Gesicht. Sorais neigte den Kopf zur Seite und sprach im Flu-sterton mit dem Hauptmann der koniglichen Leibgarde. Und da glitt direkt vor unseren Augen mit einem quietschenden Gerausch die Bodenplatte aus Messing zur Seite und gab den Blick frei auf einen glatten Marmorschacht, der in einen wutend brausenden Ofen direkt unter dem Altar mundete. Dieser Ofen war so gro? und seine hell lodernden Flammen waren so hei?, da? sie glatt den Achtersteven eines Kriegsschiffes zerschmolzen hatten!
Mit einem Schrei des Entsetzens sprangen wir zuruck. Alphonse war vor Schreck so gelahmt, da? er beinahe in die Glut hinabgesturzt ware, hatte Sir Henry ihn nicht in letzter Sekunde, als er schon uber dem Abgrund taumelte und zu verschwinden drohte, mit starker Hand gepackt und zuruckgerissen.
Sogleich erhob sich ein beangstigender Tumult, und wir vier stellten uns Rucken an Rucken, um unsere Haut so teuer wie moglich zu verkaufen. Alphonse raste wie ein Wilder um uns herum und versuchte verzweifelt, zwischen unsere Beine zu kriechen und sich dort zu verstecken. Wir hatten alle unsere Revolver dabei. Man hatte uns zwar hoflich, aber bestimmt, unsere Gewehre abgenommen, als wir den Palast verlie?en, aber diese Leute wu?ten naturlich nicht, was ein Revolver war, und hatten ihnen deshalb auch keine weitere Aufmerksamkeit gewidmet. Umslopogaas hatte seine Axt behalten, die ihm abzunehmen man nicht der Muhe wert befunden hatte, und nun wirbelte er sie uber seinem Kopf und stie? seinen markerschutternden Zulu-Kriegsschrei aus, der mit donnerndem Echo an den Wanden der Halle entlangrollte und trotzig und herausfordernd in die Ohren der Priester drang. Sekunden spater hatten die Priester, die sich um ihre Beute betrogen sahen, ihre unter den wei?en Roben verborgenen Schwerter gezuckt und drangen wutend auf uns ein wie Jagdhunde auf ein gestelltes Wild. Nun gab es kein langes Uberlegen mehr; vielleicht war es sinnlos, sich zur Wehr zu setzen, aber es gab nur zwei Alternativen: kampfen oder sterben. Ich jagte dem ersten von ihnen, der auf uns zugeschossen kam - es war ein kraftiger, hochaufgeschossener Bursche -, eine Revolverkugel in den Leib; er wankte, und dann fiel er in die Offnung des Schachtes. Er glitt unter entsetzlichem Brullen die glatten Marmorwande hinab und verschwand in dem tosenden Feuerschlund, wie es eigentlich uns zugedacht gewesen war.
Ob es nun seine entsetzten Schreie waren, oder der fur sie schrecklich laute Knall des Revolverschusses und seine verheerende Wirkung - jedenfalls blieben die anderen Priester konsterniert und unentschlossen stehen; und bevor sie noch einen neuen Angriff gegen uns starten konnten, rief Sorais etwas, und wir waren plotzlich gemeinsam mit den beiden Koniginnen und einem Teil der Hofadeligen von einem Wall bewaffneter Manner umringt. Dies geschah in Sekundenschnelle; die Priester zogerten noch immer, und die Masse schwankte unentschlossen hin und her wie eine Herde verstorter Schafe und machte keinerlei Anstalten, sich auf die Seite der einen oder der anderen Partei zu schlagen.
Der letzte verzweifelte Schrei des brennenden Priesters war verhallt, das Feuer hatte ihm ein Ende gemacht, und eine Grabesstille senkte sich uber den Schauplatz.
Dann drehte sich der Hohepriester mit teuflisch verzerrtem Gesicht den Koniginnen zu und schrie: »La?t das Opfer geschehen! Verhindert nicht, da? diese Fremden, die wahrlich genug Sunde begangen haben, ihrer gerechten Strafe zugefuhrt werden! Wollt ihr, Koniginnen, den Mantel des Schutzes uber Missetater werfen? Sind nicht die Tiere, die der Sonne geweiht waren, tot? Und starb nicht soeben erst, vor unseren Augen, ein Priester der Sonne, hingeschlachtet von der Zauberkraft dieser Fremdlinge, die zu uns kamen wie der Sturm vom Himmel; woher, wissen wir nicht, auch wer sie sind, wissen wir nicht? Hutet auch, o Koniginnen, euch der gro?en Majestat Gottes zu widersetzen, angesichts seines Altars! Es gibt eine Macht, die gro?er ist denn eure; es gibt eine Gerechtigkeit, die hoher ist denn eure Gerechtigkeit! Hutet euch, eure gottlose Hand gegen sie zu erheben! La?t das Opfer geschehen, o Koniginnen!«
Dann antwortete ihm Sorais mit ihrer tiefen, ruhigen Stimme, bei deren Klang ich nie ganz den Verdacht loswerden konnte, da? ein leiser Unterton von Spott in ihr mitschwang, wie ernst auch immer das Thema war: »O Agon, du hast gema? deinem Wunsche gesprochen, und, furwahr, du hast die Wahrheit gesagt. Aber du bist es, der ruchlos und frevelhaft seine Hand gegen die Gerechtigkeit deines Gottes erhebt! Vergi? nicht, da? das mittagliche Opfer geschehen ist: Die Sonne hat einen ihrer Priester als Opfer angenommen!«