Das war eine ganz neue Idee, und sie brachte die Sache in eine ganz andere Richtung; die Menge tat unter lautem Applaus ihre Zustimmung dazu kund.

»Vergi?t du, wer diese Manner sind? Es sind Fremde, die man auf dem Busen eines Sees dahingleitend vorfand. Wer brachte sie dorthin? Wie kamen sie auf den See? Woher willst du wissen, ob nicht auch sie Diener der Sonne sind? Ist dies die Gastfreundschaft, die unsere Nation nach deinem Willen gegenuber Fremden an den Tag legen soll, die das Schicksal auf solch wundersame Weise zu uns brachte? Ist das deine Art von Gastfreundschaft, sie in die Flammen zu sto?en? Schande uber dich, tausendmal Schande uber dich! Was aber ist wahre Gastfreundschaft? Den Fremden bei sich aufzunehmen und ihm Schutz zu gewahren. Seine Wunden zu verbinden, ihm ein Kissen fur das mude Haupt zu geben und Speise, damit er seinen Hunger stillen kann. Aber dein Kissen ist der Flammenofen, und deine Speise ist der hei?e Wohlgeschmack der Glut! Schande uber dich!«

Sie machte eine Pause, um zu sehen, welche Wirkung ihre Rede bei der Menge hinterlie?, und als sie sah, da? ihre Worte gut ankamen, lie? sie ihren Tonfall sofort von einem protestierenden in einen gebieterischen umschlagen.

»Ho! Platz da!« rief sie. »Platz gemacht, sage ich! Gebt den Weg frei fur die Koniginnen und fur die, uber die die Koniginnen ihren >Kaf< geworfen haben[13]

»Und wenn ich mich weigere, Konigin?« zischte Agon mit gepre?ter Stimme durch die Zahne.

»Dann werde ich mir mit meiner Leibwache einen Weg bahnen!« lautete die stolze Antwort. »Jawohl, auch hier, angesichts des Allerheiligsten, und wenn es sein mu?, durch die Leiber deiner Priester!«

Agons Gesicht wurde in ohnmachtiger Wut aschfahl. Er starrte in die Menge, als wollte er sie beschworen, aber er mu?te in diesem Moment erkennen, da? die Sympathien bei der Gegenseite waren. Die Zu-Vendi sind von ihrer Mentalitat her ein neugieriges und umgangliches Volk, und so sehr sie es auch als eine Ungeheuerlichkeit ansahen, da? wir die heiligen Flu?pferde erschossen hatten; der Gedanke, da? die ersten echten Fremden, die jemals in ihr Land gekommen waren, in einen Flammenofen geworfen und verbrannt werden sollten, behagte ihnen uberhaupt nicht; denn waren sie erst einmal tot, dann war ein fur allemal die Chance vertan, etwas von ihnen zu lernen und uber sie zu klatschen. Agon spurte diese Stimmung und zogerte; und da erhob zum erstenmal Nylephta ihre sanfte, melodische Stimme.

»Bedenke, Agon«, sagte sie, »diese Manner konnen sehr wohl, wie meine konigliche Schwester schon sagte, Diener der Sonne sein. Aber sie konnen nicht fur sich selbst sprechen, da ihre Zungen gebunden sind. Warte erst einmal solange, bis sie unsere Sprache gelernt haben. Man darf niemanden verurteilen, ohne ihn vorher gehort zu haben. Wenn diese Manner erst sich selbst verteidigen konnen, dann wird der Zeitpunkt gekommen sein, sie auf die Probe zu stellen.«

Hiermit hatte Nylephta dem Priester eine goldene Brucke gebaut, uber die er sich ohne Gesichtsverlust vorerst aus der Affare ziehen konnte, so wenig sie ihm auch pa?te; jedenfalls ergriff der rachsuchtige Alte den dargebotenen Strohhalm mit beiden Handen.

»So sei es denn, o Koniginnen«, antwortete er.

»Mogen diese Manner in Frieden ziehen, und wenn sie unsere Sprache gelernt haben, dann sollen sie sprechen. Und ich, jawohl - ich, werde in Ehrfurcht vor dem Altar auf die Knie fallen, auf da? nicht wegen des Sakrilegs die Pest uber unser Land komme.«

Diese Worte wurden von der Menge mit beifalligem Gemurmel aufgenommen, und ein paar Minuten spater verlie?en wir schon den Tempel, umringt von den Soldaten der koniglichen Leibgarde.

Erst viel spater jedoch sollten wir erfahren, was sich eigentlich alles im einzelnen hinter den Kulissen abgespielt hatte, und wie knapp wir dem grausamen Griff der Priesterschaft entrungen worden waren, der gegenuber selbst die Koniginnen praktisch keine Macht hatten.

Hatten nicht die Koniginnen alles in ihrer Macht Stehende unternommen, uns zu beschutzen, dann waren wir schon getotet worden, bevor wir uberhaupt den Fu? uber die Schwelle des Tempels gesetzt hatten. Der heimtuckische Versuch, uns bei lebendigem Leibe in den Flammenofen zu sturzen, war der letzte in der Reihe mehrerer gescheiterter Attentatsversuche gewesen, mit dem die Priester sich uns vom Halse hatten schaffen wollen.

15

Sorais' Lied

Nachdem wir Agon und seiner bigotten Morderbande so glucklich entkommen waren, kehrten wir in unsere Quartiere im Palast zuruck. In der Folgezeit erging es uns prachtig. Die beiden Koniginnen, die Adeligen und die Bevolkerung wetteiferten miteinander darin, uns mit Ehrerbietungen und Geschenken zu uberschutten. Und was den unglucklichen Zwischenfall mit den Flu?pferden betrifft, so geriet er sehr bald in Vergessenheit, was uns auch alles andere als ungelegen war. Jeden Tag kamen Menschen, manchmal sogar ganze Abordnungen, zu uns, die unsere Waffen, unsere Kleidung, unsere Kettenhemden, unsere Instrumente, und insbesondere unsere Uhren bestaunen wollten. Die letzteren hatten es ihnen besonders angetan und schienen ihnen ein Heidenvergnugen zu bereiten. Kurz, wir kamen ganz gro? in Mode; das ging sogar so weit, da? einige der modebewu?ten jungen Burschen unter den Zu-Vendi anfingen, den Schnitt einiger unserer Kleider zu kopieren, besonders Sir Henrys Jagerjacke. Eines Tages erwartete uns wieder einmal eine Gesandtschaft, und Good legte wie ublich zum Anla? eines solchen Ereignisses seine Uniform an. Allem Anschein nach war diese Abordnung von etwas anderer Art als die, die uns gewohnlich mit ihrem Besuch beehrten. Sie bestand aus einer Gruppe unscheinbar aussehender kleiner Manner, die ein ausgesucht hofliches, um nicht zu sagen unterwurfiges Verhalten an den Tag legten; ihre ganze Aufmerksamkeit galt augenscheinlich ausschlie?lich den Details von Goods Uniform; sie waren die ganze Zeit uber damit beschaftigt, Aufzeichnungen davon anzufertigen und die exakten Ma?e der einzelnen Uniformteile zu nehmen. Good fuhlte sich hochst geschmeichelt; denn er hatte zu dem Zeitpunkt noch keine Ahnung davon, da? es sich bei den Mannern um die funf fuhrenden Schneider von Milosis handelte. Vierzehn Tage spater jedoch - wir hielten wieder einmal wie gewohnlich hof - hatte er das Vergnugen, zu sehen, wie sieben oder acht Zu-Vendi- >Stutzer< in der vollen Pracht einer ausgezeichneten Imitation seiner Paradeuniform hereinstolziert kamen. Mit seiner guten Stimmung war es schlagartig vorbei. Ich werde niemals vergessen, wie er verblufft und angewidert das Gesicht verzog. Nach diesem Ereignis beschlossen wir, in erster Linie, um nicht immer so viel Aufsehen zu erregen, und zweitens, weil sich unsere Kleider langsam auftrugen und geschont werden mu?ten, uns gema? der einheimischen Gepflogenheiten zu kleiden. Und ich mu? sagen, die Zu-Vendi-Tracht erwies sich als au?erst bequem, auch wenn ich zugeben mu?, da? ich meines Erachtens nach einen recht lacherlichen Eindruck darin machte, ganz zu schweigen von Alphonse! Nur Umslopogaas scherte sich nicht darum; als sein altes Moocha durchgewetzt war, machte sich der wilde alte Zulu ein neues und lief weiterhin vollig unbekummert darin herum, grimmig und nackt wie seine Streitaxt.

In der Zwischenzeit hatten wir eifrig unsere Sprachlektionen aufgenommen und recht gute Fortschritte gemacht. Am Morgen nach unserem Abenteuer im Tempel hatten sich drei gesetzte, ehrwurdig aussehende Herren bei uns eingefunden, bewaffnet mit Buchern, Tintenfassern und Federkielen, die uns eroffneten, da? man sie geschickt habe, uns in der Sprache der Zu-Vendi zu unterweisen. Mit Ausnahme von Umslopogaas machten wir uns alle eifrig ans Werk und buffelten vier Stunden pro Tag. Umslopo-gaas wollte auch damit nichts zu tun haben; er lehnte es ab, das >Weibergewasch< zu erlernen - nein, nicht mit ihm! Und als einer der Lehrer auf ihn zuging und ihm mit dem Buch und dem Gansekiel aufmunternd vor der Nase herumwedelte, etwa so wie ein Kirchendiener, der einladend mit dem Klingelbeutel unter der Nase eines reichen, aber knickrigen Ge- meindeschafleins rasselt, da sprang der alte Zulu mit einem wutenden Fluch auf und fuchtelte unserem gelehrten Freund mit Inkosi-kaas vor dem Gesicht herum. Damit war der Versuch, ihm Zu-Vendi beizubringen, ein fur allemal im Keim erstickt.

So verbrachten wir unsere Vormittage mit nutzlicher Beschaftigung, die uns uberdies auch gro?en Spa? machte, besonders, als wir feststellten, da? wir Fortschritte machten. Unsere Nachmittage waren ganz der Erholung gewidmet. Einige Male machten wir Ausfluge; unter anderem besuchten wir die Goldminen und die Marmorbruche. Schade, da? mir Platz und Mu?e fehlen, diese ausfuhrlich zu beschreiben. Ein paarmal gingen wir auch auf die Rehjagd, und zwar mit Hunden, die eigens fur diesen Zweck ausgebildet waren; es machte ungeheuren Spa?, denn das Land verfugt uber zahlreiche ausgezeichnete Wildgehege, und wir hatten wunderbare

Вы читаете Allan Quatermain
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату