seinen Nasenlochern pustend, sich im Wasser um seine eigene Achse zu drehen. Bevor es sich jedoch noch einmal erholen konnte, hatte ich ihm auch schon die Kugel aus dem zweiten Lauf seitlich in den Hals gejagt, und das gab ihm endgultig den Rest. Es horte sofort auf sich zu drehen und sank auf der Stelle.

Unsere nachste Anstrengung galt der Rettung des Madchens. Der Mann war inzwischen fortgeschwommen und in ein anderes Boot geklettert. Diesmal jedoch hatten wir sofort Gluck; es gelang uns (unter dem Geschrei der Schaulustigen), das Madchen, das vollig erschopft und verangstigt, aber ansonsten unverletzt war, schnell ins Kanu zu ziehen.

In der Zwischenzeit hatten sich die Boote in respektvoller Entfernung versammelt, und wir sahen, wie ihre Insassen, die offenbar vollig verwirrt und verangstigt waren, beratschlagten, was sie nun tun sollten. Ohne ihnen Zeit fur irgendwelche Entschlusse zu lassen, die, so furchteten wir, moglicherweise zu unseren Ungunsten ausgefallen waren, griffen wir nach unseren Paddeln und hielten auf sie zu. Good stellte sich aufrecht in den Bug des Kanus, schwenkte hoflich seinen Dreispitz in samtlichen Richtungen und lie? sein ohnehin freundlich wirkendes Gesicht in einem offenen und aufgeweckten Lacheln erstrahlen.

Die meisten Boote wichen zuruck, als wir naherkamen. Einige jedoch blieben da, wo sie waren, wahrend das gro?e Ruderboot uns entgegenkamt um uns in Empfang zu nehmen. Kurz darauf war es langsseits von uns, und ich konnte deutlich sehen, da? unsere au?ere Erscheinung - besonders die von Good und Umslopogaas, bei dem ehrwurdigen Kapitan Erstaunen erweckte, gepaart mit ein wenig Furcht. Er war nach der gleichen Mode gekleidet wie der Mann, den wir zuerst gesehen hatten, nur da? sein Hemd nicht aus braunem Tuch war, sondern aus schneewei?em Leinenstoff, der purpurfarben gesaumt war. Der Rock jedoch war der gleiche; ebenso die dicken Goldringe um den Arm und den linken Unterschenkel. Die Ruderer trugen lediglich einen Rock, ansonsten waren sie bis zur Hufte nackt. Good zog vor dem alten Mann den Dreispitz mit einer besonders tiefen Verbeugung und fragte ihn in makellosem Englisch nach seinem Befinden. Wie als ob er damit antworten wolle, legte der Mann Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand quer uber die Lippen und hielt sie einen Moment lang so. Wir vermuteten, da? das seine Art zu gru?en war. Dann rief auch er etwas zu uns heruber, in derselben melodisch klingenden Sprache, die schon den ersten Mann ausgezeichnet hatte. Wir mu?ten ihm jedoch leider zu verstehen geben, da? wir kein Wort verstanden. Das taten wir, indem wir den Kopf schuttelten und die Achseln zuckten. Das letztere tat Alphonse so perfekt, als sei es ihm angeboren, und dabei auf eine so hofliche Weise, da? niemand es als Beleidigung hatte auffassen konnen. Als wir uns so gegenuberstanden und im Moment niemand so recht weiterzuwissen schien, dachte ich mir, da mein Hunger inzwischen kaum noch auszuhalten war, da? es nichts schaden konne, wenn ich die Aufmerksamkeit der Manner auf diese Tatsache lenkte.

Gesagt, getan; ich offnete also den Mund, zeigte mit dem Finger in Richtung Hafen; gleichzeitig warf einer von der Besatzung seines Bootes uns eine Leine heruber und gab uns ein Zeichen, sie festzumachen, was wir auch sofort taten. Das Ruderboot nahm uns ins Schlepptau und glitt mit hoher Geschwindigkeit auf die Flu?mundung zu. Die anderen Boote folgten uns. Ungefahr zwanzig Minuten danach erreichten wir die Hafeneinfahrt, in der es nur so wimmelte von Booten, die alle voll besetzt waren mit Leuten, die extra herausgekommen waren, um uns zu sehen. Wir machten die Beobachtung, da? alle von heller Hautfarbe waren, obwohl manche hellhautiger schienen als andere. Die Haut einiger Frauen war in der Tat von blendendem Wei?; der dunkelste Teint, den wir entdecken konnten, war ungefahr der eines ziemlich dunkelhautigen Spaniers. Kurz darauf machte der breite Strom einen Bogen, und im selben Moment entfuhr uns allen gleichzeitig ein Ausruf hochsten Erstaunens und Entzuckens, als wir zum ersten Mal die Stadt vor uns liegen sahen, die wir bald kennenlernen sollten als Milosis oder die >Finster blickende Stadt< (von mi, was Stadt bedeutet, und losis, was soviel hei?t wie Stirnrunzeln oder finsterer Blick).

Etwa funfhundert Yards hinter dem Flu?ufer ragte ein steiler Felsen aus Granit auf, dessen Hohe wohl zweihundert Fu? betrug. Fruher hatte er sicherlich einmal selbst das Flu?ufer gebildet - den Streifen Land, auf dem sich jetzt Docks und Fahrdamme befanden, hatte man wohl trockengelegt, indem man den Flu? eingedeicht und sein Bett vertieft hatte.

Auf dem Vorsprung dieses Felsens stand ein gro?es Gebaude, das aus demselben Granit wie der Fel-sen errichtet war. Es bestand aus drei rechtwinklig zueinanderstehenden Flugeln. Die vierte Seite war offen, abgesehen von einer Art Brustwehr, an deren Fu? sich eine kleine Tur befand. Wie wir spater erfuhren, war dieser imposante Bau der Palast der Konigin, oder richtiger, der Koniginnen.

Hinter dem Palast erstreckte sich auf einem sanft ansteigenden Hugel die Stadt, in deren Hintergrund sich ein prunkvoll leuchtendes Gebaude aus wei?em Marmor erhob, dessen Krone die goldene Kuppel bildete, die wir vorher schon von weitem gesehen hatten. Die gesamte Stadt war, mit Ausnahme dieses einen Gebaudes, ganz aus rotem Granit errichtet; sie war in regelma?igen Rechtecken angeordnet, zwischen denen sich herrliche Stra?en hinzogen. Soweit wir erkennen konnten, waren die Hauser alle einstok-kig und freistehend. Sie waren ausnahmslos von Garten umgeben, die das vom monotonen Anblick des roten Granits ermudete Auge erquickten. Von der Ruckenseite des Palastes ausgehend zog sich eine Stra?e von au?erordentlicher Breite etwa anderthalb Meilen bergan. Sie mundete in einen offenen Platz, der das wei? leuchtende Gebaude, das den Hugel kronte, umgab. Aber direkt vor uns lag das, was die eigentliche Pracht und Herrlichkeit von Milosis ausmachte - der gro?e Treppenaufgang des Palastes, dessen kuhner Glanz uns fast den Atem raubte. Der geneigte Leser moge sich, wenn er dazu in der Lage ist, eine herrliche Treppe vorstellen, funfundsechzig Fu? von Balustrade zu Balustrade, bestehend aus zwei gigantischen Fluchten, von denen jede hundertfunfundzwanzig Stufen hat, je acht Zoll hoch und drei Fu? breit, zwischen denen sich ein Ruheplatz von sechzig Fu? Lange befindet. Er moge sich weiter vorstellen, da? diese ungeheure Konstruktion, die sich von der Palastmauer auf dem oberen Rand des Felsens bis hinunter zu einem Wasserweg oder Kanal, den man eigens dazu an ihrem Fu?e gegraben hatte, erstreckte, auf einem einzigen gewaltigen Bogen aus Granit ruht, dessen Schlu?stein der Ruheplatz zwischen den beiden Fluchten bildet; das hei?t, der die beiden Fluchten verbindende Platz liegt genau auf der hochsten Krummung des Granitbogens! Aus diesem Bogen wuchs ein freischwebender Stutzbogen, oder besser etwas, das von der Form her einem freischwebenden Bogen ahnlich war, wie es nie zuvor jemand von uns irgendwo auf der Welt gesehen hatte, und dessen Schonheit und Gro?artigkeit alles, was wir uns uberhaupt je hatten vorstellen konnen, weit in den Schatten stellte. Dreihundert Fu? von einem Ende zum anderen, und nicht weniger als funfhundertfunfzig, wenn man entlang der Krummung ma?, schwang sich dieser halbkreisformige Bogen in die Hohe; die Brucke, die er trug, beruhrte er nur auf einer Flache von funfzig Fu?. Das eine Ende ruhte, wie schon erwahnt, auf dem Hauptbogen, und das andere Ende war in den soliden Granit der Felswand eingebettet.

Dieser Treppenaufgang war mit seinen Stutzbogen in der Tat ein Meisterwerk der Architektur, auf das jeder Mensch auf der Welt stolz gewesen ware; zum einen aufgrund seiner unerhorten Gro?e, zum andern aufgrund seiner alles ubertreffenden Schonheit. Viermal war das Werk, mit dem irgendwann in grauer Vorzeit begonnen worden war, gescheitert - das erfuhren wir spater -, und man hatte es uber drei Jahrhunderte hinweg halb vollendet so stehen lassen, bis schlie?lich ein jugendfrischer Baumeister namens Rademas die Stirn hatte zu behaupten, er wurde das Werk erfolgreich vollenden. Er setzte fur diese ungeheure Aufgabe sein Leben als Pfand ein: wenn er scheiterte, dann sollte er von eben jenem Felsen, den mit seinem Bauwerk zu ersturmen er sich so keck erkuhnt hatte, hinabgeschleudert werden; sollte er jedoch das Werk erfolgreich zu Ende fuhren, dann sollte er zum Lohn die Hand der Konigstochter erhalten. Er sollte funf Jahre Zeit haben, die Arbeit auszufuhren; Arbeitskrafte und Baumaterial wurden ihm in unbegrenzter Hohe zur Verfugung gestellt. Dreimal fiel sein Bogen in sich zusammen; schlie?lich, als er sah, da? sein Scheitern unvermeidlich war, beschlo? er, am Morgen nach dem dritten Zusammenbruch seinem Leben selbst ein Ende zu setzen. In jener Nacht erschien ihm jedoch im Traum eine wunderschone Frau, die seine Stirn beruhrte. Und plotzlich hatte er vor seinen Augen die Vision des vollendeten Werkes, und durch das Mauerwerk hindurch sah er gleichzeitig wie er all die Schwierigkeiten, die mit dem Bau des freischwebenden Bogens, der bisher seinem Genius hohngesprochen hatte, verbunden waren, mit einem Schlag losen konnte. Er erwachte und begab sich sofort mit neuem Mut ans Werk; diesmal jedoch nach einem neuen, anderen Plan, und - siehe da! - er schaffte es, und als der letzte Tag des funften Jahres angebrochen war, fuhrte er die Prinzessin als Braut uber die Treppe in den Palast. Und als der Konig gestorben war, wurde er als Gemahl der Konigin zum Konig gekront und begrundete die Zu-Vendi-Dynastie, die noch heute besteht, und die bis zum heutigen Tage >das Herrscherhaus der Trep-pe< genannt wird. Dies ist einmal mehr der Beweis dafur, da? Ausdauer im Verein mit Talent das naturliche Sprungbrett fur Gro?e und Ruhm ist. Und um seinen Triumph bis ans Ende aller Tage unverge?lich zu machen, errichtete er ein Standbild, das ihn

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